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Proteste gegen Rentenreform: Frankreich im Ausnahmezustand
Demonstrationen in Frankreich

Proteste gegen Rentenreform: Frankreich im Ausnahmezustand

Paris am 28. März, Proteste gegen die Rentenreform

Foto: Hannes Henkelmann

Antifa, Polizeigewalt und Forderungen der Demonstranten: Eine Übersicht über die Ereignisse vom Dienstag, 28. März. Die Gewerkschaften zählen Millionen Demonstranten. Fotos: Hannes Henkelmann

Die Arbeiterbewegung in Frankreich geht weiter. Unter anderem in Marseille, Lyon und Paris finden Demonstrationen statt. Hunderttausende Menschen aus allen Altersgruppen versammeln sich – Nebenstraßen sind voll.

In Paris starten am zehnten Demonstrationstag gegen die Rentenreform zwei Demonstrationszüge am Platz der Republik. Zu Beginn der Demonstrationen am Dienstag, dem 28. März, ist immer wieder Rauch zu sehen und Bengalos werden gezündet. Die Straßen sind voll, ein Durchkommen ist für einen Kollegen vor Ort kaum möglich. Eine Eskalation der Situation ist zu Beginn noch nicht zu vermuten. So bestätigt ein Polizist mit einer Gasmaske vor Ort, dass er nicht erwarte, sie einzusetzen. Im Laufe des Tages unterscheiden sich die Bilder stark: teilweise gibt es Szenen der Gewalt, an anderen Orten verläuft die Demonstration friedlich.

Gewaltsame Szenen in Paris

Gegen 16:30 Uhr zerstören junge Menschen auf der Höhe des Boulevard Voltaire in Paris ein Schaufenster und werden von manchen anderen Demonstranten mit lauten Rufen unterstützt. Immer wieder ist das Geräusch von laut explodierenden Böllern zu hören. Wenig später zünden manche vor dem Geschäft ein Feuer an, Zuschauer unterstützen das Geschehen laut rufend und trötend. Nach etwa 20 Minuten trifft die Polizei ein und rennt auf die Demonstranten zu. Die Taktik der Eisatzkräfte: Die Masse an Menschen soll aufgebrochen und verschoben werden. Darauf folgen Rufe gegen die Polizei, immer wieder werden Rauchbomben und Böller gezündet.

Auch Szenen von Polzeigewalt bleiben nicht aus, so gibt es mehrere Bilder, in denen die Polizei Demonstranten gewaltsam voneinander trennt, auf sie eintritt, auf dem Boden entlangschleift und sie mit Schlagstöcken traktiert. Bereits vergangene Woche kritisierte der Europarat die Gewalt durch die französische Polizei. So sagte die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, dass „sporadische Gewalttaten einiger Demonstranten oder andere verwerfliche Handlungen während einer Demonstration“ die exzessive Anwendung von Gewalt durch staatliche Stellen nicht rechtfertigen würde.

Nach Angaben des Polizeipräsidiums, nahm die Polizei in Paris bis 19 Uhr 27 Menschen fest.

Forderungen der Demonstranten

Vor Ort sind in Paris nicht ausschließlich brutale Szenen zu sehen. Der Kollege vor Ort berichtet von einer sehr friedlichen Stimmung. Organisatoren singen auf ihren Demonstrationswagen und spielen laute Musik, Demonstrationsteilnehmer tanzen zu der Musik, singen mit und lachen. Vor allem berichtet er: „Es sind sehr viele junge Menschen auf der Straße.“

Vorrangig fordern die Demonstranten, dass es keine Rentenerhöhung gebe. Diese sieht vor, dass das Rentenalter unter Artikel 49 Absatz 3 bis 2030 schrittweise von 62 auf 64 Jahre angehoben wird.

„Mit dem Gesetz erhält Präsident Emmanuel Macron zu viel Macht. Er kann ohne weiteres das Budget für beispielsweise das Militär erhöhen und an anderer Stelle kürzen. Das Gesetz muss zurückgenommen werden!“, fordert ein Mann. Auch auf Plakaten ist eine Kritik des Artikel 49.3 zu lesen. Auf einem sitzt Macron auf einer Toilette, mit der Überschrift „Verstopfung bei 49.3“. Ein weiterer Demonstrant fordert „Frieden“ auf seinem Plakat.

„Verstopfung bei 49.3“

Auch werden allgemeine Forderungen gegen die Regierung immer lauter. So steht auf einem Plakat, dass Macron ein Diktator sei und ein junger Mann sagt: „Macron soll zurücktreten!“. Seine Politik bezeichnet er als Faschismus. Außerdem kritisiert er die Polizeigewalt scharf.

Zudem wünschen sich einige Demonstranten den Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union. „Frexit“ ruft jemand laut durch ein Megafon, die Demonstranten antworten ebenso im Chor „Frexit“. Immer wieder sind auch Plakate mit der Aufschrift „Frexit“ zu sehen.

Eine junge Frau meint, dass Macron dem Volk nicht zuhöre. Weiter führt sie aus: „Und wir haben es satt, und wir wollen nicht, dass das Rentenalter von 62 auf 64 geht. Wir haben auch die Schnauze voll von der globalen Erwärmung und all dem. Wir haben einfach die Schnauze voll , wir wollen, dass sie zuhören und verstehen, dass wir genug haben. Und er ist nicht allein, er ist nicht der König, es gibt keinen König mehr in Frankreich und das aus gutem Grund.“

Nicht nur Demonstrationen

Noch bevor die Demonstrationszüge losgingen, mauerten Menschen als Protest das Haus der Abgeordneten und Mitglied der Nationalversammlung Violette Spillebout zu. Auf Twitter schrieb sie dazu: „Diskutieren. Ja. Sich zu widersetzen, manchmal stark. Ja. Angriff auf mein Zuhause. Lass es an meiner Familie aus. Ich werde es niemals akzeptieren. Demokratie endet dort, wo Hass und Gewalt beginnen. Ich fordere die durch diese Tat entehrten Gewerkschaften auf, vorbehaltlos zu verurteilen.“

Zudem war am Dienstag der Zugang zum Eiffelturm geschlossen. Der Grund: Wegen der Streiks gebe es nicht genügend Personal, um die Eiserne Lady zu öffnen.

Eine Besserung ist bezüglich des angesammelten Mülls auf den Straßen Paris in Sicht: Ab heutigen Mittwoch werde der Streik der Müllabfuhr in Paris ausgesetzt, so die Gewerkschaft CGT. Die Straßen dürften demnach bald wieder aufgeräumt sein.

Antifa ist brutal

Gegen 17 Uhr sind die Demonstrationen in Paris für beendet erklärt. Danach, erzählt ein Demonstrations-Teilnehmer, warte die Antifa beim Platz der Nation auf die Polizei. Er berichtet, dass die Antifa jeden Abend in brutale Ausschreitungen mit der Polizei verwickelt sei. Sowohl die Polizei, als auch die Antifa würden dabei gewaltbereit auftreten. „Es ist ein Katz und Maus-Spiel.“

Auch der Politikwissenschaftler Fabien Jobard berichtet der Presseagentur Agence France-Presse (AFP), dass der harte Kern der Gruppe gewaltbereit sei und eine gewisse Ausbildung habe, die etwa Rückzugstechniken oder militärische Kommandos mithilfe von Handzeichen umfasse. Zu dieser Gruppe würden aber vermutlich nur einige Hundert Menschen gehören, ergänzt er.

Polizei stark mobilisiert

Landesweit habe es mehr als zwei Millionen Demonstranten gegeben, so die CGT. Nach Angaben des Innenministeriums demonstrierten landesweit 740.000 Menschen.

In Paris waren es laut der CGT etwa 450.000 Demonstranten. Nach Angaben des Pariser Polizeipräsidiums marschierten dort 93.000 Demonstranten. In Marseille zählten die Gewerkschaften 180.000 Demonstranten. Die Polizei hingegen nannte 11.000 Teilnehmer.

Insgesamt handelt es sich um deutlich weniger Menschen als am 23. März. Der Generalsekretär der Gewerkschaft CFDT Laurent Berger bestätigt einen Rückgang der Demonstrationsteilnahme von rund 20 Prozent.

Die Polizei mobilisierte landesweit 13.000 Einsatzkräfte. Fast die Hälfte davon sei in der Hauptstadt im Einsatz gewesen.

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