ressorts.
15-Minuten-Städte
Städtebau & Digitalisierung

15-Minuten-Städte

Von einer Stadt der kurzen Wege zur Stadt der überwachten Wege? Ist dank digitalen Steuerungs- und Kontrollverfahren der ewige Lockdown vorprogrammiert?

Ein Konzept taucht in immer mehr stadtplanerischen und stadtpolitischen Debatten auf: die 15-Minuten-Stadt. Es wird dem französisch-kolumbianischen Stadtplaner Carlos Moreno von der Université Paris 1 Pantheon-Sorbonne zugeschrieben, der mit vielen gefälligen Auszeichnungen dekoriert wurde wie etwa dem World Smart Cities Awards.

Im Kern geht es darum, bestehende Städte so umzuorganisieren und umzugestalten, dass weitgehend autarke Untereinheiten entstehen, deren Bewohner den Großteil ihrer täglichen Bedürfnisse erledigen können, ohne ihre Nachbarschaft verlassen zu müssen. Dadurch soll der motorisierte Individualverkehr auf ein Minimum reduziert werden. Der Stadtplaner kann sich hier ein Gähnen nicht verkneifen, da die funktionale Teilung der Stadt im Städtebau der Moderne ja nicht erst gestern überwunden wurde, und das Prinzip der Stadt-der-kurzen-Wege spätestens seit den 1980ern ein Leitbild der Stadtplanung ist. Schon damals zielte die Stadtplanung auf die Steigerung der Kompaktheit von Stadtquartieren durch Nachverdichtung und Schaffung von multifunktionalen Stadtstrukturen.

Von Smart Cities zum Post-Corona Städtebau

Das Konzept der 15-Minuten-Städte knüpft an den Diskurs der Smart Cities an. Die Neuordnung und Umgestaltung der Städte wird im digitalen Plattform-Urbanismus nicht mehr in erster Linie durch räumliche Gestaltung und physisch-materiellen Umbau erreicht, sondern durch digitale Steuerungs- und Kontrollverfahren, die die räumlich-materiellen Formen der Stadt ergänzen und ersetzen. Durch digitale Zugangskontrollen und Abrechnungssysteme sollen zum Beispiel Bürogebäude außerhalb der Arbeitszeiten für zusätzliche Nutzungen verfügbar gemacht werden: vom CarSharing zum Haus-Sharing.

UN-Habitat, das Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen, hat, wie auch Moreno, an vielen Stellen betont, dass die Stadtplanung Lektionen aus der Covid-19-Pandemie ziehen könne (Siehe zum Beispiel UN-Habitat, Envisaging the Future of Cities, World Cities Report 2022, Seite 26 – auf Englisch). Trotz aller romantisch verklärten Vorstellungen des Umbaus von Städten zu Ansammlung von autarken Dorfgemeinschaften, und den Legionen von videospielartigen Diagrammen, in denen die Eigenschaften von 15-Minuten-Städten erklärt werden, lässt dieser Hinweis auf die Lockdown– und Kontrollorgien im Rahmen der Corona-Maßnahmen aufhorchen. Genau wie diese nicht auf Evidenz, sondern auf Eminenz beruhen, zeigt sich auch in der 15-Minuten-Stadt ein autoritäres Moment, unter dem Städte in digital geregelte Enklaven zerfallen könnten,  gekennzeichnet durch digitale Zutrittskontrollen, Social Scoring und ausufernde Überwachung.

Widerstand gegen digitale Strukturen

Ein populäres Beispiel dafür ist Oxford in England, wo das 15-Minuten-Konzept zu einer neuen Verkehrsplanung geführt hat. Die Stadt wird in sechs Zonen aufgeteilt, zwischen denen der Individualverkehr mittels digitaler Filtermechanismen begrenzt wird (https://news.oxfordshire.gov.uk/six-traffic-filters-to-be-trialled-in-oxford/). Noch lassen sich die Bewegungsbeschränkungen durch Ausweichen auf Umwege über den Stadtring umgehen, aber der Punkt ist, dass mit diesen Planungen Kontrollstrukturen etabliert werden, die jederzeit nachgeschärft werden können – beispielsweise aus Klimaschutzgründen.

Die mediale Präsenz des 15-Minuten-Konzepts – trotz seiner konzeptuellen Altbackenheit – ist ein Hinweis darauf, dass es sich dabei um eine Kampagne handelt, die darauf abzielt, die Themensetzung der Stadtplanung zu bestimmen und international zu dominieren – zum Beispiel durch Nachhaltigkeits- und Lebensqualitätsindikatoren. Hierdurch wird der Weg für einen Stakeholder-Urbanismus à la World Economic Forum bereitet, was sich auch an den Akteuren zeigt, die das Konzept vorantreiben, dazu gehört unter anderen die Plattform C40 für die Bürgermeister großer Städte (https://www.c40.org/), die von vorgeblich philanthropischen Stiftungen wie Bloomberg und Clinton, nationalen Regierungen und Ministerien sowie internationalen Unternehmen finanziert wird.

Aber es regt sich Widerstand. In Oxford organisieren sich die Bürger, führen koordinierte Flugblatt-Aktionen durch (Siehe: https://notourfuture.org/oxford-event/) und gehen auf die Straße. Zuletzt fand am 18. Februar ein Anti-15-Minute-Protest statt, bei dem die Bürger auf ihr Recht der Bewegungsfreiheit pochten, und einen offenen Dialog zur Gestaltung der Zukunft ihrer Städte durch digitale Kontrollstrukturen einforderten.

Diesen Artikel teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram

schwarz auf weiß unterstützen

Freiwilliges Zeitungs-Abo oder Einzelspende an:

IBAN: DE83 1005 0000 0191 2112 65
(BIC: BELADEBE)

Kontoinhaber: Flugwerk UG (haftungsbeschränkt)

oder hier PayPal –

Ein Abo ist freiwillig. Alle Inhalte sind ohne Bezahlung verfügbar.

ODER
alles von Paul Brandenburg

Spenden an Paul Brandenburg persönlich werden für alle seine Projekte verwendet: