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Politisch-medialer Komplex bedroht die Öffentlichkeit
Medienkritik

Politisch-medialer Komplex bedroht die Öffentlichkeit

Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen

Mit den politisch-medialen Eliten rechnet der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen in einem aktuellen Interview ab. Die etablierten Medien seien zu einseitig. Er warnt vor einer anhaltenden Spaltung der Öffentlichkeit als Folge.

Sehr viele Journalisten verstehen sich „schon lange nicht mehr als Gegenspieler der Macht“, sondern sind „Teil eines politisch-medialen Komplexes“. Das sagt der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Tichys Einblick. „Der etablierte Journalismus ist schon wegen der Art und Weise, wie er in Deutschland organisiert ist, nicht fähig, sich aus dem Machtkomplex zu lösen und die Rolle zu übernehmen, die ihm Demokratietheorien zuschreiben.“

Meyen ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München. Aus seiner Sicht hätten wir die Corona-Krise entweder gar nicht oder vollkommen anders erlebt, „hätte der Journalismus seinen Job gemacht“. Er kritisiert die einseitige Corona-Berichterstattung in den deutschen etablierten Medien von Beginn an. Meyen wurde und wird dafür von Journalisten, aber auch von Kollegen heftig attackiert.

Der Auftrag des Journalismus ist aus seiner Sicht, Öffentlichkeit herzustellen. Das heißt, alle Perspektiven eines so großen Themas wie Corona gleichberechtigt zur Diskussion zu stellen, damit sich die Bürger selbst eine Meinung bilden können. Medien dürften Perspektiven nicht einseitig in den Vordergrund rücken und Kritiker der Regierungsposition nicht delegitimieren.

An Wodarg wurde ein Exempel statuiert

Ab Frühjahr 2020 fand allerdings kein Journalist mehr einen legitimen Sprecher im politischen Raum, der bereit gewesen wäre, den Corona-Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu kritisieren. Aber Vertreter anderer Perspektiven außerhalb Deutschlands kamen in den deutschen Leitmedien auch nicht vor. „In Deutschland ist ein Exempel statuiert worden an Wolfgang Wodarg“, hebt Meyen hervor.  Im Frühjahr 2020 hätten nahezu alle Leitmedien diesen renommierten Gesundheitspolitiker „öffentlich so unmöglich gemacht, dass es danach selbst für Kritiker, die alles vorzuweisen haben, was man für akademische Reputation braucht, nicht mehr möglich war, in den Diskurs hineinzukommen“.

In der Medienforschung wird in dem Fall von „Indexing“ gesprochen, so Meyen. Es handele sich um die „Neigung von Journalisten, sich an einem bestimmten Rahmen zu orientieren, der mit Bezug auf legitime Sprecher informell festlegt, was als vertretbare Position zu gelten hat“.

Zu Schweden, dem Land, das einen ganz anderen Kurs in der Corona-Politik verfolgte, weist Meyen auf eine Studie hin. Diese würde das Indexing auch in Schweden bestätigen – „nur genau in die andere Richtung“. Schwedens Regierung sei dem damaligen Chefepidemiologen Schwedens, Anders Tegnell, gefolgt und habe dort gemeinsam mit den meisten Medien Kritiker entweder gar nicht zu Wort kommen lassen oder delegitimiert. Das verweise auch dort auf die sehr enge Beziehung zwischen Politik und Medien, so der Journalistik-Professor.

Kritiker der Corona-Politik warten auf Entschuldigung

Heute sind laut Meyen die Medien „bei einigen wenigen Fragen“ offener. Jetzt gebe es wieder legitime Sprecher für eine kritische Bewertung der politisch beschlossenen und durchgesetzten Maßnahmen. „Wir haben dort aber niemanden, der sich entschuldigt hätte für die Corona-Politik, der sich bei den Kritikern entschuldigt hätte, die delegitimiert wurden, der sich bei den Leuten entschuldigt hätte, die in existenzielle Nöte, in Gewissensnöte gebracht worden sind“, betont er. „Solange wir das nicht haben, werden wir auch in den Leitmedien nichts Entsprechendes finden.

Bei den konzernfreien Medien gebe es dagegen viele positive Entwicklungen – trotz dominanter Führungsfiguren und fehlender Ressourcen. Aber da habe es in den „letzten drei Jahren einen Professionalisierungsschub“ gegeben, so der Professor. „Wir haben heute sehr viel mehr qualitativ gute Angebote, die das politische Spektrum weitgehend abdecken.“

Die Zukunft der Leitmedien sieht er „eher negativ“. Er nehme da eine „Wagenburgmentalität wahr, einen Zusammenschluss von Politik und Redaktionen“. Meyen rechnet zukünftig mit einem noch engeren Zusammenrücken der politisch-medialen Eliten und als Folge mit einer Spaltung der Öffentlichkeit. Auf der einer Seite Konzernmedien und politiknah finanzierte Medien, also der öffentliche-rechtliche Rundfunk – auf der anderen Seite konzernfreie Medien.

In dem Interview geht es außerdem darum, was Meyen als kritischer Wissenschaftler im beruflichen Umfeld sowie in der Öffentlichkeit erlebt.

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