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„Warum schweigen die Lämmer?“ – Scharfsinnige Analyse von Machttechniken
Sachbuch

„Warum schweigen die Lämmer?“ – Scharfsinnige Analyse von Machttechniken

Wie hat es die Machtelite geschafft, die Bevölkerung von einer politischen Einflussnahme abzuhalten? Die Antwort darauf liefert der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld in dem Buch „Warum schweigen die Lämmer?“. Es ist nicht nur hochaktuell, sondern auch aufrüttelnd.

Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld ist einer der wenigen Intellektuellen in Deutschland, die seit Jahren echte Machtkritik betreiben. In seinen Schriften beschreibt er unter anderem, wie die herrschenden Eliten demokratische Strukturen schrittweise unterhöhlen, auf der Oberfläche jedoch die Illusion aufrechterhalten, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Viele seiner Analysen verschriftlichte er bereits vor der Corona-Krise, unter anderem in dem Buch „Warum schweigen die Lämmer?“, das nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahre hochaktuell erscheint. Was Mausfeld darin auf knapp 400 Seiten ausbreitet, deckt sich mit den Erkenntnissen vieler Maßnahmenkritiker, die in der Politik zunehmend autoritäre, ja sogar totalitäre Züge sehen. Obwohl 2015 veröffentlicht, benannte der Kognitionsforscher schon damals einige Phänomene, die heute immer mehr Bürger beschäftigen: Cancel Culture, Manipulation der öffentlichen Meinung und die Annihilation von Errungenschaften der Aufklärung.

„Warum schweigen die Lämmer?“ ist keine systematisch verfasste Monographie, sondern besteht aus mehreren Interviews und Beiträgen, die im Kontext von Vorträgen zu gesellschaftlichen Themen entstanden. Viele Aussagen tauchen immer wieder auf, allerdings jedes Mal anders formuliert, sodass sich die Kerngedanken im Laufe der Lektüre immer tiefer festsetzen. Die Demokratie, so eine der Hauptthesen, sei in Wirklichkeit eine Wahloligarchie ökonomischer und politischer Eliten. Diese sicherten ihre Macht ab, indem sie formale demokratische Elemente beibehielten, sie jedoch strukturell auf ein Minimum reduzierten. Die politische Partizipation der Bürger beschränke sich darauf, Repräsentanten aus einem vorgegebenen Elitenspektrum zu wählen. Doch die agierten unter der Kontrolle des großen Kapitals, das im Hintergrund die Fäden zieht, während es in der Öffentlichkeit die eigene Macht zu verbergen versucht.

Furcht vor dem mündigen Bürger

Wahre Demokratie sei für die einflussreichen Eliten gefährlich, so Mausfeld. Deshalb habe es einer Neudefinition bedurft, um einerseits das Bedürfnis des Volkes nach einer Volksherrschaft zu befriedigen und andererseits mithilfe des Repräsentationsmechanismus das Volk von der Politik fernzuhalten. Die Machteliten, schreibt der Kognitionsforscher, fürchteten nichts mehr als den mündigen Bürger: „Folglich bemühen sie sich nach Kräften, eine politische Mündigkeit der Bürger zu verhindern. Dazu bedienen sie sich eines breiten Spektrums von Strategien und Methoden einer kognitiven und affektiven Manipulation der Bürger.“ Damit wird eine Antwort auf die metaphorisch formulierte Frage geliefert, die dem Buch den Titel gegeben hat.

Die Lämmer schweigen, weil die Machtelite effektive Techniken entwickelt hat, „mit denen sich unsere moralischen Sensitivitäten gleichsam unterlaufen lassen, die also weniger Widerstand im Volk aktivieren“. Es handele sich „um eine psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung“, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, wie sich die Schwachstellen des menschlichen Geistes ausnutzen lassen: „Aus der Perspektive des Volkes ist das Problem“, führt Mausfeld aus, „dass die herrschenden Eliten auf das in Universitäten und Think-Tanks angesammelte Wissen über diese Schwachstellen zugreifen können und daher über sehr viel mehr Wissen über uns, über unsere natürlichen Bedürfnisse, unsere natürlichen Neigungen und unsere Schwachstellen für eine Manipulierbarkeit verfügen als wir selbst. Da uns diese Schwachstellen selbst nicht bewusst sind, haben wir kaum eine Möglichkeit, uns gegen diese Manipulation zu wehren.“

Meinungs- und Empörungsmanagement

Diese Kernaussagen geben zu erkennen, dass Mausfeld sich bei seinen Ausführungen auf einem hohen Abstraktionsgrad bewegt und ihn nur selten verlässt. Griffige Beispiele sind rar gesät, was der Kognitionsforscher damit begründet, dass es „in recht technische Bereiche der Psychologie“ führen würde. Dennoch wird er an manchen Stellen konkret und versucht, die psychologische Bewusstseinsmanipulation möglichst plastisch zu machen. Die vielfältigen Techniken werden dabei zwei Kategorien zugeordnet. Mausfeld unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Empörungs- und Meinungsmanagement. Letzteres werde durch die Massenmedien übernommen, die Fakten selektieren, dekontextualisieren, rekontextualisieren oder sie als Meinungen deklarieren. Besonders beliebt sei die Fragmentierung, weil sie bewirke, dass der Sinnzusammenhang unverständlich bleibe.

Das Empörungsmanagement ziele hingegen darauf ab, ganz bestimmte Reaktionen gegenüber der eigenen oder einer fremden Regierung hervorzurufen. Ist letztere unerwünscht, wird die Bevölkerung gegen sie aufgebracht – durch eine Aufstandsorganisation etwa. Handelt es sich um die eigene oder um eine befreundete Regierung, gilt es, die Empörung einzudämmen und mögliche oder tatsächliche Protestaktionen zu bekämpfen. Dabei komme nicht selten die Sprache zum Einsatz, die mithilfe von Konnotationen das Denken steuere: „Aufständische werden diejenigen genannt, die die Stabilität einer von uns gewünschten Ordnung bedrohen; als Freiheitskämpfer hingegen werden diejenigen bezeichnet, die die Stabilität einer von uns nicht gewünschten Ordnung bedrohen“.

Veränderungswille der Bevölkerung findet keine Adressaten

Mit diesen Techniken, so Mausfeld, gelinge es den Eliten, die Organisationsformen von Macht immer abstrakter zu machen und sie „mit gezielter Diffusion gesellschaftlicher Verantwortlichkeit“ zu gestalten. Das führe unter anderem dazu, dass Unbehagen, Empörung und Wut der Machtunterworfenen ins Leere liefen. Sie fänden keine politischen Ziele mehr, weshalb ein Veränderungswille der Bevölkerung unter den tatsächlichen Entscheidungsträgern keine Adressaten mehr habe. Mausfeld spricht hier von einer „Revolution von Oben“, von einem „Transformationsprozess“, der in vollem Gange sei und damit einhergehe, dass die Machtunterworfenen aufgrund einer raffinierten Manipulation ein falsches Bewusstsein entwickelten. Medial werde ihnen suggeriert, als sei die Macht demokratisch kontrolliert. Dass es hinter dieser vermittelten politischen Oberfläche wahre Zentren der Macht gäbe, die sich einer Kontrolle entziehen, sollen sie nicht einmal wissen. Erreicht werde das unter anderem durch Methoden, die darauf abzielen, die Unterworfenen zu zerstreuen – mit „medialer Überflutung von Nichtigkeiten“, „Konsumismus“, „Infantilisierung“ oder der „Ausbildung von Falsch-Identitäten“.

Die Analysen von Techniken, mit denen die natürlichen psychischen Abwehrmechanismen gegen eine Fremdbestimmung unterlaufen werden, gehören zweifellos zu den Höhepunkten des Buches. Mausfeld führt dabei vor Augen, in welche verhängnisvolle Richtung der Zivilisationsprozess läuft. Das unterstreicht er in einem Beitrag, wo es um moderne Foltermethoden geht. Sie fußen nicht auf physischer Gewaltanwendung, sondern zielen auf die Psyche ab. Diese „weiße Folter“ hinterlässt keine äußerlichen Spuren und ist nur schwer nachweisbar, schädigt jedoch die Opfer stark und mitunter dauerhaft. Man könnte von der „Dialektik der Aufklärung“ sprechen – oder von einem Rückfall hinter deren Errungenschaften. Vernunft und Wissen werden instrumentalisiert, um Herrschaft zu sichern, anstatt wahre egalitäre Verhältnisse zu schaffen. Freiheit erweist sich als Illusion. Sie sei, betont Mausfeld, genauso in orwellscher Manier verfälscht worden wie die Demokratie.

Die Darstellungen des Kognitionsforschers sind teilweise schwer verdaulich. Manche Leser könnten je nach Lebenserfahrung Gefühle der Ohnmacht oder Hoffnungslosigkeit entwickeln, so übermächtig erscheinen die heutigen Eliten, die mit den Jahren einen gut geölten Herrschaftsapparat aufgebaut haben. Bisweilen dürfte die Lektüre sogar Zorn und Wut hervorrufen. So hart die Thesen und Aussagen aber klinken mögen, Mausfelds Buch erweist sich durchweg als eine tiefgründige wie schonungslose Analyse realer Verhältnisse, die nicht nur intellektuelles Vergnügen bereitet, sondern auch die Sinne schärft, aufklärt und aufrüttelt, damit die Bürger den Ernst der Lage erkennen und angesichts der aktuell zugespitzten Situation gegensteuern. „Wir haben“, heißt es an einer Stelle, die ein wenig Optimismus verbreitet, „nur dann eine Chance, uns gegen derartige Manipulation zur Wehr zu setzen, wenn wir uns bewusst werden, auf welche unserer Schwachstellen solche Manipulationen zielen.“

Eugen Zentner, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Philosophie in Leipzig. 2016 promovierte er in der Literaturwissenschaft. Heute arbeitet er als freier Journalist und schreibt für mehrere alternative Medien. Seit September 2020 betreibt er den Blog kultur-zentner.de.

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