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Armada von Info-Kriegern: Wie ein Land die digitale Propaganda beherrscht
Propaganda

Armada von Info-Kriegern: Wie ein Land die digitale Propaganda beherrscht

Geschichten aus Wikihausen

Foto: Markus Fiedler

Die Plattform Wikipedia wird als eines der wichtigsten Instrumente zur Beeinflussung der Massenmeinung von Regierungen und Geheimdiensten in aller Welt ins Visier genommen. Ein Land ist in Sachen Propaganda allerdings Spitzenreiter.

Regierungen machen für ihren Staat generell massiv Propaganda. Egal, ob es der „American way of life“ ist, gepaart mit wunderschönen Naturaufnahmen aus den USA, der die allgegenwärtige jahrzehntelange Kriegspolitik dieser Nation für die Öffentlichkeit effektiv maskiert. Oder aber das Südseeparadies, das mit Palmenstränden auf Hochglanzbroschüren lockt, auf denen selbstverständlich nicht die ins Meer gekippten Müllhalden zu sehen sind, die wegen ausströmender Giftstoffe Mensch und Umwelt schädigen.

Weltweit bezahlen Regierungen PR-Agenturen, die das Image des eigenen Landes ins rechte Licht rücken, um den Tourismus anzukurbeln, was selbstverständlich Geld ins Land spült. Oder aber um das Land der Weltgemeinschaft als wunderbaren Ort anzupreisen, was bei internationalen Beziehungen und Wirtschaftsverträgen hilft. Das ist Normalität. Eine Regierung ist seit Jahren unangefochtener Werbeprofi, was die Bemühungen anbelangt, das Image des Landes aufzupolieren.

Das Land Israel ist ein Ergebnis zweier Weltkriege. Die Geburt dieses Staates verlief alles andere als schmerzfrei und ist eine inzwischen 75-jährige Geschichte von Krieg, Gewalt, Vertreibung, Terrorismus und Folter. Leidtragende sind dabei sowohl die Israelis und die Palästinenser als auch die Bürger der umgebenden Länder. Der seit einem dreiviertel Jahrhundert andauernde Kriegszustand hat tiefe seelische Wunden gerissen. Bei allen beteiligten Kriegsparteien werden Gewalt und Rachevorhaben nicht selten mit Schaum vor dem Mund bejubelt, was Beobachtern vor Kummer die Tränen in die Augen treibt.

Massiver Ansehensverlust

Der Nahe Osten ist ständiges Debattenthema bei der UN. Gewalttätige Übergriffe der Sicherheitsorgane Israels sind leider trauriger Spitzenreiter bei Menschenrechtsdebatten in der Uno und in der Berichterstattung. Dass der Staat Israel seinen Nachbarn das Wasser buchstäblich abgräbt, Brunnenneubauten im palästinensischen Gebiet gewaltsam unterbindet und Syriens Golanhöhen insbesondere wegen seiner Bedeutung für die Wasserversorgung besetzt hält ist dabei schon fast noch ein untergeordnetes Problem.

All dies hat zu einem massiven Ansehensverlust des Staates in der Weltgemeinschaft geführt. Anstatt in Zukunft auf sanfte Diplomatie und ein friedvolles Miteinander zu setzen, sorgen die Regierung in Tel Aviv und mit ihr die Geheimdienste des Landes hingegen gezielt dafür, die fortgesetzte aggressive Politik ins rechte Licht zu rücken. Zu diesem Thema hat die konservative Internetseite UNZ-Review 2018 einen bemerkenswerten Bericht veröffentlicht, den Dirk Pohlmann mit mir in unserer vierten Sendung von „Geschichten aus Wikihausen“ ausführlich besprochen hat.

Der israelische Staatsapparat unterhält eine ganze Armada an Informationskriegern, die das Internet mit „zionistischen Inhalten“ fluten sollen. Diese Beeinflussung gilt für alle möglichen Medien. Das ist deswegen besonders brisant, als dass in Israel ohnehin schon eine flächendeckende militärische Zensur aller Medien gilt. Brisante Informationen werden von den Militärzensoren verboten. Hierzu gesellen sich Werkzeuge, die gezielt Propaganda und Desinformation streuen.

Freiwillige und militärische Einheiten

Act.IL zum Beispiel ist ein sozialer Netzwerkdienst in privater Hand, der von Anhängern Israels genutzt wird, um sich gegen „antiisraelische Inhalte“ im Internet wie die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS) zu stellen, wie es auch in der englischen Wikipedia zu lesen ist. Als „antiisraelisch“ gilt jede Form von Kritik an der Politik Israels. Auch dieser Text hier wird trotz Bemühen um moderaten Stil und Sachlichkeit mit Sicherheit so eingestuft werden.

Act.IL weist seine Benutzer auf „Missionen“ hin, um pro-israelisches Material in den sozialen Medien zu liken, zu kommentieren und zu teilen. Außerdem werden Benutzer aufgefordert, Kritik an Israel zu kennzeichnen, zu melden und darauf zu reagieren. Benutzer werden darin angeleitet, wie sie reagieren sollen.   

Die Unit 8200 ist eine militärische Einheit Israels und in etwa das Gegenstück zum Geheimdienst NSA der USA. Cyberattacken, Cyberspionage, Informationsmanagement: Die Unit 8200 ist primär mit Aktivitäten rund um den Informationskrieg im Cyberspace beschäftigt. Reservisten offenbarten in 2014 recht unschöne Praktiken dieser Einheit, darunter das Verwenden erpresserischer Informationen aus dem privaten Lebensbereich wie Homosexualität oder Ehebruch um Kollaborateure unter den Palästinensern anzuwerben.

Studenten und ein Lexikon

Ein Projekt zum Kampf im Internet wurde 2011 von der 300.000 Mitglieder zählenden National Union of Israeli Students (NUIS) ins Leben gerufen: Hasbara. Ziel sei es gewesen, „die Hasbara-Aktivitäten (Staatspropaganda) der Studenten im Staat Israel zu vertiefen und zu expandieren“. Israelische Studenten erhielten im Rahmen dieses Programms 2.000 US-Dollar für fünf Stunden Arbeit pro Woche, um „den Kampf gegen feindliche Websites anzuführen“.

Ein sehr wichtiges Medium zur Beeinflussung und Kontrolle der öffentlichen Meinung ist unzweifelhaft die Plattform Wikipedia. Sie kommt als angeblich objektive Quelle daher. Der Leser erwartet anders als von einer Hochglanzbroschüre der Tourismusbranche hier absolut sachliche Informationen.

Wer im Urlaubskatalog von angeblichen Fünf-Sterne-Hotels mit Meeresblick liest, ist daran gewöhnt, dass diese Aussagen regelmäßig geschönt sind. Während die fünf Sterne sich als Dyskalkulie des Hotelbesitzers erweisen und der Meeresblick nur mit Periskop und gleichzeitiger Benutzung eines Fernglases zu erhaschen ist. Wenn also israelische Exekutivorgane das Land in höchsten Tönen preisen, ist das korrekt als Werbung einordnen, nicht aber, wenn dies unauffällig über ein angebliches Lexikon geschieht.

Verdeckte Einflussnahme

Hier wird die Organisation Camera aktiv. Diese Abkürzung steht für „Committee for Accuracy in Middle East Reporting in America“. Dies bedeutet im deutschen „Komitee für korrekte Berichterstattung über den Nahen Osten in Amerika“. Schon der Titel riecht gewaltig nach Propaganda. Die israelische Zeitung Haaretz berichtete darüber: „Das Ziel der Organisatoren war zweierlei: die öffentliche Meinung Israels zu beeinflussen, indem Menschen, die ihren ideologischen Standpunkt teilen, sich am Schreiben und Bearbeiten der hebräischen Version beteiligen, und auf Englisch zu schreiben, damit das Image Israels im Ausland gestärkt werden kann.“

Es soll einen Preis für den „besten zionistischen Redakteur“ gegeben haben. Gemeint war die Person, die in den nächsten vier Jahren die meisten „zionistischsten“ Veränderungen in die Enzyklopädie einbrachte. Der Gewinner soll eine Fahrt in einem Heißluftballon über Israel versprochen worden sein. In Wikipedia ist dazu zu lesen: „Camera hat etwa 55.000 zahlende Mitglieder und einige tausend aktive Briefeschreiber, die international aktiv sind und etwa auch die israelische Tageszeitung Haaretz auf die aus Camera-Sicht negativen Effekte ihrer Berichterstattung in Amerika aufmerksam machen.“

Es stellt sich die Frage, ob Camera oder eine ähnliche Organisation auch in der deutschsprachigen Wikipedia aktiv ist. Phänomenologisch müssen wir diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantworten. Der investigative Journalist Dirk Pohlmann und ich haben in den letzten Jahren zahlreiche Benutzer der Wikipedia ausfindig gemacht, die mit ebenso zahlreichen Einträgen gezielt ein positives Bild des israelischen Staates in der Enzyklopädie erzeugen und auch nicht davor zurückschrecken, beispielsweise ein Foltergefängnis zur Fünf-Sterne-Residenz mit Hafturlaub umzuschreiben.

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