ressorts.
Patienten vor falscher Impfung bewahrt: Arzt seit über einem Jahr in U-Haft
Justiz

Patienten vor falscher Impfung bewahrt: Arzt seit über einem Jahr in U-Haft

Fatima Habig mit den Rechtsanwälten Wilfried Schmitz (links im Bild) und Stefan Schlüter

Foto: Videoausschnitt, Quelle: Telegram/@pianoacrosstheworld

In Fuß- und Handfesseln wird ein 67-jähriger Mediziner zu den Verhandlungen gebracht. Am Landgericht Bochum eine zweite „Terrorschleuse“ – Rollatoren werden genauestens untersucht. Eine menschliche Tragödie mit 42 Verhandlungstagen.

Das Landgericht Bochum, unter Vorsitz der Richterin Petra Breywisch-Lepping ist der Schauplatz, an dem an 42 Verhandlungstagen dem 67-jährigen praktischen Arzt Dr. Heinrich Habig und dessen Frau Fatima Habig der Prozess gemacht wird.

Der Vorwurf: Der Mediziner aus Recklinghausen soll gemeinsam mit seiner Frau Fatima circa 6000 falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben. Verhandelt werden die 589 „Impf”bescheinigungen, die nach der Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, am 18. November 2021, ausgestellt wurden. Habig, als Arzt, ist der Hauptangeklagte, während seine Frau, die ihm als Sprechstundenhilfe asisstierte, wegen Beihilfe mitangeklagt ist.

Denunziert, überwacht, gestürmt

Eine Ärztin hatte der Polizei wohl gemeldet, dass viele Patienten die Praxis von Habig aufsuchten und mit Impfpässen wieder herauskämen. Aufgrund dieser Anzeige erfolgte eine Observierung der Arztpraxis über einen längeren Zeitraum. Am 21. Januar 2022 stürmte die Polizei die Räumlichkeiten in Recklinghausen im laufenden Praxisbetrieb. Es kam zur Durchsuchung und Beschlagnahmung von Patientenakten, Impfstoffen, Computer und so weiter. Zeitgleich gab es eine Hausdurchsuchung in der Wohnung des Ehepaares Habig, wo weitere Gegenstände von der Polizei beschlagnahmt wurden. Die Arztpraxis blieb danach geschlossen.

Einen weiteren traurigen Höhepunkt in dem Fall gab es am 14. Mai 2022 als Polizeibeamte Heinrich Habig aus der Wohnung eines Bekannten abholten und in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum brachten. Der 67-jährige Arzt sitzt dort unter strengen Sicherheitsmaßnahmen nun seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Anklage wurde erst am 12. November 2022 erhoben. Der Gerichtsprozess begann im Januar 2023.

Erschwerte Haftbedingungen

Fatima Habig darf ihren Mann nur zweimal im Monat unter Aufsicht für circa eine Stunde besuchen. Zusätzlich zur Anwesenheit eines Justizvollzugsbeamten beantragte die Staatsanwältin Tophoff die Anwesenheit einer Frau, die bei den Gesprächen des Ehepaares Habig genauestens mithört – laut Rechtsanwalt Wilfried Schmitz reine Schikane. Bei einem dieser Besuchtermine unterhielt sich das Ehepaar über vergangene Urlaube, was dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft von einer „erhöhten Fluchtgefahr“ ausgeht.

Die beiden Enkelkinder (acht und zehn Jahre alt) durften ihren Opa bisher nur einmal im Gefängnis besuchen. Vor dessen Untersuchungshaft waren sie täglich bei ihren Großeltern. Ein weiterer menschlicher Tiefpunkt, ereignete sich an Heinrich Habigs Geburtstag, an dem ebenfalls verhandelt wurde: Fatima Habig ging am Ende des Prozesstages zwei Schritte auf ihren Mann zu, um ihm zu gratulieren, was prompt zu hektischen Rufen der Richterin nach den Justizvollzugsbeamten führte, die daraufhin verhinderten, dass das Ehepaar sich kurz umarmte.

Transport in Hand- und Fußfesseln

Aufgrund der angeblich erhöhten Fluchtgefahr wurde der 67-jährige Angeklagte sogar in Hand- und Fußfesseln zum Gericht transportiert, die ihm erst kurz vor Betreten des Gerichtssaales abgenommen wurden. Nach den Verhandlungstagen musste der Arzt ebenfalls mit angelegten Hand- und Fußfesseln oft stundenlang im kalten Gerichtskeller warten, bis er wieder in die JVA zurückgebracht wurde. Erst als Rechtsanwalt Schmitz für Heinrich Habig und Rechtsanwalt Stefan Schlüter für Fatima Habig im Februar als Wahlverteidiger hinzugezogen werden, sorgen sie dafür, dass die Fesseln wegfallen.

Zeitenwende im Prozess

Davor wurden die Habigs von zwei Pflichtverteidigern vertreten: Christian Weyer und Stefan Heiermann. Diese vereinbarten einen Deal mit dem Gericht: Habig würde ein Geständnis ablegen, Reue zeigen und im Gegenzug dreieinhalb Jahre Haft ohne Bewährung bekommen. Dieser Deal kam dann, dank der neuen Wahlverteidiger, nicht zustande. Und obwohl der Angeklagte inzwischen beiden Pflichtverteidigern das Vertrauen entzogen hat, beauftragt die Vorsitzende Richterin Breywisch-Lepping die beiden Pflichtverteidiger weiter. Auch Anträge des Wahlverteidigers Schmitz, diese zu entpflichten, wurden von der Richterin abgelehnt.

Die neue Verteidigung plädiert jedenfalls auf Freispruch für den Arzt, da er aus Nothilfe gehandelt habe. Habig habe aus ethischen Gründen seinen Patienten, die allesamt durch verschiedene Lebenssituationen in einer Notlage waren, geholfen. So kamen zum Beispiel Schwangere zu dem Arzt, die sich um ihr ungeborenes Kind sorgten, oder Menschen, die ihre Angehörigen ohne Impfung nicht mehr besuchen oder pflegen konnten.

„Terrorschleuse“  und Rollatoren-Check am Landgericht Bochum

Foto: Heiko Grabowski

Nach der Kontrolle mit Durchleuchten am Eingang des Landgerichts Bochum müssen Besucher noch durch eine zweite Sicherheitsschleuse gehen, auch „Terrorschleuse“ genannt. Dort wird ihnen das Handy oder „gefährliche Gegenstände“ wie Schlüsselanhänger abgenommen und teilweise der Personalausweis kontrolliert. Außerdem wird das Portemonnaie untersucht, Rollatoren gründlich gecheckt, und oft werden die fast immer selben Menschen im fortgeschrittenen Alter abgetastet.

Neben den Prozessbeobachtern sind rund 25 Menschen im Gerichtssaal anwesend: drei Richter, zwei Schöffen, zwei Ersatzschöffen, ein Protokollführer, eine Staatsanwältin, eine Assistenz der Staatsanwaltschaft, vier Pflichtverteidiger, denen die Habigs das Vertrauen entzogen haben. Hinzu kommen Heinrich Habig mit seinem Wahlverteidiger Wilfried Schmitz und Fatima Habig mit ihrem Wahlverteidiger Stefan Schlüter. Daneben sind acht Justizvollzugsbeamte für den Ablauf und die Sicherheit zuständig.

Abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt!

Doch die eigentliche Hauptdarstellerin ist die Vorsitzende Richterin Breywisch-Lepping, die jeden Blickkontakt mit den Rechtsanwälten der Habigs vermeidet. Die beiden Wahlverteidiger Schmitz und Schlüter können noch so sinnvolle, spitz gefeilte Anträge stellen, die Richterin lehnt sie alle ab. Aufforderungen der Anwälte, entlastende Aussagen der Zeugen wortgemäß ins Protokoll zu nehmen: abgelehnt. Rund ein Dutzend Befangenheitsanträge wurden nach Kammerbeschluss und kurzer Verhandlungsunterbrechung mit größter Selbstverständlichkeit ebenfalls abgelehnt – was beim Publikum generell für Unverständnis sorgt. Kurios dabei ist, dass die Kammer, bestehend aus den drei Richtern und den Schöffen, über den Befangenheitsantrag selber bestimmt. Weitere Anträge zur Abschaffung der „Terrorschleuse“ und zur Entlassung des Arztes aus der Untersuchungshaft, wo er seit über einem Jahr sitzt, wurden alle abgelehnt. Mittlerweile ist es so, dass die Anwälte nur noch sprechen dürfen, wenn sie vorher ums Wort bitten und die Vorsitzende Richterin ihnen auch das Wort erteilt.

Zeugen unter Druck gesetzt

Auch bei den mehreren Hundert vorgeladenen Zeugen – Patienten des angeklagten Arztes – gab es allesamt eine Hausdurchsuchung. Einige schilderten, dass sie von der Polizei unter Druck gesetzt worden seien, direkt zu gestehen, damit sie eine milde Strafe bekämen. Wer nicht geständig war, sei kurzerhand von der Polizei abgeholt und zur Blutentnahme auf die Polizeiwache gebracht worden.

Interessantes Detail: Während die Staatsanwältin mehrfach betonte, dass ein Antikörpertest zu 100 Prozent feststellen könne, ob eine Impfung erfolgte, geht die Verteidigung davon aus, dass ein Antikörpertest gar nichts beweisen kann. Um diese Kernfrage zu klären, womit der Prozess erheblich verkürzt werden könnte, wurden per Antrag folgende Sachverständige als Zeugen benannt: Dr. Palmer, Prof. Dr. Sönnichsen, Prof. Dr. Beck, Prof. Dr. Kämmerer sowie Prof Dr. Cullen. Diese wichtigen Sachverständigen wurden am 23. Mai 2023 allesamt von der Richterin abgelehnt – Begründung: „Die sind ersetzbar.“

Ein daraus erfolgter weiterer Befangenheitsantrag gegenüber den Richtern wurde ebenfalls abgelehnt. Besonderheit: Die Richterin Breywisch-Lepping untersagte den Verteidigern, diesen Befangenheitsantrag überhaupt vorzutragen.

Inzwischen sind 26 Verhandlungstage vergangen, und am Dienstag, dem 30. Mai, folgt die nächtse Verhandlung. Die Richterin deutete vergangenen Freitag, dem 26. Mai, an, den Prozess eventuell abzukürzen und nicht unbedingt alle weiteren Zeugen vorzuladen. Vielleicht weil sich die Patienten ausnahmslos positiv über Habig äußern und ihn als sehr kompetent und menschlich beschreiben. Eine Zeugin bedankte sich gleich beim Betreten des Gerichtssaales bei dem Mediziner. Wer dem Untersuchungshäftlich schreiben möchte: JVA Bochum, Dr. Heinrich Habig, Krümmede 3, 44791 Bochum.

Am 3. Juni, findet unter dem Motto „Freiheit für #Heinrich“ eine Kundgebung statt. Treffpunkt ist um 15 Uhr auf dem Dr.-Ruer-Platz in Bochum.

Der TV-Redakteur Heiko Grabowski arbeitet seit über zwei Jahrzehnten bei großen Film- und Fernseh-Produktionsfirmen. Seit 2020 gilt sein Interesse Themen, die im Mainstream kein Gehör finden. Sein Hauptanliegen ist es auch und gerade über Menschen zu berichten, die aktuell sonst kaum Möglichkeiten haben gehört, gelesen und gesehen zu werden.

Diesen Artikel teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram

schwarz auf weiß unterstützen

Freiwilliges Zeitungs-Abo oder Einzelspende an:

IBAN: DE83 1005 0000 0191 2112 65
(BIC: BELADEBE)

Kontoinhaber: Flugwerk UG (haftungsbeschränkt)

oder hier PayPal –

Ein Abo ist freiwillig. Alle Inhalte sind ohne Bezahlung verfügbar.

ODER
alles von Paul Brandenburg

Spenden an Paul Brandenburg persönlich werden für alle seine Projekte verwendet: