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Die Sternstunden eines Dokumentaristen
Porträt

Die Sternstunden eines Dokumentaristen

Der Dokumentarfilmer Karl Farber.

Foto: Foto: Hannes Henkelmann

Über den Bau der „Druschba-Trasse“, der Kooperation von Kosmonauten mit der NASA, visionäre Schöpferkraft und kritisch aufgeklärten Bürgersinn sprach Hannes Henkelmann mit dem Dokumentarfilmer Karl Farber.

Hannes Henkelmann: Stellen Sie sich doch bitte vor.

Karl Faber: Ich bin 77 Jahre alt und lebe in der Nähe von Potsdam. Ich habe Kameramann an der Film-Hochschule in Babelsberg studiert und bis 1989 für die DEFA künstlerische Dokumentarfilme fürs Kino gedreht. Nach dem Mauerfall bin ich als Dozent an die Filmhochschule zurückgekehrt und habe dort mit großer Freude, jungen Menschen poetische Filme mit osteuropäischer Ästhetik vorgestellt. 

Während in der DDR die Beschränktheit der Partei meine Arbeit erschwerte, griff später in der BRD die Ökonomie zu sehr in die Kultur ein.

An welchen Filmen waren Sie beteiligt?

Als junger Kameramann hatte ich Ende der Siebziger Jahre die Chance, in der Sowjetunion den Bau der „Druschba-Trasse“ – heute besser bekannt als „Nord Stream 1“ – zu dokumentieren. Die DDR war für den Bau des ungefähr 500 Kilometer langen Teilstücks von Krementschug bis Uskgorod, also quer durch die Ukraine, zuständig. Neben der aufwändigen Rohrverlegung ging es auch um die riesigen Verdichterstationen, die ja vor kurzem durch die Presse bekannt geworden sind. Aber die heimlichen Helden des Pipelinebaus waren natürlich die Schweißer.

Noch mehr beeindruckte mich jedoch die Begegnung mit den Menschen, die im Umland wohnten. Offiziell waren es die Sowjetbürger, denn wir unterschieden ja noch nicht zwischen Russen und Ukrainern. Dieses schlummernde Spannungsfeld blieb uns damals weitgehend verborgen. Ich hatte unvergessliche Erlebnisse, die in mir das Thema, jener so viel beschworenen „Russischen Seele“ hervorriefen, welche ich nur aus der Literatur kannte.

Obwohl wir Deutschen den Russen einst viel angetan haben, traf mich niemals Hass. Gerade von den älteren Frauen, deren Gesichter von viel Leid gezeichnet waren, ging gegenüber uns jungen Männern eine milde mütterliche Güte aus, die mich tief berührte. Eine Menschlichkeit, die etwas mit Vergebung, gar mit Erlösung zu tun hatte.

Welches weitere Projekt war für Sie wesentlich?

Es ist die Geschichte einer beglückenden Kooperation, buchstäblich Sternstunden, zwischen amerikanischen Astronauten und einem russischen Kosmonauten im Jahre 1994. Einige Fachleute der NASA waren von dem Langzeitaufenthalt eines russischen Kollegen Sergei Krikaljow, der eineinhalb Jahre im Weltraum zugebracht hatte, so beeindruckt, dass sie ihn zu einem gemeinsamen Flug auf der Raumfähre Discovery einluden. Krikaljow wurde so der erste russische Kosmonaut, der in einem US-amerikanischen Raumschiff eine Woche lang die Erde umkreiste.

Wir drehten Start und Landung der Discovery, und während im Orbit die Raumfahrer die Erde umkreisten, dokumentierten wir das alltägliche Leben in der Kleinstadt Titusville, die unweit der Startrampen lag. Zwei Welten begegneten sich unmittelbar: Hier die Erhabenheit visionärer Schöpferkraft, und dort der gewöhnliche menschliche Alltag, jene stille, normale Voraussetzung für alle großen Würfe der Menschheit.

Damals gab es noch Hoffnungen, ein Stück Vertrauen und wissenschaftlichen Austausch zwischen Ost und West, über alles ideologisch Trennende hinweg.

Was sagen Sie zu den aktuellen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen?

Die Entspannungspolitik mit so großen Namen wie Willy Brandt und Olof Palme trägt keine Früchte mehr. Und mit gewisser Wehmut rufe ich mir die hoffnungsvollen Zeiten des Aufbruchs nach dem Mauerfall in Erinnerung: die Vision eines Michael Gorbatschow vom gemeinsamen Haus Europa.

Ein weiterer für mich historisch gewichtiger Moment: die Rede eines Wladimir Putin im Bundestag in deutscher Sprache, die mit stehendem Applaus quittiert wurde. Damals schien noch vieles offen und möglich.

Doch es kam anders. Die Ära der Entspannungspolitik nahm mit dem Regime-Change in Kiew schließlich ihr trauriges Ende und nun stehen wir besonders seit dem „Bruderkrieg“ Ukraine-Russland vor einem Scherbenhaufen.

Haben Sie eine Idee, wie man die Region dauerhaft befrieden könnte?

Nun, mein Zauberwort heißt: entmilitarisierte Zone. Vor Jahren habe ich mal Åland besucht. Ich entdeckte die friedliche Inselgruppe zwischen Stockholm und Helsinki und war bei meiner Ankunft beglückt vom Anblick eines riesigen Plakataufstellers: „Willkommen in der entmilitarisierten Zone!“

Den eigensinnigen Ålandern ist es 1921 gelungen, sich diesen Status beim Völkerbund vertraglich zu sichern. Er gilt bis heute. Åland ist so eine Art neutraler Zwergstaat. Mit ihrer entmilitarisierten Zone sicherten sie sich zwischen den damaligen großen Rivalen Dänemark, Schweden und Russland ihre Eigenständigkeit.

Dieses vielleicht etwas naiv anmutende und auch für mich so anrührende Beispiel verkörpert ein wichtiges Prinzip. Immer leiden die kleinen, schwachen Völker oder Ethnien in ihrer Unschuld unter dem Gerangel der Mächtigen. Aber dieses naive Beispiel birgt die einzige Lösung des Ukrainekonfliktes: Durch Entmilitarisierung und Neutralität wird die Ukraine zum Brückenstaat. Nur so kann Frieden in Europa gedeihen. Es bedarf jedoch des Scharfsinns des Einzelnen und der Wachheit und des Rückhaltes der Vielen.

Was fehlt uns noch zur Befriedung der Welt?

Helfen kann meines Erachtens nur kritisch aufgeklärter Bürgersinn, der zwischen „bequemer Tagesschau-Lüge“ und „bitter erarbeitetem Durchblick in Richtung Wahrheit“ im Mediendschungel zu unterscheiden gelernt hat. Diese Erfahrung fasse ich mal lakonisch zusammen:
Zu Hitlers Zeiten hörte man London.
Zu Honeckers Zeiten schaute man Westfernsehen.
Zu heutiger Zeit muss man ins Internet.

Mein persönliches Credo ist auch die grundsätzliche Einsicht des Gelehrten Hans Peter Dürr, der uns erinnert: Wem schenken wir unsere mediale Aufmerksamkeit? Dem lauten, sensationellen Stürzen nur eines Baumes oder dem stillen, friedlichen Wachsen des ganzen Waldes?

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