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Mit Poesie gegen die Maßregelsprache
Lyrikband „Die Corona-Litanei“

Mit Poesie gegen die Maßregelsprache

Foto: Ausschnitt Buchcover “Die Corona-Litanei”, Verlag Sodenkamp & Lenz

Der Filmemacher und Autor Werner Köhne hat die Corona-Zeit unter anderem in mehreren Gedichten verarbeitet. Entstanden ist ein geistreicher Lyrikband, der die Krise der vergangenen Jahre in zwei Sprachwelten darstellt.

Die Corona-Krise war eine Zeit der Öde und geistigen Verkümmerung. Mit den Maßnahmen wurde der Gesellschaft ihre pulsierende Energie entzogen, was in der Breite nicht nur zur Passivität und Unterordnung führte, sondern auch zu einer Verflachung der Sprache. „Im Sog des Pandemieszenarios verkümmerte zusehends die Poesie – vor allem die Poesie des Lebens“, schreibt der Autor Werner Köhne im Vorwort seines Gedichtbandes „Die Corona-Litanei“, in dem er jene Zeit verarbeitet. „Registriert werden musste eine Verödung der Kommunikation, die in immer gleichen Floskeln eingezwängt oder ganz verhindert wurde.“ Es habe sich eine Sprachwelt etabliert, die „uns von unserer eigenen Erfahrung“ entfremde.

In seinem Gedichtband bildet Köhne diesen kommunikativen Verfall ab, indem er die „Maßregelsprache“ dekonstruiert und montiert, sie zitiert und nachahmt, sie zuspitzt und ironisch bricht, um vor Augen zu führen, welche destruktive Kraft Worte entfalten können. Was sie ebenfalls bewirken können, wenn man verbal dagegenhält und dem eigenen Ausdruckswillen folgt, zeigt der Autor im zweiten Teil. Dort führt er eine Sprache vor, „die Poesie im Leben ausbuchstabiert“. Es geht um „Liebe, Scheitern, verfehltes Leben, aber auch um Augenblicke des Glücks“. Köhne stellt auf diese Weise zwei Sprachwelten gegenüber, die sich nicht nur inhaltlich unterscheiden, sondern auch stilistisch, sodass ihr jeweiliges Wesen bereits in der Form zum Vorschein kommt.

Der „Maßregelsprache“ im ersten Teil fehlt jede Ästhetik. Ohne Punkt und Komma bilden die Verse immer neue Triebe. Es sind sehr textlastige Gedichte, die teilweise über mehrere Seiten gehen, ohne einem Reim- oder Strophenschema zu folgen. Sie hören sich an, als würde die Obrigkeit selber sprechen, wie eine Litanei des Maßnahmenregimes: „zurück zur Pflicht wer sich und sein Leben gemäß unseren Maß- / gaben und Vorgaben erhält / erhält Gratifikationen“, heißt es etwa in «Die Agenda». „ist das nicht genug an Lebenselexier und einer guten Gier / nicht sterben zu müssen / genug an moralischer Ertüchtigung.“

In diesem Duktus fließt dieses wie ein Gebet aufgebaute Poem ziellos dahin, so monoton wie aggressiv in seinen Aussagen.

Gelegentlich findet ein Perspektivwechsel statt; es spricht nicht mehr die Obrigkeit, sondern das Volk, ein „Wir“, das die Narrative des Maßnahmenregimes übernimmt: „Die Wahrheit macht weiter und ist nun – der Ausweis“, beginnt eine Strophe aus dem Gedicht „Ansonsten gilt dieser Lauf der Welt“. „mit dem lässt sich’s leben / der Ausweis schützt uns vor der Ausweisung / entschlackt uns von der Grübelei / löscht den Eigensinn in uns / der gehört ab nun den Eignern unserer Seelen / macht uns zu Wartenden.“ Den ersten Teil mit diesen spröden Gedichten voller Floskeln hat Köhne „Protokoll einer verordneten Sprachverödung“ bezeichnet und ihr im zweiten Teil eine vitalere Lyrik entgegengesetzt.

Diese Gedichte weisen zwar ebenfalls weder ein Reim- noch ein Strophenschema auf, kommen jedoch poetischer daher. Sie sind kürzer und leichtfüßiger, reicher an Metaphern und gefühlvoller, sprachlich geschliffener und hoffnungsvoller. In den Versen schwingt ein positives Lebensgefühl mit. Ihr Ton hellt die Welt auf und gibt ihr wieder einen Sinn. „Als wir“, beginnt etwa ein Poem, „aus dem Dunkel / unsere Küsse / hinaustraten / ins Licht einer // durch Schmerz / herangeschwungenen / Welt / um der Zeit zu entreißen / den Rest // die nestelnden Finger / der Augen Flimmern // der Herzwände / Schrei // im Sog der Zungen // und wieder // Quelle und Meer.“

Wird in diesem Gedicht die Liebe beschworen, akzentuiert „Macht I“ die Möglichkeiten des Volkes. Die Verse wenden sich an alle Bürger und senden aufzählend die Botschaft, tätig zu werden: „In der Verantwortung / stehen / Einfluss nehmen / gestalten / etwas bewegen.“ Mithilfe der Sprache soll hier das Individuum der Corona-Zeit aus seiner Lethargie herausgeholt werden. Köhne appelliert in solchen Gedichten an den Widerstandsgeist, mahnt aber zu einer gewissen Gelassenheit, ruft auf, sich im Eifer nicht zu überhitzen. Wer sein Leben ausschließlich dem Kampf widmet, wird daran zugrunde gehen, wie das Poem „Kurze Erinnerung an Rio Reiser“ zu verstehen gibt:

„damals ein Schrei

macht kaputt was
euch kaputt macht

bis er selbst
der Asphalt-König von Deutschland
dran zerbrach

wächst nun auch uns
die Verzweiflung
ins Hirn

wenn die Träume enden
ruft er von fernem Gestade
uns zu
fängt das Trauma an.“

Werner Köhne, Kurze Erinnerung an Rio Reiser

Die Poesie des Lebens, der Köhne in diesem zweiten Teil zu einem Comeback verhilft, zeigt sich in popkulturellen Bezügen, in lässigen Anglizismen und in eindringlichen Imperativen. Diese sind voller Weisheit und Lebenserfahrung, wirken dabei motivierend, ohne über das Ziel hinauszuschießen. Anders als die „Maßregelsprache“ enthalten sie keine pathetischen Floskeln, sondern weisen den Weg in eine selbstbestimmte Zukunft. Wer die eintönige Verordnungspolitik überwinden will, lautet die Message, muss sein Leben poetisch und somit schöpferisch gestalten, nicht nur sprachlich, sondern vor allem praktisch.

Werner Köhne: Die Corona-Litanei, Verlag: Sodenkamp & Lenz 2022; 140 Seiten; ISBN 978-3-9822745-8-4; 20 Euro;

Bestellungen: https://demokratischerwiderstand.de/buecher/6/die-corona-litanei

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