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Kulturpessimismus als ein geriatrisches Problem
Lew Schütz

Kulturpessimismus als ein geriatrisches Problem

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War früher alles besser? Ja und nein. Wenn Alkoholismus, Fatigue und Depression wirkliche Krankheiten sind, dann ist es erst recht der Kulturpessimismus. Er ist die eigentliche Krankheit zum Tode, von der Kierkegaard schon schrieb.

Es gibt Aussprüche, die immer wieder und wieder angebracht werden. Manche wurden so nie getätigt oder von ganz anderen Personen als zugeschrieben. Aber egal, ich erinnere hier an den Satz, „Wer mit zwanzig Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit vierzig Jahren noch ist, hat kein Hirn.“ Wahlweise entweder einem britischen Völkermörder, einem französischen Chauvinisten oder einem ebenfalls englischen Wagnerianer zugeschrieben.

Ich sage immer leise für mich hin, wenn ich so einen jungen dynamischen Menschen ausschreiten sehe, der durchaus über besondere Fähigkeiten und gute Manieren verfügt und alles richtig machen will: In fünfzehn Jahren bist Du bei der AfD. Das ist keineswegs hämisch gemeint, entspringt vielleicht eher einem Anflug von Melancholie. Denn gegen die Jugend kann überhaupt nichts gesagt werden. Sie ist heilig an sich und selbstheilend durch die Zeit. Jugend lässt sich nicht widerlegen. Sie widerlegt sich mit ihrem Schwinden selbst.

Ein Herz für Klimakleber, Gendertrouble, Veganer und Baumbesetzer. Die militante Veganerin hat vor ihrem Aktionismus eine Erfindung gemacht, durch die sie allzeit gerechtfertigt bleibt, was immer sie auch noch tun wird. Eine Wärmeflasche zum Umschnallen. Wenn das kein generationsübergreifendes Friedensangebot war. Die menstruierende Flinta wie der arthritische Frühgreis gürten sich mit etwas mehr menschlicher Wärme.

In der ersten Hälfte des Lebens hatte ich viele Freunde, die doppelt oder dreimal so alt waren wie ich. Jetzt aber ist es an der Zeit für Freunde, die halb so alt sind. Mit Ende zwanzig haben wir unsere Mission für die Gattung erfüllt. Auf physischer Ebene beginnt das Sterben. Natürlich zieht sich das hin, was es nicht unbedingt einfacher macht. Denn die Empfindung dieses Auflösungsprozesses beeinflusst unsere Weltsicht.

In seinen Aphorismen zur Lebensweisheit, und dieses Zitat kenne ich sicher, weil ich das Büchel mit 15 Jahren zum ersten Mal gelesen und auch größtenteils verstanden habe, meint Arthur Schopenhauer sinngemäß, das Leben ist wie eine kunstvolle Stickerei und in der ersten Hälfte sehen wir nur das Muster. Dann wird der Lappen umgekehrt und wir schauen die Verknüpfungen. Hinzuzufügen wäre Folgendes: Das, was uns daran fatal berührt, das wirkte schon immer mit. Daher nur rührte der Glanz des seidigen Musters.

Unsere jungen Freunde und ihr herrlicher Wahn schenken uns etwas zurück von dem, was uns entglitten ist. Die Liebe zu ihnen muss vorbehaltlos sein, sonst ist es keine Liebe sondern ein Urteil. Wenn wir die Spaltung zwischen politischen Lagern, Geschlechtern und Generationen aufheben wollen, dann müssen wir, die die Verknotungen sehen, hochherzig den ersten Schritt gehen. Mein lieber Freund, der Leipziger Schriftsteller Gunter Preuß, etwas mehr als anderthalb mal so alt wie ich, drückte es unnachahmlich aus: Heute leben die Leute länger und sterben früher. Er hat recht. Kulturpessimismus ist ein geriatrisches Problem. Jugend, wenn ich Dich liebe, was geht´s Dich an?

Lew Schütz ist studierter Kunstwissenschaftler und Kultursoziologe, der drei Jahrzehnte im Kulturamt einer großen Kreisstadt in Deutschland gearbeitet hat.

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