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Die Krönung der Unternehmensunkultur
Arbeitswelt

Die Krönung der Unternehmensunkultur

Drei Menschen, die bis zum Frühling 2020 einfach Teil des Systems waren, eine gute Ausbildung haben, jahre-, sogar jahrzehntelang, als pflichtbewusste Mitarbeiter und Kollegen galten – sie erzählen hier ihre Geschichten, stellvertretend für alle, die ein ähnliches Schicksal teilen.

Nicht nur drei Arbeitsleben, nein, drei Menschenleben, die für eine fadenscheinige Nichtigkeit erschüttert wurden. Oberflächlich betrachtet ging es um ein kleines Stück Stoff. Doch durch dessen Abhandensein, haben sich die Abgründe deutscher Unternehmenskultur aufgetan.

„Heute weiß ich, dass es um Machtdarstellung und Ausgrenzung geht. 2020 empfand ich es als psychischen Terror“, erzählt Martina Sandner (Name von der Redaktion anonymisiert). Sie ist Anfang 50 und arbeitet seit Ende der 90er Jahre bei einer Sozialbehörde in Deutschland. Sandner hatte das Gefühl, in eine Opferrolle gedrängt zu werden. „Doch damit mich das nicht kaputtmacht, habe ich mir einen Anwalt genommen, um mich zu wehren und aktiv zu werden.“ Die Geschäftsführerin drohte daraufhin, sie vom Dienst unentgeltlich freizustellen, mit den Worten: „Dann warten wir mal, bis der Kühlschrank leer ist, und schauen, was dann mit Ihnen passiert.“

Es fing alles damit an, dass Martina Sandner, die als schwerbehindert gilt, aus gesundheitlichen Gründen keine Mund-Nasen-Bedenkung tragen kann. Dafür stellte ihr Arzt ihr auch ein Attest aus. Dieses wurde zwei Monate lang akzeptiert. „Bis sich ein Kollege beim Vorgesetzten beschwerte, dieser wollte dann das Attest sehen und hat es sofort angezweifelt“, schildert Sandner den Hergang. „Die Corona-Verantwortliche wurde hinzugezogen und nahm mich raus auf die Straße, nur dort wollte sie das Gesundheitszeugnis einsehen. Sie gab mir das Gefühl, eine Gefahr für die Kollegen zu sein. Ich durfte ab da keinen Kontakt mehr zu den Kollegen haben.“ Sandner wurde ins Homeoffice geschickt und durfte erst wieder in die Behörde, als ein eigenes Büro für sie gefunden war. Das Einzelbüro verfügt über ein Fenster in den Innenhof, durch das kaum Tageslicht gelangt. „Für mich ist das wie im Gefängnis. Mit den Kollegen durfte ich nur telefonisch Kontakt aufnehmen. Wenn ich umgefallen wäre, hätte mich länger keiner gefunden.“ Zwei Monate war sie komplett isoliert. Sie empfand dies als Bestrafung.

Für Martina Sandner wurden der Druck und die Enttäuschung schließlich immer unerträglicher, und sie wurde krank. Aber selbst im Krankenstand erhielt sie Post von ihrem Arbeitgeber, per Postzustellungsurkunde, ihr wurde mitgeteilt, dass, wenn sie wieder arbeitsfähig ist, sie im Büro Maske tragen müsse. Als sie im Herbst 2022, nach über einem Jahr, wieder an ihre Arbeitsstelle kam, durfte sie mit den Kollegen weiterhin nur telefonieren und sich im Haus nicht frei bewegen. Die Geschäftsführerin der Behörde bestand bis inklusive 1. Februar 2023 auf die Maskenpflicht. „Und die Kollegen hielten sich daran. Ich war die einzige, die Gesicht zeigte. Die Gehorsamkeit überwiegt, das schockiert“, schüttelt Sandner den Kopf. Die Pausen musste sie alleine verbringen. Sozialer Kontakt während ihrer Arbeit war ihr verwehrt. „Generell ist es besser, einen klaren Schnitt zu machen und sich einen besseren Job zu suchen, wo meine Arbeitskraft wertgeschätzt wird. Es wird Zeit.“ Inzwischen verklagt sie die Geschäftsführung auf Schadenersatz wegen Diskriminierung.

Ein knappes Vierteljahrhundert
bei derselben Bank

Karina Klein arbeitete 24,5 Jahre lang bei einem Geldinstitut in Berlin als Referentin im IT-Service. Seit März 2022 allerdings nicht mehr. „Als das 2020 mit dem Homeoffice losging, hatte ich meine Mutter bei mir und mein Sohn war doch auch von der Schule zu Hause. Da hatte ich keine Ruhe und keinen Platz. Außerdem besitze ich gar keinen Computer. Die meisten Kollegen arbeiteten mit ihren privaten Rechnern, deshalb hieß das bei uns in der Bank auch nicht „Homeoffice“, sondern „mobiles Arbeiten“, denn nur letzteres ist laut den internen Regelungen mit privaten Computern erlaubt“, beginnt die 52-Jährige zu erzählen. „Mir war es auch wichtig, ins Büro zu gehen. Ich bin Workaholic und brauche die räumliche Trennung. Sonst arbeite ich 24 Stunden durch.“

Auch Klein hat eine ärztliche Bestätigung, dass sie keine Maske tragen darf. Sie musste jeden Morgen beim Wachschutz einen Zettel unterschreiben, dass ein Attest vorliege. „Und einmal pro Woche fragte mich meine Chefin, ob ich nicht doch eine Maske tragen könne, obwohl ich allein im Büro saß“, schildert Klein. Sie teilte sich mit anderen ein Großraumbüro und war als einzige anwesend. An manchen Tagen wurde einem Trainee ein Schreibtisch in ihrer Nähe zugewiesen und die langjährige Mitarbeiterin musste während seiner Anwesenheit in ein anderes Zimmer ausweichen. „Nach so vielen Jahren, musste ich dem neuen Kollegen weichen. Anfang 2021 bin ich dann in ein Einzelbüro gezogen. Meistens war außer mir niemand da. Wäre ich umgefallen, hätte mich keiner gefunden.“

Zur gleichen Zeit bekam Karina Klein die Auflage, ihr Attest alle drei Monate in einem langen Gespräch vom Betriebsarzt bestätigen zu lassen. Dieser riet ihr, sich in psychologische Behandlung zu begeben, um zu lernen, die Maske zu tragen. „Diese Bestätigung vom Betriebsarzt musste ich dann an die Personalabteilung und meine Chefin schicken. Man wollte mich mürbe machen. Ich durfte mit den Kollegen nicht in Kontakt kommen und nicht in der Kantine essen. Ein Kollege hat auch von sich aus gesagt, dass er nicht mit mir reden dürfe“, erinnert sich Klein. „Dass aber nach all den Jahren meine Chefs nicht hinter mir standen, dass die mich nicht in Schutz nahmen. Ich kann nur sagen, schämt euch! Diese Isolierung der Menschen …“ Als sie im Intranet las, dass die Bank 250 Stellen abbauen wolle, bemühte sie sich um einen Aufhebungsvertrag. Im März 2022 war es schließlich soweit: Karina Klein betrat nach 24,5 Jahren das letzte Mal das Bankgebäude. Sie musste auch an ihrem letzten Arbeitstag beim Wachschutz den Zettel ausfüllen, dass ein Attest vorliegt. „Danach bin ich in ein Loch gefallen. In der Corona-Zeit hatte ich aufgehört zu essen. Jetzt frühstücke ich, und dann gehe ich aufs Sofa, bei schönem Wetter arbeite ich im Schrebergarten. Ich habe keine Ahnung was kommt, aber es wird sich fügen. So wie’s ist, wird’s nicht bleiben.“

Atmen, beten, weinen und wieder aufraffen

Oliver Schindler ist staatlich anerkannter Erzieher und hat auch eine schauspielerische Ausbildung. Seit 2011 arbeitete er als Horterzieher an Berliner Grundschulen. Oft an sogenannten Brennpunktschulen. Dabei entwickelte er gemeinsam mit den Schülern auch Theaterstücke. „Mein Hauptaugenmerk lag darauf, ihr Selbstbewusstsein und ihre Sozialkompetenz zu stärken. Bei Willkommenskindern hatte ich Strategien entwickelt, um ihre Deutschkenntnisse und Aussprache zu verbessern“, erzählt Schindler. „Mit den Lockdowns hatte sich vieles, was ich mühsam aufgebaut hatte, zerschlagen. Es war nur noch eine Art der Betreuung gefragt, die mit meinen Stärken nicht viel zu tun hatte. Manche Erzieher taten sich jetzt besonders hervor, indem sie ausgeklügelte Hygienepläne mit Flatterband, Desinfektionsmitteln, Maskenpflichtschildern und auf den Boden gemalten Pfeilen ausarbeiteten.“

Als die Maskenpflicht eingeführt wurde, bekam Schindler aus gesundheitlichen Gründen eine Befreiung. „Ich war täglich unter Druck. Zwar wurde mein Attest über lange Zeit akzeptiert, aber ich betrat die Schule oft über den Hintereingang, damit die Eltern nicht sehen, wie da jemand ohne Maske ins Gebäude geht. Manche Kinder die als Ordnungskräfte in den Pausen eingesetzt wurden, wiesen mich auf die Maskenpflicht hin, und ich musste ihnen erklären, dass ich eine Befreiung habe.“

Ein Lehrerkollege und Eltern beschwerten sich darüber, dass Schindler keine Maske trug. „Die Schulleitung sagte dann, ich muss eine Maske tragen oder kann sofort nach Hause gehen. Ich war über 50 und beim Senat angestellt. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen. Ich setzte also diese Maske auf und malte ein rotes Kreuz darauf. Ich erstickte vor Wut und Scham fast unter dem Ding. Wo es möglich war, meldete ich mich für Betreuung auf dem Schulhof, und außerdem verbrachte ich viel Zeit auf der Toilette – um zu atmen, zu beten, zu weinen und mich wieder aufzuraffen.“

Im Freizeitbereich schaffte der Erzieher den Kindern Räume, wo sie sich maskenfrei bewegen konnten. Doch schließlich beschwerte sich eine Kollegin, dass die Kinder bei ihm keine Masken trugen. „Mein Vorgesetzter hatte keine Wahl. Angeblich hätten Eltern weitere Bemerkungen über mich gemacht.“ Doch eines wollte Schindler nie zu einem Kind sagen: „Setz die Maske auf!“ So ließ er sich schließlich krankschreiben und begann, einen maßnahmenkritischen Podcast  – Radio Berliner Morgenröte – zu machen. Ein halbes Jahr später kündigte Oliver Schindler seinen Job. Mit seinem alten Beruf hat er abgeschlossen: „Vielleicht mache ich mal ein freies Theaterprojekt mit Kindern und Erwachsenen. Aber ich werde nicht mehr als Angestellter für den Senat oder die Regierung arbeiten.“

Aktualisierte Version, Erstveröffentlichung: Demokratischer Widerstand

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