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Kommen Sie nicht nach Uruguay!
Folkard Wülfers

Kommen Sie nicht nach Uruguay!

Der Strand Playa Ramirez in Montevideo.

Dieses südamerikanische Land ist gefährlich, denn hier ist nichts verboten, außer vielleicht als Mann auf Frauentoiletten zu gehen und in öffentlichen Gebäuden zu rauchen.

Mein Peugeot-Pickup, Baujahr 1988 und ein Diesel, hat weder Katalysator, Gurt, TÜV oder Assistenzsysteme, und wer mit will, klettert einfach auf die Ladefläche. Dann fahren wir an den Sandstrand am Atlantik. Uruguay hat 600 Kilometer Strände, und die Bürger können überall ans Wasser, ohne Kurkarte, Zugangskarte oder Lebensberechtigungsnachweis. Einfach so. Und es ist trotzdem sauber. Wer angeln möchte, kauft sich in einem der zahlreichen Tante-Emma-Läden eine Angel und kann sie überall ins Wasser halten, ohne Angelschein. Der freie Zugang zum Wasser ist in Uruguay seit 2004 im Grundgesetz verbrieft.

Zuhause lege ich frisches Rindfleisch auf den Grill, den Parrillero, und die Holzkohle erzeuge ich aus Brennholz selbst im nebenstehenden Fumador. Man darf hier überall Feuer machen und tut das auch. Und wenn mir im Winter mal kalt wird, heize ich auch mit Holz. Kein Politiker sagt mir hier, wie ich mich zu waschen, wie ich mein Haus zu bauen oder was ich zu essen habe. Das Gefährlichste aber: Man begrüßt sich hier mit einer Umarmung (Abrazo) und einem Küsschen (Beso). Jedes Schulkind, erkennbar an der praktischen Schuluniform, wird vom Lehrer jeden Morgen mit einem Küsschen begrüßt. Wie unhygienisch und somit völlig unsolidarisch das doch woanders gesehen wird. Und seit 1916 ist Uruguay säkular. Sie müssten sich hier also um Ihren Glauben selber kümmern, denn die staatlichen Institutionen werden nicht durch Religionen beeinflusst.

Uruguay? Langweilig!

Die Republik Uruguay besteht seit 1825, ist neutral und hat weder am Ersten noch am Zweiten Weltkrieg teilgenommen. Dieses kleine Land hat kontrollierte Grenzen und ein funktionierendes, pünktliches öffentliches Verkehrssystem. Auch das öffentliche Gesundheitssystem funktioniert einfach. Beim Arzt kommen Sie dran, und Ihnen wird geholfen. Und wenn Sie ein Medikament brauchen – die uruguayische Pharmaindustrie fabriziert alles, teils in Lizenz. Die Müllabfuhr kommt zweimal pro Woche und die ersten 5.000 Liter Leitungswasser im Monat sind mit dem Grundbeitrag abgedeckt. Es gibt keine Körperschaften öffentlichen Rechts, keine Wasser- und Boden-Zweckverbände, keine Innungen oder Kammern, keine sogenannten Öffentlich-Rechtlichen; langweilig und gefährlich.

Und dann Natur, überall Natur. Selbst in der Hauptstadt Montevideo gibt es breite, baumbestandene Avenidas und schön angelegte Parks. Und Sandstrände. Mitten in der Stadt.

Haben Sie in letzter Zeit etwas über Uruguay in den Schlagzeilen gelesen? Nein? Sehen Sie: langweilig.

Und Uruguay ist klein, nur etwa halb so groß wie die heutige Bundesrepublik Deutschland. Aber weil es so langweilig ist, leben hier auch nur rund 3,5 Millionen Menschen. Gut, man lässt auch niemanden rein, der keine Papiere hat oder sich nicht selbst versorgen kann. Da wird die Luft schon dünn. Ach ja, die Luft: In Uruguay gibt es um die 12 Millionen furzende Rinder. Aber keinen Fernsehdoktor, der uns darauf hinweist, dass das schlecht für das Klima sei. Vielleicht scheint deshalb 2.800 Stunden im Jahr die Sonne.

Uruguay? Lieber nicht!

Hier bei mir auf dem Dorf, 50 Kilometer nördlich von Montevideo, gibt es drei kleine Tante-Emma-Läden, wo man fast alles bekommt. An der jeweils integrierten Bar auch etwas zu essen und zu trinken und man kann ein Schwätzchen halten. In jedem Dorf gibt es eine Schule, ein Sanitätszentrum und ein Gemeindezentrum. Der Bus kommt jede Stunde und hält genau da, wo die Passagiere ein- beziehungsweise aussteigen möchten. Neuerdings gehört auch ein Elektrobus zur Flotte.

Und die Nachbarn? Sie arbeiten mit der Familie auf ihren Höfen. Sie bauen Wein, Obst oder Gemüse an, züchten Rinder, Pferde, Schafe, Hühner und Gänse. Sonntags trifft man sich zur Fiesta auf der gepflegten Plaza. Und dann passiert etwas, ich wage es kaum zu schreiben: Die Schulkinder schwenken die uruguayische Flagge und rufen dazu „Viva la Patria!“ Das liegt nur daran, dass die hier keine „Schule ohne Rassismus“-Schilder haben. Das alles muss dringend reorganisiert, reformiert und abgewickelt werden. Vielleicht hilft dabei das landesweit verfügbare WLAN. Oder ihr schickt mal den Cem, den Robert und die Anna-Lena mit ein paar Klimaklebern. Ach nee, hier kommt ja nur rein, wer sich selbst versorgen kann.

Folkard Wülfers ist Evolutionsbiologe und arbeitete über 30 Jahre für die pharmazeutische Industrie. Mit seiner Familie lebte er auf einem selbst renovierten Niedersachsenhof bei Bremen und führte dort auch einen Wein- und Kunsthandel. Seit 2022 lebt er in Uruguay, einem Land, dass er seit 2011 immer wieder besuchte. Aktuell arbeitet er an einem Buch über die Corona-Jahre aus der Perspektive eines Pfizer-Mitarbeiters.

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