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Petitionen – Bär schlägt Mensch 
Klaus Alfs

Petitionen – Bär schlägt Mensch 

Petitionen für den Bären, der Anfang April einen jungen Mann getötet hat, sammeln mühelos zehntausende Stimmen. Die Petition „Gerechtigkeit für Andrea Papi“ hat dagegen keine Chance. Das lässt tief blicken.

Auf change.org gibt es inzwischen acht Petitionen für die Bärin „JJ4“, die am 5. April in Norditalien den Jogger Andrea Papi zerfleischt und gefressen hat. Die erfolgreichste Petition hat den Titel „Non abbattete JJ4“, „Kein Abschuss von JJ4“. Bisher ist sie von etwa 56.300 Personen gezeichnet worden. Eine weitere kommt auf 6.300 Stimmen, während die anderen bislang nur im zwei- bis dreistelligen Bereich bleiben. Binnen kurzer Frist sind knapp 64.000 Unterschriften zur „Rettung“ der Bärin zusammengekommen. Das ist ungefähr das Zehnfache der Petition „Gerechtigkeit für Andrea Papi“, in welcher der Abschuss des Tieres und eine drastische Reduktion der Bärenpopulation gefordert wird. 

Einseitige „Bärichterstattung“

Das entspricht dem Tenor der Berichterstattung, wo immer wieder kritisiert wird, dass „reflexartig“ ein Abschuss gefordert werde, obwohl es doch viel bessere Lösungen gebe. In einem leider nicht online verfügbaren Kommentar der österreichischen Kleinen Zeitung philosophiert ein Redakteur darüber, dass der „Planet dem Menschen von Beginn an nicht alleine zustand“, und nennt angeblich vom Alfred-Wegner-Institut veröffentlichte Zahlen, wonach achtzig Prozent der natürlich vorkommenden Säugetiere und fünfzig Prozent der Pflanzen „weltweit passé“ seien.

Es ist nicht klar, auf welche Grundgesamtheit diese Zahlen bezogen sind und in welcher Einheit gemessen worden ist. Seit dem Jahr 1500 sind jedenfalls kaum mehr als 600 Wirbeltierarten nachweislich ausgestorben, die meisten vor dem zwanzigsten Jahrhundert; die meisten auf Inseln. Jedes Jahr werden zwischen 15.000 und 18.000 neue Arten entdeckt. Wissenschaftlich saubere Untersuchungen, die auf Daten und nicht auf freiem Fantasieren (Modellen) beruhen, finden an Land und im Meer keinerlei Rückgang der Biodiversität. Es ist aber klar vorauszusehen, dass viele Arten aussterben, wenn die Weidetierhaltung verschwindet. Auch seltene Nutztierrassen wie das Pinzgauer Rind oder die Heidschnucken werden verschwinden. Das interessiert die Leitartikler genauso wenig wie das Leid des Opfers. 

Zynischer geht es nicht

In der Petition „Rettet Gaia“ heißt es: „Bären sind Wildtiere, keine Monster. Sie greifen nicht grundlos Menschen an. Jedoch sollte man sich in ihrer Gegenwart richtig verhalten, um unerwartete Probleme oder Konflikte zu vermeiden. Ein Bär verteidigt sein Territorium und das sollten wir respektieren. In vielen anderen Ländern der Welt ist ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Wildtier möglich.“ Welche Länder das sein sollen, wird nicht verraten. Vielleicht Rumänien? Sogar die „Zeit“ hat nun bemerkt, dass es dort – gelinde gesagt – nicht rund läuft. Als „zynisch“ gelten im Artikel allerdings nicht die Naturschützer, sondern die bösen Jäger. Selbst im riesigen Kanada werden jährlich 800 Schwarzbären und vierzig Braunbären geschossen, die für Menschen zum Risiko wurden. 

Man fragt sich, was die Hinterbliebenen des grausam gestorbenen Andrea Papi mit solchen Sprüchen anfangen sollen. „Liebe Angehörige, Sie haben keinen Grund, sich zu beschweren, denn der Planet steht nun einmal nicht Ihrem Sohn allein zu. Er hat das Territorium der Bärin nicht respektiert. Woanders leben die Menschen friedlich mit den Bären zusammen. Ihr Sohn hat bekommen, was er verdient!“ 

In der Asymmetrie der Petitionen spiegelt sich jene kalte Menschenverachtung, die den Menschen unter dem Vorwand des Naturschutzes seit Jahrzehnten eingebläut worden ist. Wie Regina Stich vom Verein Save the Alpes kritisiert, zeige dies auch, dass die Opfer des professionell organisierten Pseudonaturschutzes nicht in der Lage seien, ihre eigenen Leute zu mobilisieren.

Die Kaskade ist wohl nicht mehr zu stoppen. Menschen, die von Großbeutegreifern getötet werden, sind keineswegs ungewollte Kollateralschäden. Wie man sehen kann, wird diesbezüglich systematische Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Deshalb gibt es auch kein Umdenken, weil Menschen sterben. Im Gegenteil. Je mehr Menschen sterben, desto größer deren vermeintliche Schuld.

Klaus Alfs ist ausgebildeter Landwirt und Soziologe. Er arbeitet als freiberuflicher Autor und Lektor in Berlin.

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