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Weghören, Wegsehen, Wegzappen 
Klaus Alfs

Weghören, Wegsehen, Wegzappen 

Foto: Pexels, Cottonbro

Die promovierte Chemikerin und Wissenschafsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim beendet ihr erfolgreiches Video-Blog maiLab auf Youtube. Sie ist die Verkörperung dessen, was in Wissenschaft und Gesellschaft falsch läuft. Kein Wunder, dass sie woanders weitermacht.

Die Nachrufe auf das Youtube-Format „maiLab“, das dessen Betreiberin nun aus Zeitgründen aufgibt, könnten nicht triefender sein. „In einer Welt voller Fehlinformationen brachte maiLab Ordnung in Debatten“, heißt es zum Beispiel in der FAZ. „In der Corona-Pandemie zahlte sich genau das aus. maiLab-Fans waren zwar weder vor der Krankheit noch dem Lockdown gefeit, aber sie konnten die wirre Debatte besser verstehen. Und das, obwohl Nguyen-Kim zu dieser Zeit eine Mutterschaftspause einlegte.“ 

Wissenschaftsmutti der Nation

Ordnung in Debatten konnte auch Inge Meysel bringen, die „Mutter der Nation“, die stets ebenso kratzbürstig wie ungefragt anderen ihre Meinung geigte. „Ich will Ihnen mal was sagen!“ Kim aber besteche „vor allem mit ihrer ruhigen und sachlichen Art“ und nehme so „vielen Diskussionen die Hitzigkeit“. Das muss allen, die den evidenzlosen Corona-Maßnahmen einschließlich der Impfkampagne zum Opfer gefallen sind, wie blanker Hohn erscheinen. Der Pharmakologe Markus Veit kommentiert denn auch auf Twitter: „Kein Wort der Entschuldigung für die vielen Fehler, und vor allem die angeblich nebenwirkungsfreie Impfung“.

Im Juni 2021 trat Nguyen-Kim in der Carolin-Kebekus-Show auf. Frau Kebekus war bereits im September 2020 so charmant gewesen, mittels Durchsage in Kölner U- und S-Bahnen „Maskenverweigerer“ als Asoziale zu bezeichnen, obwohl diese sich zu jeder Zeit im Einklang mit der Wissenschaft befanden. Dass “Alltagsmasken” nichts gegen die Ausbreitung von Atemwegsviren in der Bevölkerung ausrichten, war sonnenklar. Während der Show gab Kebekus ein ebenso infantiles wie hochmütiges Werbelied für die Impfung zum Besten und wurde dabei von Nguyen-Kim am Klavier begleitet.

Diese behauptete dort: „Es geht nicht darum, zu fragen: Ich lass mich impfen oder nicht. Ich muss mich eher fragen: Entweder ich lasse mich impfen oder ich infiziere mich mit Corona. Das wird dann nämlich früher oder später passieren.“ Und weiter: „Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir das Virus nicht ausrotten. Das Virus geht nirgendwo hin, es wird höchstens noch mutieren. Das heißt, irgendwann werde ich mich damit anstecken. Die Abwägung ist also: Impfung oder Corona. Und dann wird es ziemlich klar, wie man sich rein rational entscheiden sollte.”

Als ob pure Infektion ein harter Parameter und die Infizierten allesamt des Todes wären! Laut Robert Koch-Institut infizieren sich pro Jahr bis zu 16 Millionen Menschen mit der Grippe. Zitat: „Die Zahl der Infektionen während einer Grippewelle – nicht jeder Infizierte erkrankt – wird auf 5 bis 20 Prozent der Bevölkerung geschätzt, in Deutschland wären das 4 bis 16 Millionen Menschen.” So what? Man beachte die Unterscheidung zwischen Infizierten und Erkrankten (Stand 21. September 2022).

Wissenschaftsgeschwurbel

Wie viele Menschen sich wohl von derlei Stumpfsinn haben überzeugen lassen? Nguyen-Kim will also Bürgern, wie dem Verfasser dieser Zeilen, erklären, was eine rationale Entscheidung ist: Ungeimpft, habe ich mich nie mit Corona angesteckt, hatte während der ganzen „Pandemie“ nicht mal einen Schnupfen. Selbst meine todkranke Mutter – voll mit Lungenmetastasen – hatte nicht einmal den Hauch einer Erkältung, nie einen positiven PCR-Test und war ebenfalls ungeimpft. Das Coronavirus war ihr geringstes Problem. Sie ist zwar nicht dem Tod, aber immerhin Nguyen-Kim von der Schippe gesprungen. 

Vor dem Corona-Terror konnte ich meine Mutter weitgehend bewahren, indem ich sie in ihrer Wohnung pflegte. Aggressiven Maßnahmenbefürwortern wie Nguyen-Kim verdankt sie aber, dass sie von einem Aufenthalt in einem guten Hospiz lieber Abstand nahm, was unter normalen Umständen – ohne Maskenterror, Isolation und Impfdiskriminierung – das Beste gewesen wäre. 

Jeder, der rational denken konnte, wusste, dass eine Impfung selbst dann kontraindiziert war, wenn sie regulär zugelassen gewesen wäre. Impfungen bringen bei Atemwegsviren nun einmal nichts. Wer nicht dumm oder korrupt ist, weiß das. Aber toll, dass wir eine Kim wie diese haben! Die erklärt einem so schön, dass man ein Idiot und Unmensch ist, wenn man ihr nicht zustimmt. So geht Wissenschaft. Vertrauen Sie den Experten!

Wissenschaftlich wäre zum Beispiel folgendes Vorgehen gewesen: Man schaut im Anhang der Zulassungsstudien die Gesamtsterblichkeit an. Die war in der Interventionsgruppe von Beginn an höher als in der Kontrollgruppe. Schon mal schlecht. Dann schaut man, ob die Studien ordnungsgemäß verblindet waren. Waren sie nicht. Unzureichend verblindete Studien verzerren selbst in hochklassigen Studien das Ergebnis im Schnitt um 68 Prozent in Richtung der gewünschten Wirkung.

Subtrahiert man nun 68 Prozent von der proklamierten Relativen Risikoreduktion (90 bis 95 Prozent), kommt man ziemlich genau auf die dreißig Prozent, die der damalige Mitherausgeber des British Medical Journal, Peter Doshi, bereits im Mai 2020 für den Pfizer-Wirkstoff errechnet hat. Zur Zulassung müssen es aber mindestens fünfzig Prozent sein. Das war’s. Man muss sich nicht einmal auf die Absolute Risikoreduktion beziehen. Der Marketing-Parameter Relative Risikoreduktion reicht schon, um das Ganze begründet zurückzuweisen. So etwas versteht vom Kind bis zum Greis jeder. „Wissenschaftskommunikatoren“ hingegen machen den Leuten mit klügelnder Schwurbelei und fiesen Drohungen ein X für ein U vor. Wer darauf hereinfällt, ist geliefert.

Zielgruppe verfehlt

Was die FAZ für eine ruhige und sachliche Art hält, ist in Wirklichkeit passiv-aggressives, zutiefst arrogantes Gehabe. Ihr eigenes Publikum, das sie stets mit „Freunde der Sonne“ anspricht, behandelt sie wie Minderbemittelte – das allerdings zu Recht. Laut FAZ bekundet sie nun, ihr Abschiedsvideo sei „das schwierigste maiLab Video ever“. Mit diesem Sprech will sie tatsächlich junge Leute erreichen. Es wirkt aber so, als erreiche sie vor allem „Junggebliebene“, die dergleichen für so angesagt halten wie den Jargon von Udo Lindenberg. Kein Wunder, dass sie nun im ZDF durchstartet.

Einer dieser „Junggebliebenen“ machte mich im April 2020 auf ein maiLab-Video aufmerksam. Damit wollte er mir endlich meine „coronaleugnenden“ Flausen austreiben und mich vorm „Abdriften in die Esoterik“ bewahren. Ich kannte Nguyen-Kim bis dahin nur vom Weghören, Wegsehen, Wegzappen, tat mir dann aber doch dieses Video an – einen „Virologencheck“. Was sie sich in ihrer „ruhigen, sachlichen Art“ dort leistet, schlägt allerdings dem Fass den Boden aus. 

Shame on you! MaiLabs „Virologencheck“ von 2020

Das Video hätte den Hinweis „Sponsored by Drosten & Friends“ enthalten müssen. Christian Drosten wird dort in den Himmel gehoben, Deutschland solle froh sein, ihn zu haben. Nein danke! Kekulé steht in dem Check geradezu als Scharlatan da und Streeck als kleiner Dummkopf, der seine Glaubwürdigkeit zu verspielen drohe. Warum? Weil er sich gegenüber Modellrechnungen skeptisch zeigt, während Nguyen-Kim zu berichten weiß, dass diese „immer besser“ würden und nicht mehr an einer einzigen Variablenänderung scheitern könnten. Wer’s glaubt, wird selig.

Nun gut, Nguyen-Kim ist bei „Scientists for Future“. Das erklärt einiges. Denn diese Organisation nährt sich ausschließlich von ungelegten Modelleiern, die ebenfalls „immer besser“, also immer zahlreicher werden. Preisfrage: Welche Evidenzklasse haben Modelle? Antwort: keine. Selbstverständlich gilt nach wie vor die GIGO-Regel Garbage In, Garbage Out. Es ist kein Problem, Abermillionen mögliche Tote zu modellieren, um dann die Differenz zu den realen Todeszahlen als gerettete Leben zu verbuchen. So etwas kann man den Leuten verkaufen. Der Bildungsstandort Deutschland macht’s möglich.

Nguyen-Kim hat Streeck aber vor allem auf dem Kieker, weil er für Lockerungen plädiert. Bar jedes empirischen Beweises behauptet sie, der seinerzeit noch offiziell milde Verlauf sei den Maßnahmen zu verdanken. Als Wissenschaftlerin hat sie offenbar nicht den geringsten Schimmer, wer hier die Begründungslast trägt: nämlich sie. Nicht Streeck muss sich rechtfertigen, weil er für Lockerungen plädiert, sondern sie, weil sie behauptet, die Maßnahmen wirken. 

Streecks Heinsberg-Studie zeigt, dass sich Corona nicht wesentlich von einer normalen Grippe unterscheidet, also sind nicht die Lockerungen erklärungsbedürftig, sondern die Maßnahmen. Kim verreißt die Heinsberg-Studie und bietet stattdessen was? Ihre „immer besseren“ Modelle. Es kümmert sie nicht, dass ein echter Fachmann, nämlich John Ioannidis, Streeck mit bestmöglicher Evidenz bestätigt hat. Seit 8. April 2020 lag eine entsprechende Risiko-Studie von Ioannidis und Kollegen im Preprint vor. Aber selbst Ioannidis galt zu dieser Zeit schon offiziell als „Schwurbler“. Grotesker ging es nicht.

Wahrheitsministerin to abgewöhn‘

Es stellt sich generell die Frage, was Nguyen-Kim dazu qualifiziert, als Wahrheitsministerin aufzutreten und irgendwelche Checks zu veranstalten, obwohl sie nicht weiß oder ignoriert, was die Prinzipien der empirischen Wissenschaft sind und wie die relevanten Daten korrekt ermittelt werden. Wäre sie an Aufklärung interessiert, hätte sie nicht über immer bessere Modelle fantasiert, sondern von Beginn an repräsentative Kohorten gefordert, aus denen valide Daten gewonnen werden können. So ist es nämlich gute wissenschaftliche Sitte.

Streecks Studie mag fehlerhaft gewesen sein, war aber damals der einzige Versuch, das Ganze auf eine empirische Basis zu stellen. Was hat Drosten unterdessen gemacht? Panik mittels PCR-Test. Das ist seine wissenschaftliche Schlüsselqualifikation und scheint der wahre Grund zu sein, warum Nguyen-Kim ihn lobt. 

Spricht es nun für sie, wenn man annimmt, dass sie es tatsächlich nicht besser weiß? Falls sie tatsächlich Einfluss auf junge Erwachsene hat, richtet sie dort gewaltigen Dachschaden an. Als wäre die junge Generation nicht schon indoktriniert genug! Beim ZDF wird Mai Thi Nguyen-Kim nun hoffentlich hinter dem „Alten“ und dem „Traumschiff“ endgelagert. Das Stammpublikum gehört indes zu den vulnerablen Gruppen. Es sollte sich daher vor dem jungen Ding in Acht nehmen und es nicht mit der netten Schwester aus der Schwarzwaldklinik verwechseln.

Klaus Alfs ist ausgebildeter Landwirt und Soziologe. Er arbeitet als freiberuflicher Autor und Lektor in Berlin.

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