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Mit Bargeld auf Einkaufstour in Schweden
Digitalisierung

Mit Bargeld auf Einkaufstour in Schweden

Geht in Schweden alles nur mehr digital? Werden Münzen und Geldscheine überhaupt noch akzeptiert? Ein Selbstversuch in Stockholm.

Ein Kollege schrieb mich vor kurzem an, er habe gehört, dass Privatpersonen nur 50 Schwedische Kronen bei sich haben dürfen, ob das stimme. Das wären umgerechnet rund 4,60 Euro. In den vielen schicken Bäckereien, die es in Stockholm gibt und die wieder selbst backen, kostet ein Laib Brot 60 Kronen. Keine dieser Bäckereien akzeptiert Bargeld. Und auch sonst bezahlen die meisten Schweden in Läden und Restaurants nur mit Karte oder Handy. Selten sieht man jemanden mit Scheinen hantieren. Sollte dieses Gerücht des Bargeldverbots etwa stimmen?

Ein Besuch in der Swedbank im Zentrum von Stockholm bringt schnell Klarheit. Die nette Mitarbeiterin am Infoschalter erklärt, dass es möglich ist, mit der Debitkarte 15.000 Kronen (1.375 Euro) am Geldautomaten abzuheben – und zwar kostenlos an allen Maschinen mit dem türkisblauem Bankomat-Logo. Und davon gibt es in der schwedischen Hauptstadt viele. Das Unternehmen Bankomat AB gehört den sechs größten Banken in Schweden. Daneben gibt es noch einige andere Firmen, die Geldautomaten betreiben. In den vergangenen fünf Jahren hatten wir jeweils zehn Prozent weniger Bargeldtransaktionen, erklärt Bankomat-Pressesprecherin Jenny Danielsson, aber von Januar bis Juli 2022 gab es eine Steigerung um acht Prozent.

Widerstandsfähig und krisensicher dank Bargeld

Schweden arbeitet derzeit intensiv daran, den Erhalt der Bargeldinfrastruktur zu sichern. Bereits 2021 wurde ein Gesetz erlassen, das besagt, dass es niemand zu weit zum nächsten Geldautomaten haben darf. Digitales Bezahlen wird als nicht krisensicher angesehen, auch weil es dafür Strom braucht. Bargeld gilt als strategisch wichtig, und Anfang November fanden in Stockholm dazu Gespräche zwischen Vertretern der schwedischen Streitkräfte, der Zivilschutzbehörde, der Finanz- und Telekommunikationsbranche, der Finanzaufsichtsbehörde sowie der Riksbank – das ist die Schwedische Nationalbank – statt.

Die Bevölkerung scheint es ähnlich zu sehen. Seit März 2021 ist der Anteil der Schweden, die Scheine und Münzen im Portemonnaie haben, in allen Altersgruppen gestiegen. Das ergab eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Kantar Sifo, die von Bankomat in Auftrag gegeben wurde. Im Mai 2022 antworteten 81 Prozent der Schweden, dass sie Bargeld behalten wollen, verglichen mit 78 Prozent drei Monate zuvor. 2021 waren es 73 Prozent und 2018 nur 68 Prozent. Das heißt, immer mehr Menschen wollen wieder bar bezahlen, besonders jüngere: In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ist der größte Zuwachs zu beobachten. Von ihnen wollen 72 Prozent, dass sie auch bar bezahlen können, so das Ergebnis der Kontor Sifo-Umfrage. Im Jahr 2018 wollten dies nur 56 Prozent der unter 30-Jährigen.

Im Selbstversuch mit Bargeld durch Stockholm

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Fast niemand in Stockholm zahlt mit Bargeld. Wo werden Scheine und Münzen überhaupt noch akzeptiert? Kommt man im Alltag mit Bargeld weiter? In vielen U- und S-Bahn-Stationen gibt es noch Karten- und Informationenschalter, an denen Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe den Kunden weiterhelfen. Selbstverständlich, antwortet der U-Bahn-Mitarbeiter auf die Frage, ob ich mein Ticket auch bar bezahlen kann. Das ist doch ein guter Einstieg, denke ich mir und halte ihm einen meiner Geldscheine hin. Eine Fahrkarte kostet 39 Kronen (3,60 Euro).

Es geht ins Zentrum zum edlen Kaufhaus Nordiska Kompaniet (NK). Es wurde 1915 eröffnet und der Architekt ließ sich für den Bau unter anderem vom Berliner Kaufhaus KaDeWe inspirieren. An diesem Wochenende scheint halb Stockholm bei NK einzukaufen. Vor den Rolltreppen stauen sich die Kunden, und es dauert eine Weile, um in die vierte Etage zu gelangen. Hier an der Information ist weniger los als an den einzelnen Kassen, und ich stelle meine Frage, ob NK denn auch Bargeld akzeptiere. Ja, es ist Teil unserer Unternehmenspolitik, dass unsere Kunden an fast allen Kassen auch bar bezahlen können, so die Antwort der höflichen Mitarbeiterin.

Kann das sein? An einer Kasse, an der ausnahmsweise keine lange Schlange steht, überprüfe ich die Auskunft: Nehmen Sie auch Cash? Die Verkäuferin erwidert lachend: Das hier ist Stockholms größte Geldwaschmaschine. Bei uns kaufen viele Touristen ein, auch die bezahlen gerne bar. Ich schlendere an den Nobelkleidermarken vorbei zum Ausgang und stärke mich draußen an der hauseigenen Würstchenbude mit einem Hotdog um 25 Kronen (2,30 Euro).

Doch wie sieht es mit Dingen des täglichen Bedarfs aus? Und können Schweden eigentlich Alkohol kaufen, ohne eine digitale Spur zu hinterlassen? Systembolaget heißen die Läden, in denen der Staat Wein, Bier und Spirituosen verkauft. Überall anders dürfen keine Getränke über die Ladentheke gehen, deren Alkoholgehalt über 3,4 Prozent liegt. Freitags und samstags ist im Systembolaget besonders viel los. Über einer der vielen Kassen weist ein Schild darauf hin, dass hier auch Münzen und Scheine akzeptiert werden. Doch nicht nur an dieser Kasse geht es langsam voran – das digitale Bezahlsystem ist teilweise ausgefallen, kontaktlose Zahlungen sind nicht möglich, jede Transaktion dauere eine Minute, so die Lautsprecherdurchsage. Ich begleiche die 14,50 Kronen (1,33 Euro) für einen halben Liter schwedisches Bier der Marke Norrlands Guld in bar und bin schnell wieder draußen.

Schweden höchste Inflation seit 1991

Auch jeder Supermarkt akzeptiert noch Bargeld. Meinen Einkauf könnte ich aber auch teils mit Bargeld, um etwa Münzen loszuwerden, und den Rest mit Karte zahlen. Eine junge Frau direkt vor mir begleicht ihren Einkauf ebenfalls mit Scheinen, sie ist die erste, bei der ich das an diesem Tag beobachte. Aber wie sind denn eigentlich die Preise im Supermarkt?

Supermarkteinkauf in Stockholm:
1 Kilogramm Bio-Bananen – 32,90 Kronen (3 Euro)
1 Kilogramm Zwiebel – 19,90 Kronen (1,83 Euro)
10 Stück Freiland-Eier – 41,90 Kronen (3,84 Euro)
Baguette – 19,90 Kronen (1,83 Euro)
Schweinekotelett mit Knochen pro Kilogramm – 139,90 Kronen (12,83 Euro)
250 Gramm Butter – 44,90 (4,12 Euro)
1 Liter Milch – 14,90 Kronen (1,37 Euro)
1 Kilogramm Spaghetti – 24,90 Kronen (2,28 Euro)

Im Dezember 2022 stieg die jährliche Inflationsrate in Schweden auf 12,3 Prozent, der höchste Wert seit Februar 1991, verglichen mit 11,5 Prozent im November. Die größten Steigerungen wurden bei Strom, Lebensmitteln und alkoholfreien Getränke gemessen, meldete Schwedens Amt für Statistik. Gleichzeitig ging der Umsatz im Einzelhandel zurück. In den Einkaufsstraßen Stockholms ist davon nicht viel zu merken. Auch die Bars und Restaurants sind gut besucht. Zwei von drei Kneipen, in denen ich nachfrage, akzeptieren Bargeld. Ich beende meine Einkaufstour mit einem Glas Bier, 0,4 Liter Falcon und zahle die 59 Kronen (5,41 Euro) – genauso wie der ältere Mann kurz nach mir – in bar.

Aktualisierte Version, Erstveröffentlichung in der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand

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