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Pulverfass Argentinien – Leben mit der Hyperinflation
Wirtschaftskrise

Pulverfass Argentinien – Leben mit der Hyperinflation

Der Obelisk in Buenos Aires.

Foto: Pexels/Alex Rivas

Die Situation in Argentinien spitzt sich zu. Politische Inkompetenz bringt das Land an den Rand der Staatspleite. Ausbaden müssen es die Bürger.

Der Dauerausnahmezustand gehört zum argentinischen Lebensalltag. Jahrzehntelanges politisches Missmanagement hat die nationalen Reserven verbraucht und die Geldentwertung befeuert. Seit dem Milliardenkredit vom Internationalen Währungsfond (IWF) im Jahr 2018 ist das Land hoch verschuldet. Vier von zehn Argentiniern leben unter der Armutsgrenze, zeigen die Daten des Nationalen Instituts für Statistik und Volkszählung (Indec). Zwei Corona-Jahre und die Auswirkungen des Ukrainekriegs und der Sanktionen gegen Russland auf die Weltwirtschaft haben die Situation noch verschlimmert.

Mit schwindelerregenden 108,8 Prozent zählt Argentiniens jährliche Inflationsrate zu den höchsten weltweit, unter den G20 belegt das Land damit den ersten Platz. Für den Monat April wurde mit einer Steigerung von 8,4 Prozent ein neuer Rekordwert erreicht. Das ist der höchste Stand seit der Corralito-Krise 2001 – damals wurde der Bargeldverkehr beschränkt. Besonders betroffen von den heutigen Preissteigerungen sind Nahrungsmittel und Bekleidung. Als drastische Gegenmaßnahme kündigte Wirtschaftsminister Sergio Massa am Montag, dem 15. Mai, die Erhöhung des Leitzins auf fast 100 Prozent an. Ein „kläglicher Versuch“ findet Finanzberater Miguel Miguel, weil sich die Effekte von Zinserhöhungen erst nach Monaten zeigen.

Flucht ins Ausland

„Wir leben hier in einem permanenten Kampf“, erklärt Sol (Name der Redaktion bekannt) aus Buenos Aires. Als staatlich angestellte Lehrerin ist sie noch besser gestellt als der Durchschnitt ihrer Landsleute, weil auch ihr Gehalt monatlich etwas steigt. Freilich nicht parallel zur Inflation. Sie lebt wie so viele von Tag zu Tag, denn langfristiges Planen ist in Argentinien kaum möglich. „Die Menschen schuften sich hier ab, um ihre Grundbedürfnisse zu decken“, sagt die 37-Jährige. Dabei haben die meisten schon zwei oder drei Jobs, um über die Runden zu kommen.

Für die Bürger birgt jeder Gang zum Supermarkt unschöne Überraschungen. Weil die Preissteigerungen über Nacht kaum einschätzbar sind, lassen viele das unpraktische Bargeld zu Hause und zahlen mit Karte. Wer in Argentinien sparen will, versucht an US-Dollar zu kommen. Doch die sind heiß begehrt und der Wechselkurs auf dem Schwarzmarkt für den „Dollar Blue“ doppelt so hoch wie der offizielle. Als letzten Ausweg aus dem ökonomischen Zangengriff sehen viele Argentinier die Flucht ins Ausland und bemühen sich um Daueraufenthaltsgenehmigungen für Spanien oder Italien.

Erschwert wird die brenzlige Lage in Argentinien noch durch die große gesellschaftliche Spaltung. Die Lager der Sozialisten und Konservativen befinden sich im permanenten Zwist. Keiner der Blöcke hat, wenn er an der Macht ist, entweder genug Zeit, die Fehler des Vorgängers zu beheben, oder die ehrliche Absicht, einen Wandel herbeizuführen. Und die Menschen verkennen, dass sie gegen einander aufgehetzt werden, während sie vor allem Zusammenhalt brauchen, um voranzukommen. Am 22. Oktober 2023 stehen erneut Präsidentschaftswahlen in Buenos Aires an. Wird das Spiel weitergehen?

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