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Versteckte Manipulation: Warum der alte weiße Mann verteufelt wird
Gender-Politik

Versteckte Manipulation: Warum der alte weiße Mann verteufelt wird

Foto: Langen Müller Verlag

Verweiblichung der Gesellschaft, Verdummung und Spaltung – das erreicht die Identitätspolitik mit ihrem Feindbild des „alten weißen Mannes“. Was hinter dem „Sündenbock der Nation“ steckt, erklärt Norbert Bolz im Interview.

Norbert Bolz sorgt als Medienwissenschaftler für Aufsehen – er kritisiert „woke“ Ideologien und bezeichnet Gender-Studies als „Voodoo-Wissenschaften“. Nachdem er Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaft studiert hatte, habilitierte er 1987 und arbeitete bis 2018 als Professor der Medienwissenschaften an der Technischen Universität (TU) Berlin. In seinem neuen Buch erklärt er, wer in aktuellen Debatten als der einzig Schuldige für das heutige Übel dargestellt wird: Der alte weiße Mann.

So lautet auch der Titel seines neuen Buches. „Alt“ steht gesellschaftlich für Tradition und Erfahrung, „weiß“ für die europäische Rationalität und technische Naturbeherrschung und ,,männlich“ für Mut, Risiko und Selbstbehauptung. Doch warum ist er das Objekt der kollektiven Schuldzuweisung?

Herr Bolz, wie nehmen Sie als Medienwissenschaftler die derzeitige Debattenkultur wahr?

Es gibt keine, es wird nicht debattiert. Es gibt nur Hass und Wut; eine Spaltung der Gesellschaft in Gut und Böse, moralisch und unmoralisch. Die Spaltung kann ich nicht mehr politisch, sondern nur noch religiös interpretieren.

„Religiös interpretieren“, wie meinen Sie das?

Die manichäische Spaltung ist ein tief religiöser Zug gewisser Sekten, die es in der Geschichte des Abendlandes immer wieder gab und die wir auch jetzt wieder beobachten können. Es geht nicht um rechts gegen links oder widerstreitende politische Ideen, sondern um die Verachtung der anderen Meinung. Die Öffentlichkeit dominiert eine kleine, sich sehr gut artikulierende Gruppe; der Rest ist die schweigende Mehrheit.

Was ist das Problem der öffentlichen Kommunikation?

Durch das Gendern und die Tabuisierung bestimmter Ausdrucksformen überlegen Leute, was sie noch sagen dürfen und wie sie sich richtig ausdrücken. Das hat zur Folge, dass Personen nicht mehr frei denken – schließlich überlegen sie, ob und wie sie bestimmten Sprachcodes folgen. Das Gendern ist eine diktatorische Maßnahme von Sprachtyrannen und Gehirnwäsche. Besonders an den Universitäten und im akademischen Bereich ist es gelungen, das zu institutionalisieren – an den Orten, wo ein freier Geist besonders wichtig ist.

Viele Menschen finden nicht gut, was passiert. Sie nannten es die „schweigende Mehrheit“. Warum schweigen so viele und begehren nicht auf?

Ein Grund ist: Die Leute haben zu tun; sie arbeiten. Immer wieder erlebe ich es in Unterhaltungen mit ganz normalen Menschen, dass sie von dem Wahnsinn nichts wissen und beispielsweise „wokeness“ nicht kennen. So ist die politische Welt eine andere, als wenn man sich über den Zaun mit den Nachbarn unterhält.

Zum anderen sind die durchschnittlichen Bürger meist recht unartikuliert und rhetorisch untrainiert – schließlich sind sie es nicht gewohnt, zu diskutieren. Normale Leute fühlen sich durch die sprachlich trainierten Politiker vor den Kopf gestoßen. Wenn außerdem behauptet wird, dass alle Wissenschaftler und Experten dieselbe Meinung hätten, traut sich ein normaler Mensch nicht mehr, etwas dagegen zu sagen.

Wie sieht es mit Journalisten und Wissenschaftlern aus, die einer anderen Meinung sind, das rhetorische Handwerk hätten, in den Widerstreit zu gehen und trotzdem schweigen?

Das kann ich an meinem eigenen Fall gut exemplifizieren. Ich selber war nicht direkt betroffen, konnte aber dennoch spüren: Es ist nicht förderlich, öffentlich gegen den Strom zu schwimmen, wenn man Karriere machen möchte. Jüngere Personen werden zudem besonders vorsichtig sein. Jemand, der 35 Jahre alt ist und ein Familie versorgen muss, wird eher schweigen. Insofern nehme ich alle in den Schutz, die das Ende ihrer Karriere voraussagen können, sobald sie gegen den grün-roten Mainstream schwimmen.

In Ihrem Buch erklären Sie, dass das Wort „weiß“ für moderne Technik steht. Ist es nicht auch ein technischer Fortschritt, dass E-Autos gefördert werden?

Kritiker der „alten weißen Männer“ sind gegen moderne Wissenschaft, gegen moderne Technik und wollen die Rückentwicklung der modernen Gesellschaft, auch Deindustrialisierung oder „degrowth“ genannt. E-Autos sind eine Innovation. Es soll Personen aber nicht freigestellt sein, sich eines zu holen oder auch nicht. Das Ziel der Politik ist: E-Autos und nichts anderes – Alternativen sollen verboten werden. Das sind Einschränkungen, die den technischen Fortschritt verhindern.

Die Grünen haben eine Technologiefeindschaft; das zeigt sich vor allem an ihrem Identitätsthema Atomkraft. Unsere Nachbarländer bauen alle Atomkraftwerke, obwohl sie zunächst auch aus der Atomkraft aussteigen wollten. Parallel dazu bauen sie aber auch Windkrafträder, Solaranlagen und Wärmepumpen aus. Sie machen keine religiöse Askese aus dem Thema.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Gesellschaft heute infantil sei und das historische Gedächtnis verliere. Was hat die Schuldfrage mit der Debatte um „alte weiße Männer zu tun“?

Die alten weißen Männer werden für alles Böse auf der Welt verantwortlich gemacht. Das ist an drei großen Erbsünden des alten weißen Mannes erkennbar: Dem Rassismus von Schwarzen in Amerika, dem Kolonialismus von Frankreich und England und dem dritten Reich der Nazis in Deutschland.

Die Schuld ist unendlich, nicht aber immer konkret festzumachen. In Deutschland ist es relativ einfach; bezüglich des Kolonialismus wird es aber schon schwieriger. England hat Ländern durch den Kolonialismus schließlich auch zu einem Rechtssystem und zur Industrialisierung verholfen. Und die Geschichte des Rassismus ist bei den Arabern sehr viel größer als in Amerika. Außerdem haben die Amerikaner den Kampf gegen die Sklaverei aufgenommen. Das Bild ist also sehr komplex – für die infantilen Köpfe in Politik und Medien hierzulande zu komplex. Sie wollen einfache Bilder vom Sündenbock reproduzieren. Insgesamt sehen wir eine immer weiter zunehmende Polarisierung. Die Welt driftet auseinander: Die Klugen werden immer klüger, und die Dummen werden immer dümmer. Der Effekt ist auch unter dem Begriff „Abweichungsverstärkung“ bekannt.

Kann man also von einer Auslöschung der Erinnerung sprechen, weil das Feindbild gegen „alte weiße Männer“ geschaffen wird, anstatt tatsächlich über die Vergangenheit zu sprechen?

Es wird versucht, mit einem Schwamm über die Geschichte zu wischen. Das ist vor allem daran zu erkennen, dass die Cancel Culture kaum ein Buch akzeptiert, welches früher geschrieben wurde und N-Wörter oder F-Wörter enthält – damit würden Hass und Hetze gefördert werden.

Für mich kommt die Cancel Culture einer Taliban des Westens gleich. Sie hat das Ziel, wie auch schon Orwell und Huxley beschrieben haben, die Geschichte neu zu schreiben; und zwar so, als würde die Welt in den 70er Jahren mit Vernunft ohne die teuflische Herrschaft des „alten weißen Mannes“ entstehen.

Warum haben Identitätspolitiker, die „alte weiße Männer“ kritisieren, ein Problem mit den Eigenschaften von Männern, also „Freiheitsdrang, Stolz, Mut, Selbstständigkeit und Individualität“? Ich persönlich würde nicht sagen, dass es per se Eigenschaften von Männern sind.

Der Witz des Schlusskapitels meines Buches ist, dass es „Männlich“ heißt und nicht „Mann“. Ich habe ein Schema aufgebaut, in dem sich Mann und Frau sowie männlich und weiblich orthogonal gegenüber stehen. Das heißt: Es gibt männliche Männer und weibliche Frauen, die haben früher die Gesellschaft geprägt. Und es gibt weibliche Männer und männliche Frauen, die heute die Gesellschaft prägen. Insofern ist es richtig, dass die Eigenschaften „Mut, Souveränität, Durchsetzungsvermögen, Aggressivität“ auch bei Frauen zu finden sind. Es sind aber Eigenschaften, die männlich assoziiert sind.

Die Unterscheidung Mann oder Frau darf nicht verwechselt werden mit der Unterscheidung männlich oder weiblich – es ist nicht dasselbe. Die Emanzipation der Frau war im Wesentlichen der Versuch, die Identität des Weiblichen aufzulösen – Frauen wollten sich Weiblichkeit nicht festschreiben lassen.

Die Identitätspolitik hat meines Erachtens das Ziel, dass die Gesellschaft zu einer weiblichen, unselbstständigen Gesellschaft heranwachsen soll. Menschen werden infantilisiert und verweichlicht, damit letztlich auch verweiblicht. An der Spitze davon werden ironischerweise männliche Frauen stehen.

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