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Wenn im Urwald die Kettensäge kreischt
Umwelt

Wenn im Urwald die Kettensäge kreischt

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Wie die Umweltorganisation Greenpeace zwischen gutem und schlechtem Abholzen unterscheidet – an einem Beispiel auf der Halbinsel Yukatan in Mexiko.

„Wissen Sie, für mich ist Greenpeace inzwischen eine terroristische Vereinigung.“ Francisco lenkt sein Taxi in eine der engen Seitenstraßen von Playa del Carmen in Mexiko. Der braungebrannte Mexikaner ist dabei, sich in Rage zu reden. „Früher war ich ein großer Fan, Umwelt geht uns hier in Mexiko ja auch alle an. Aber was die derzeit treiben, ist von Politik und großen Unternehmen gesteuert. Man fokussiert sich auf ein Projekt, das allen Mexikanern der Region zugutekommt und lässt die wirklichen ökologischen Probleme außer Acht.“

Bis vor wenigen Tagen hat Francisco noch für das Megaprojekt Tren Maya auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán gearbeitet. Der ausgebildete Krankenpfleger versorgte als Sanitäter Wunden und kleinere Verletzungen, die bei Bauarbeiten immer wieder vorkommen. Jetzt möchte er Jus studieren und zukünftig als Anwalt arbeiten, hat deswegen den anstrengenden Zwölfstundentag auf der Baustelle für das Taxifahren eingetauscht. Doch wenn man ihn auf die Proteste gegen das Prestigeprojekt des amtierenden mexikanischen Präsidenten, Andrés Manuel Lopez Obrador, genannt AMLO, anspricht, kochen seine Emotionen hoch.

Im Jahr 2018 angekündigt sollen die ersten Züge bereits Ende 2023 rollen. Auf 1.554 Kilometern verbindet die größte Zugverbindung Yucatáns zukünftig unter anderem die beliebten Touristenstädte Cancún, Tulum und Merida. Die Haltestelle bei den Maya-Pyramiden von Chichen Itza dürfte den Besucheransturm auf die berühmte archäologische Stätte noch vergrößern. Wohlstand, Arbeitsplätze und vor allem natürlich Gäste aus aller Welt soll das 7,4 Milliarden US-Dollar teure Projekt den fünf beteiligten Bundesstaaten einbringen. Von den Vorteilen einer Bahnlinie für die Umwelt und den CO2-Ausstoß ganz zu schweigen.

Proteste von Umweltaktivisten verzögern den Bau

Doch schon früh regte sich Widerstand gegen das Projekt. Vor allem die Umweltorganisation Greenpeace gibt dabei den Ton an. Mit Demonstrationen, Aktionen und Klagen versucht man, den Bau der Trassen durch den mexikanischen Dschungel zu verhindern. Oder zumindest aufzuhalten. „Dabei ist das ausgemachter Blödsinn“, sagt Francisco. „Die Regierung hat sich bemüht, den Schaden an der Natur so klein wie möglich zu halten. Die Strecke führt in den meisten Teilen direkt neben der Autobahn entlang. Früher hat man die Menschen einfach enteignet, die im Weg von Großbauprojekten lebten. Heute versucht AMLO, niemanden seinen Lebensraum streitig zu machen und nutzt darum das Land, das der Regierung auf Grund der nahen Bundesstraßen bereits sowieso gehört!“

Zugtrasse entlang der Autobahn Cancun nach Merida. Foto: Cristián Kron

Doch nicht alle sehen das Projekt so positiv, wie es Francisco tut. Der mexikanische Ökologe und Seniorprofessor für Ökologie an der Universität von Mexiko betont den entstehenden Schaden: „Wir können nicht noch mehr Biodiversität verlieren. Wir können nicht noch mehr Dschungel vernichten. Noch gibt es jede Menge Dschungel in Mexiko und es ist unsere Pflicht, ihn gemeinsam zu schützen.“ Kritiker weisen darauf hin, dass AMLO zum Start des Projektes versprach, dass „nicht ein einziger Baum dem Zug weichen“ müsse. Doch wie es mit politischen Versprechen so ist, wissen wir in Deutschland selbst, und sei es seit den Kosten einer Kugel Eis für die Energiewende.

Franciscos Erfahrung ist eine andere. Als Augenzeuge des Projektes berichtet er, wie vorsichtig und behutsam die Arbeiten vonstattengehen. Mit Hilfe modernster Technik wird der Boden untersucht, um eventuelle unterirdische Cenoten ausfindig zu machen. Die Halbinsel Yucatán, insbesondere der Bundesstaat Quintana Roo, ist übersät von diesen Karsthöhlen mit Grundwasserzugang. Durch die Auflösung von Kalkgestein bilden sich Höhlen und unterirdische Wasserläufe, die bis zu 1.679 Kilometer lang werden können. Als Wasserreservoir sind sie für die niederschlagsarme Region unverzichtbar. Der Bau einer Schienentrasse über eine solche Höhle wäre fatal, meint Francisco. Die Einsturzgefahr wäre viel zu hoch, weswegen seiner Meinung nach die Proteste an dieser Stelle ins Leere laufen.

Gleiches sieht er auch bei der Bedrohung für die Tierwelt: Mit Infrarotsensoren wurde vor dem Bau evaluiert, ob sich bedrohte Tierarten im Gebiet aufhalten. Die Messungen zeigten dabei keine höheren Aufkommen als in anderen Bauregionen des Landes. Um den Schaden an der Fauna so niedrig wie möglich zu halten, verfügt das Projekt über die meisten Wildbrücken in der Geschichte Mexikos. Mit ihnen sollen die Folgen der Landschaftszerschneidungen minimiert werden.

Schon jetzt hängen über den Autobahnen der Region Seile als „Affenbrücken“, damit die scheuen Tiere nachts nicht Opfer von Unfällen werden. „Generell trauen sich die Affen aufgrund des Lärms sowieso nicht in die Nähe der Straßen“, weiß der ehemalige Sanitäter. Wie es ohne Wildbrücken aussieht, kann man bei einer Autofahrt von Cancún nach Tulum beobachten: Neben wilden Hunden liegen häufig auch Jaguar-Cadaver am Straßenrnd. Ein Festmahl für die Insekten- und Vogelwelt.

Umweltaktivisten gehen die Bemühungen des Tren Maya-Konsortiums, zu dem auch die Deutsche Bahn gehört, jedoch nicht weit genug: Im März 2022 banden sich Mitglieder von Greenpeace an die Bagger und Bulldozer fest, um das Abholzen des Urwaldes zu verhindern. Zahlreiche mexikanische Prominente haben sich inzwischen den Protesten angeschlossen. Unter anderem befürchten sie eine mögliche Zerstörung von archäologischen Stätten, die im Dschungel Yucatans darauf warten, noch entdeckt zu werden.

Andere Umweltzerstörungen in der Region interessieren Greenpeace anscheinend nicht

Der angehende Anwalt Francisco lässt dieses Argument nicht zu. „Wenn wir jeden Stein auf Yucatán umdrehen, finden wir gefühlt in neun von zehn Fällen irgendwelche Maya-Hinterlassenschaften“, sagt er. „Wenn wir alles davon erhalten möchten, dürfte in dieser Region kein einziger Mexikaner mehr leben.“ Zudem regt ihn die Doppelmoral der Aktivisten auf. „Schauen Sie sich einmal die Bauarbeiten in den Touristenregionen an. Dort holzen sie den Mangrovenwald in Massen ab, um Luxusimmobilien für reiche Amerikaner, Kanadier und Europäer zu bauen. Aber sehen wir dort irgendwelche Proteste? Nein!“

Noch 1990 war Tulum, 120 Kilometer südlich von Cancún, ein kleines Fischerdorf mit ungefähr 2.000 Einwohnern. Eines der größten Korallenriffe der Welt liegt vor seinen wunderschönen Stränden und neben den Einheimischen verirrten sich höchstens ab und an ein paar Ruhe suchende Aussteiger und Yogaanhänger in den Ort. Heute gleicht Tulum einem Bienenstock: Zunächst durch Mundpropaganda und neuerdings verstärkt durch die sozialen Medien hat sich der Ort in eine Partyhochburg verwandelt. Bauprojekte werben inzwischen sogar mit „Foto Spots“, besonders schön gestaltete Areale, die extra für Instagram-Schnappschüsse angelegt wurden.

Luxusvilla entsteht im Dschungel von Tulum. Foto: Cristián Kron

Neben Touristen auf Fahrrädern oder mit einem Avocado-Toast in der Hand in einem der vielzähligen Restaurants und Bars prägen vor allem Baulaster das Bild vor Ort: Tulum gehört inzwischen zu den beliebtesten Reiseziele der mexikanischen Karibik. Das erfordert Unmengen an Neubauten, die in den Dschungel gebaut werden. Die Region „Aldea Zamá“ war einst ein biologischer Korridor zwischen dem Nationalpark Tulum und dem Biosphärenreservat Sian Ka´an, heute reiht sich ein Bauprojekt an das andere.

Die Stadt wächst, wie kaum eine zweite in Mexiko, sodass die Gemeinde mit dem Ausbau der Infrastruktur nicht mehr hinterherkommt. Das völlig überlastete Stromnetz wird mit Dieselgeneratoren unterstützt. Viele der bereits fertiggestellten Luxusimmobilien verfügen nicht einmal über Abwasserleitungen: Wie beim Burj Khalifa in Dubai muss das gesammelte Schwarzwasser täglich mit LKW abtransportiert werden. Oder es wird gleich ins Meer gekippt, was fatale Auswirkungen auf das zweitgrößte Korallenriff der Erde hat.  

Einheimische Proteste laufen hier auf Sparflamme, dem Direktor des Naturschutzgebietes Sian Ka´an, Ángel Omar Ortiz, stehen gerade einmal 23 Mitarbeiter zur Verfügung. Und die Bauherren kommen aus der ganzen Welt, sie bringen das große Geld nach Tulum: Hotelketten wie Wyndham und Riu beteiligen sich an diesen lukrativen Projekten. Die Gemeinde von Tulum nimmt durch Steuern und Abgaben Milliarden von Dollar ein. Von den Auswirkungen auf die ursprünglichen Bewohner der Küstenstadt ganz zu schweigen: Noch gibt es Häuser und Wohnungen für die Bevölkerung in den „besten Regionen“ der Stadt, Experten gehen jedoch davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich Tulum in einen reinen Touristenort wie Playa del Carmen verwandelt, in den die Mexikaner nur noch zum Arbeiten kommen. Erste Arbeitersiedlungen im Westen, weit ab von Strand und Cocktailschirmchen, beherbergen Reinigungskräfte, Wachpersonal, Barkeeper und Poolboys.

Erst kürzlich startete man mit dem Bau eines neuen Großbauprojektes für Millionäre, mitten im Urwald, derzeit noch nur mit dem Jeep erreichbar – aber bereits ausverkauft, an zahlungskräftige Investoren aus dem nördlichen Nachbarland.

Millionärsvillen im Urwald – eigentlich ein Thema für Greenpeace. Proteste und Aktionen – Fehlanzeige. Während die Umweltschutzorganisation sich gegen den Tren Maya stark macht, rollen die Laster weiter und die gesetzlich eigentlich geschützten Mangrovenwälder werden für Hotels und Airbnb-Wohnungen gerodet. Auf Anfrage des Autors für diesen Artikel erfolgte keine Reaktion der von Greenpeace.

Politische Projekte ja – private nein

Der ehemalige Tren Maya-Sanitäter Francisco sieht in den Protesten vor allem politisches Kalkül. Seiner Meinung nach sind hier mehrere Lobbygruppen beteiligt, allen voran die Besitzer der Ado-Buslinien. Mobility Ado ist eine mexikanische Gesellschaft für Transportdienstleistungen und der Monopolist, wenn es um die Verbindung der Städte der Halbinsel angeht. Ein Zug bedeutet in Zukunft eine schnellere, günstigere und umweltfreundlichere Alternative für die Millionen an Touristen, die jährlich in die Region reisen. Im Dezember 2022 wurde der 30-millionste Fluggast am Aeropuerto Internacional de Cancún begrüßt – Weltrekord.

 „Hier in Mexiko haben alle irgendwo ihre Finger im Spiel, insbesondere die Politiker“, meint Francisco. „Wir sehen das beispielweise gerade auch in der Diskussion, ob der Online-Vermittlungsdienst für Personenbeförderung Uber im Bundesstaat Quintana Roo eingeführt werden soll. Viele Politiker haben selbst Anteile an Taxiflotten, sodass es Uber momentan noch schwerfällt, die bestehenden Gesetze auszuhebeln.“ Francisco befürchtet aber, dass mit dem entsprechenden Kleingeld vom mächtigen US-Konzern diese Hemmschwelle bald fallen wird. Für das in Syndikaten organisierte Taxigewerbe von Quintana Roo wäre das ein herber Rückschlag. Tausende von Existenzen stünden auf dem Spiel. „Doch gegen Politik bist du machtlos. Wenn es ums Geld geht, haben wir kleinen Leute nichts zu sagen.“

Die nächsten Proteste von Greenpeace stehen bereits an. Diesmal geht es gegen den neuen Flughafen von Tulum, der den Cancún Airport entlasten soll. Während weiter östlich im Urwald die Betonlaster rollen und die Kettensäge kreischt.

Cristián Kron ist freier Journalist und lebt seit Jahren zwischen der lateinamerikanischen und der europäischen Welt. Nach Aufenthalten in Costa Rica, Panama und Chile berichtet er derzeit aus Mexiko.

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