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Überwiegt in Washington Vernunft oder Hysterie?
Ukraine-Krieg

Überwiegt in Washington Vernunft oder Hysterie?

Foto: Pexels/Megapixelstock

Für die Biden-Administration läuft es weder innenpolitisch noch in der Ukraine gut. Dennoch besteht die Gefahr, dass die US-Neocons den Konflikt weiter eskalieren – mit Angriffen auf Pipelines und noch offenerer Beteiligung am Luft- und Bodenkrieg.

Die Zustimmungswerte zu Joe Biden sind laut einer Umfrage von Mitte Mai auf 36 Prozent gefallen, ein verheerenden Wert für einen amtierenden Präsidenten. Sogar unter den Unterstützern der Demokraten gibt es eine Mehrheit von 58 Prozent, die sich einen anderen demokratischen Präsidentschaftskandidaten wünscht.

Dazu kommen die Finanzprobleme der Regierung, die in der Kontroverse um die Schuldenobergrenze zum Ausdruck kommt. Außerdem ist ein immer größerer Teil der Amerikaner gegen weitere Milliardenhilfe für das ukrainische Regime.

Und schließlich läuft der Krieg in der Ukraine nicht nach Plan. Nicht nur hat die russische Seite in Bachmut zehntausende ukrainische Soldaten zermalmt und einen wichtigen symbolischen Sieg errungen. In Kiew hat eine russische Kinzhal Hyperschall-Luft-Boden-Rakete ein US-Luftabwehrsystem Patriot zerstört, ein schwerer Schlag für die US-Rüstungsindustrie. In der Folge vernichtet Russland nun offenbar systematisch die Depots, in denen die Ukraine die westlichen Waffenlieferungen lagert. Das betraf wohl auch ein Lager mit britischer Uranmunition in der Westukraine – mit anschließender radioaktiver Verseuchung bis nach Polen.

Neocons und Eskalation

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Regierung, die mit den Rücken zur Wand steht, eine militärische Konfrontation sucht. Bei untergehenden Imperien ist die Gefahr ohnehin groß, dass versucht wird, die ungünstige ökonomische und politische Entwicklung durch Gewalt zu bremsen. In der US-Regierung spielen außerdem die Neocons, etwa Anthony Blinken oder Victoria Nuland, eine wichtige Rolle, russlandfeindliche ideologische Fanatiker, denen alles zuzutrauen ist.

Diese Leute standen schon hinter dem Maidan-Putsch in Kiew 2013/14, hinter dem Krieg gegen den Donbass, hinter der immer weiteren Aufrüstung der Ukraine und ihrer Neonazi-Formationen, hinter der Ankündigung, die Ukraine in die Nato aufzunehmen und dort US-Atomraketen zu stationieren, hinter der Ablehnung russischer Vorschläge gegenseitiger Sicherheitsgarantien, hinter dem verschärften Angriff auf den Donbass im Januar 2022.

In den vergangenen Monaten wurde unter US-Ägide die westliche Beteiligung am Krieg um die Ukraine immer mehr ausgeweitet: „ehemalige“ Nato-Soldaten in ukrainischen Uniformen, technisch-logistische Unterstützung, zuletzt die Panzerlieferungen und nun als nächster Schritt die von F16-Kampfflugzeugen.

Neue Provokationen

Jetzt aber deuten sich auf mehreren Ebenen neue Provokationen an, die möglicherweise von den USA oder von der Ukraine mit Hilfe der USA vorbereitet werden. Nach Mordanschlägen auf die russische Journalistin Darja Dugina und den Militärblogger Wladlen Tatarski, hinter denen höchstwahrscheinlich der ukrainische Geheimdienst stand, folgte der Drohnenangriff auf den Kreml und der Überfall eines Neonazi-Trupps auf Zivilisten in der russischen Grenzregion von Belgorod. Auch die New York Times geht davon aus, dass das verdeckte Operationen der Ukraine sind. Und Kyrylo Budanow, Chef des Militär-Geheimdienstes der Ukraine, sagte Anfang Mai ganz offen, dass man überall auf der Welt Russen getötet habe und das weiterhin tun werde. Dies geschieht wohl kaum ohne dem prinzipiellen Einverständnis der USA.

Weit gefährlicher als solche terroristischen Aktionen sind aber offenbar geplante Angriffe gegen Pipelines im Schwarzen Meer. Am 24. Mai attackierte eine unbemannte ukrainische Marinedrohne mit Sprengstoff das russische Schiff Iwan Khurs, das zur Bewachung der Turkstream-Pipeline im Einsatz war. Die Drohne wurde offenbar abgeschossen, ob die Iwan Khurs beschädigt wurde, ist unklar. Offenbar ging es bei der Attacke darum, den Schutz der Pipeline zu beseitigen, damit die Ukraine die Turkstream-Pipeline ungehindert sprengen kann.

Das ist eine beunruhigende Operation. Immerhin würde sie sich nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen die Nato-Staaten Türkei und Ungarn richten, die über diese Pipeline russisches Öl bekommen und die beide in der Ukraine-Frage gegenüber den USA nicht gehorsam agieren. Außerdem führten die Ukrainer diesen Angriff im Bosporus durch, also weit von der Ukraine und nahe der Türkei. Das wiederum lässt vermuten, dass die Ukraine von den USA Echtzeit-Informationen bekommen hat, um das russische Schiff ins Visier zu nehmen – konkret von einer US-Drohne RQ-4, die in der Nähe gewesen sein soll. Wie lange die Russen solchen Operationen zusehen, wird sich zeigen – und auch der türkische Präsident könnte weniger unterwürfig agieren als Olaf Scholz nach der Sprengung von Nord Stream.

Nato-Angriff über Luftwaffenübung?

Von 12. bis 24. Juni 2023 soll nun in Europa, geleitet vom deutschen Ramstein aus, die großangelegte Nato-Luftwaffenübung „Air Defender 23“ stattfinden – „die größte Einsatzübung seit der Gründung der Nato”, wie es vom Nato-Hauptquartier heißt. Es werden mehr als 20 verschiedene Flugzeugtypen und Flieger aus 24 Nationen gemeinsam Luftkriegseinsätze über Deutschland, aber auch über Osteuropa an der Nato-Grenze üben, um „an der Ostflanke der Nato Stärke zu zeigen“.

Der in Moskau lebende australische Journalist John Helmer befürchtet, dass unter dem Deckmantel dieser Übung Nato-Flugzeuge direkte Angriffe auf Russland starten werden (https://johnhelmer.net/bravado-before-capitulation-will-russian-defeat-of-us-patriot-missile-be-followed-by-ukrainian-f-16-attack-during-the-nato-air-defender-23/). Der Einsatzplan sehe vor, vom rumänischen Luftraum im Süden und von den baltischen Staaten im Norden aus anzugreifen, und zwar unter dem Schutz von US-amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen, die angeblich von ukrainischen Piloten gesteuert werden, aber von mehr als zweihundert US- und Nato-Flugzeugen, einschließlich des modernsten US-Luftkampfjägers F-35, betankt, gelenkt und bewacht werden.

Dieser Plan für Luftoperationen der USA und der Nato gegen Russland, der seit Beginn der russischen militärischen Sonderoperation im Februar 2022 in Vorbereitung sei, folge auf die Niederlage der ukrainischen Bodentruppen bei Bachmut und die strategische Niederlage des US-Raketensystems Patriot bei Kiew durch die russische Hyperschallrakete Kinzhal am 16. Mai.

Die Nutzung von Nato-Übungen zur Verschleierung aktiver Angriffe auf russische Ziele sei erstmals im vergangenen September demonstriert worden, als die Nord-Stream-Pipelines im Anschluss an die Baltops-Marineübung gesprengt wurden. Und kürzlich, am 13. Mai, sei ein von den USA gesteuerter Hinterhalt auf russische Flugzeuge geprobt worden, als ein Su-34-Kampfbomber, eine SU-35-Luftabwehreskorte und zwei Mi8-Hubschrauber gleichzeitig getroffen und im russischen Luftraum über der Region Brjansk abgeschossen wurden.

Pensionierte US-Militärexperten würden nicht glauben, dass die Lieferung alter F-16-Flugzeuge an Kiew die Luftverteidigungs- oder Luftangriffsfähigkeiten gegen Russland wesentlich verbessert. Die F-16 für die Ukraine seien eine Tarnung für einen viel tiefer gehenden Angriffsplan der Nato – die F-16 lediglich als Deckung für US-F-22 oder andere US-Flugzeuge aus dem rumänischen oder polnischen Luftraum.

Russland werde, so Helmer, entsprechend reagieren. Wenn Polen oder Rumänien einer „ukrainischen” F-16 erlauben, von einem örtlichen Flugplatz aus zu starten, um russische Streitkräfte anzugreifen, werden polnische und rumänische Luftwaffenstützpunkte zu russischen Raketenzielen, so wie es die Patriot-Batterien waren.

Nato-Truppen in Ukraine?

Noch weiter gehen die Befürchtungen des Golfkriegsveteranen, Militärtheoretikers und ehemaligen Pentagon-Beraters Colonel Douglas McGregor. Sollte das Regime in Kiew in der Konfrontation mit Russland eine Niederlage erleiden, könnten die USA und die Nato ihre Truppen in die Ukraine schicken. Solche Pläne werden laut MacGregor bereits ausgearbeitet.

„Die Stimmung in Washington ist weiterhin auf der Seite Kiews. Meine Befürchtung ist, dass amerikanische Luft- und Bodentruppen zusammen mit Nato-Kräften in letzter Minute in die Westukraine gebracht werden könnten, um die ukrainische Regierung irgendwie vor der totalen Zerstörung zu retten”, sagte MacGregor in einem Interview mit dem Youtube-Kanal Judging Freedom am 23. Mai (https://www.youtube.com/watch?v=OIzvtb1ZwW4).

Was Washingtons Interventionspläne in der Ukraine betrifft, so ist der ehemalige Pentagon-Berater nicht der erste, der davon spricht. Ein ähnliches Szenario wurde Mitte März von Seymour Hersh, dem bekannten amerikanischen Journalisten und Autor der Untersuchung über die Sabotage von Nord Stream, geäußert. Nach seinen Worten wäre der Auslöser für ein direktes Eingreifen der USA in den Konflikt das Risiko einer Niederlage Kiews.

Dass die US-Führung gegen Russland bis zum letzten Ukrainer kämpfen lassen will, wird von vielen so gesehen. Aber ob die extremistischen Neocons, von denen viele wie Blinken und Nuland selbst familiäre Wurzeln in Osteuropa haben, nach den Debakeln im Irak und in Afghanistan durchsetzen können, US-Soldaten in erheblich größerem Ausmaß als bisher in die Ukraine zu entsenden, ist fraglich. „Normale“ amerikanische Patrioten wollen keine US-Soldaten für das korrupte Regime in Kiew auf die Schlachtbank führen.

Propagandanebel

Bei all den Meldungen über den Krieg in der Ukraine ist schwer zu sagen, wie viel davon wahr, möglich oder gezielt falsch ist, was durchgesickert ist und was gestreute Irreführung. Das kann auch für die oben genannten Eskalationsgefahren gelten. Immerhin gab es in den letzten Monaten schon einige Szenarien, die nicht eingetroffen sind – etwa eine Eskalation um das Atomkraftwerk Saporischschja oder die Eröffnung einer weiteren Front in Moldawien. Dass etwas nicht eingetroffen ist, muss freilich nicht bedeuten, dass es nicht Planungen in diese Richtungen gab.

Zu hoffen ist, dass in den US-Eliten rationale Kräfte, von Großkapitalisten wie Elon Musk über die RAND-Foundation bis zum Pentagon, eine völlige Eskalation in Richtung offener Krieg mit Russland abwenden. Sicher ist aber, dass die Leute um und hinter Biden nicht rational, sondern geradezu hysterisch agieren. Sie könnten – mit dem Rücken zur Wand stehend – um sich schlagen. Ob sie in den Entscheidungszirkel noch die Macht haben, die Welt in den Abgrund zu reißen, kann bezweifelt werden.

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