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Moskaus neue Außenpolitik: „Haus der Partner“ versus „Haus der Feinde“
Russland

Moskaus neue Außenpolitik: „Haus der Partner“ versus „Haus der Feinde“

Russlands Außenministerium in Moskau

Stockbild:

pixabay
• Falco

Russland hat sich von der früheren Westorientierung verabschiedet und sucht neue Partner und Allianzen. Das ist aus Sicht des Politologen Dmitrij Trenin der Kern des neuen außenpolitischen Konzepts Moskaus.

„Im Wesentlichen hat der Krieg in der Ukraine ein Erdbeben im Bereich der russischen Außenstrategie, des Einsatzes von Diplomatie und militärischer Gewalt ausgelöst und die Art und Weise, wie Moskau den Rest betrachtet, radikal verändert.“ Das schreibt der Politikwissenschaftler Dmitrij Trenin in einem Artikel auf der englischsprachigen Plattform Horizons. Das von Moskau kürzlich veröffentlichte außenpolitische Konzept sei ein erster Schritt in eine grundlegend neue Richtung. Diese Richtung breche mit dem „Neuen Denken“ von Michail Gorbatschow, mit der „lasst uns mit dem Westen verbündet sein“-Haltung von Boris Jelzin und sogar mit den „Großeuropa bis nach Wladiwostok“-Ansprüchen von Wladimir Putin als jungem Präsidenten. 

Trenin ist Forschungsprofessor an der Higher School of Economics und leitender Forschungsbeauftragter am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, beide in Moskau. Außerdem ist er Mitglied des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten. Von 2008 bis 2022 leitete er das Moskauer Carnegie-Zentrum der US-amerikanischen Stiftung Carnegie Endowment for International Peace. Sie wurde 1993 durch einen Erlass von Präsident Boris Jelzin gegründet. Das Zentrum hat seine Tätigkeit im September 2022 eingestellt und ist damit einer Anordnung des russischen Justizministeriums nachgekommen.

Das außenpolitische Konzept beschreibt Russland laut Trenin als eine eigenständige Zivilisation – eine große Veränderung gegenüber einem ähnlichen Dokument vor einem Jahrzehnt, das das Land in das europäische Erbe einbettete. „Die heftige, einheitliche und massive Reaktion des kollektiven Westens auf die russische Militäroperation in der Ukraine und die immer stärkere Beteiligung der Nato an dem dortigen Krieg haben das Universum der russischen Außenpolitik in zwei sehr unterschiedliche Teile gespalten“, so der Politikwissenschaftler.

Zwei Häuser

Westlich der russischen Grenze gebe es ein „Haus der Feinde“, mit den USA an der Spitze und „ihrem angelsächsischen Gefolge“ und den europäischen Ländern. Diese würden in Moskau zum ersten Mal offiziell als „Satelliten Amerikas“ betrachtet.

Die andere Gruppe von Ländern nennt Trenin das „Haus der Partner“ mit den Großmächten des eurasischen Kontinents China und Indien an der Spitze.  Saudi-Arabien und die Türkei, der Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate, Brasilien und Südafrika gehören auch zu den „Partnern“ sowie viele andere Länder, die sich geweigert haben, der von den USA angeführten Sanktionskoalition beizutreten. Das zeige, dass die Bemühungen des Westens, Russland vollständig zu isolieren, gescheitert sind.

Einige dieser Länder hätten ihre Handelsgeschäfte mit Russland erheblich ausgeweitet, so der Politologe, und würden zum Beispiel von Russlands Ölpreisnachlässen profitieren. Moskau betrachtet laut dem Konzept diesen Teil des Planeten – der nicht nur demografisch, sondern auch wirtschaftlich größer ist als der Westen – als die Weltmehrheit und lobt die „neutrale“ und sogar „konstruktive“ Haltung der verschiedenen Länder „gegenüber einem Russland in Schwierigkeiten“.

Existenzieller Konflikt

Für Russland sei der Ukraine-Konflikt existenziell, so Trenin. Sollte es ihn verlieren, würde das Land nicht nur seinen Großmachtstatus verlieren, sondern de facto seine Souveränität. Manche würden sogar befürchten, dass Russland in mehrere Teile zerbrechen könnte.

Eine neue Normalität in den russisch-westlichen Beziehungen ist aus Sicht von Trenin in naher oder gar mittelfristiger Zukunft nicht zu erwarten. Er rechnet damit, dass die nächsten 10 bis 15, wenn nicht sogar 20 Jahre, in Russland eine Zeit des hybriden Krieges sein werden, der sich durchaus über die Ukraine hinaus ausweiten und über das konventionelle Niveau hinaus eskalieren könnte.

Der mit Schusswaffen geführte Stellvertreterkrieg in der Ukraine sei nur eine Dimension des Konflikts. Er werde auch in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Information, Infrastruktur, Psychologie und anderen Bereichen erbittert geführt. Auf absehbare Zeit wird der Krieg die wichtigste Form der Interaktion zwischen Russland und dem Westen bleiben, so Trenin. Für die Außenpolitik Moskaus bleiben die USA und ihre Verbündeten langfristige Gegner.

Drei Säulen der neuen Weltordnung

Dem neuen außenpolitischen Konzept nach können die neuen Beziehungen zur „Weltmehrheit“ für Russland viel mehr als nur einen Teil der Verluste ausgleichen, die durch den Bruch mit dem Westen entstanden sind. Das übergeordnete Ziel von Moskaus neuem Ansatz gegenüber Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika sollte die Schaffung von Elementen einer neuen Weltordnung sein.

Das Bekenntnis Moskaus und Pekings zu einer multipolaren Welt reicht ein Vierteljahrhundert zurück. Viele andere Länder haben sich seitdem dieser Idee angeschlossen. Die Art der Multipolarität, die an die Stelle der Hegemonie eines einzelnen Landes treten würde, unterscheidet sich deutlich von einer Weltoligarchie oder einem neuen Konzert mehrerer Großmächte, die die Welt beherrschen. Die polyzentrische Struktur, die China, Indien, Brasilien, Südafrika, Russland und andere vorschlagen, muss auf gegenseitigem Respekt beruhen, jede Form von Diktat ausschließen und einen echten Multilateralismus als Arbeitsprinzip einführen.

Die tragende Säule der US-amerikanischen Vormachtstellung in der Welt sei das auf dem US-Dollar aufgebaute Finanzierungssystem, schreibt Trenin. Die Entdollarisierung sei bereit in mehreren Ländern voll im Gange. Russland und China, wie auch Russland und Indien wickeln bereits einen Großteil ihres bilateralen Handels in ihren nationalen Währungen ab. Auch ein Abkommen zwischen China und Brasilien über eine ähnliche Vereinbarung deute auf einen bedeutenden Durchbruch hin. Ziel sei aber eine digitale Weltwährung, die nicht von einem einzelnen Staat kontrolliert und manipuliert werden kann. Wenn das gelingt, wäre das aus Sicht von Trenin eine echte Veränderung.

Ein weiterer Pfeiler der Vorherrschaft Washingtons sei sein System von Sicherheitsallianzen und Partnerschaften. Für Trenin sind es keine Vorbilder, denen die Nationen der Mehrheit nachahmen sollten. Stattdessen sollte die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die bereits einen Großteil Eurasiens mit Ausnahme der westlichsten Halbinsel zum Atlantik hin umfasst, in ein System der internationalen Stabilität und Zusammenarbeit verwandeln. Ein solches System würde auf gegenseitigem Respekt, gemeinsam entwickelten und konsequent angewandten Regeln sowie vertrauensbildenden Maßnahmen, zuverlässigen Kommunikationsverbindungen und Versöhnungsmechanismen beruhen.

Alternative Weltmedien

Und nicht zuletzt komme laut dem Konzept eine wichtige Rolle den Medien zu. „Wahre Befreiung von fremder Hegemonie muss die Befreiung des eigenen Denkens und die Entwicklung origineller Ideen und Denkmuster beinhalten, die im Reichtum der vielen Kulturen und Zivilisationen der Welt verwurzelt sind. Die Medien produzieren routinemäßig Narrative, die auf die politische Agenda derjenigen ausgerichtet sind, die sie besitzen oder beeinflussen. Diese Informationsmacht, die sich in einigen wenigen Händen konzentriert, sei es in den Regierungen oder im privaten Sektor, kann und wird als Waffe gegen vermeintliche Rivalen oder Konkurrenten eingesetzt. Dort ist die berühmte Redefreiheit oft eine Täuschung.“

Die BRICS-Länder oder eine Untergruppe von ihnen können und sollten ein Konsortium alternativer Weltmedien gründen, sowohl in englischer Sprache als auch in anderen Sprachen, um ihre eigenen Geschichten, und Perspektiven zu vermitteln. Die Erfolgsbilanz von Al Jazeera aus Katar, RT aus Russland, Press TV aus dem Iran und CGTN aus China zeigt, was auf nationaler Ebene erreicht werden kann.

Diese neuen Medien könnten jene Stimmen aus dem Westen willkommen heißen, die in den zunehmend einseitig ausgerichteten Medien in den USA und Europa keine oder nur wenig Gelegenheit finden, sich zu äußern. Dabei sollte es sich nicht um ein antiwestliches Propagandainstrument handeln. Das internationale Konsortium sollte in erster Linie ein nicht-westliches Publikum ansprechen. Seine Hauptaufgabe wäre es, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Gemeinschaft und einer gemeinsamen Zukunft zu schaffen.

„Russische Föderation 2.0“

Die Breite der Bereiche und Tiefe der Aufgaben könnten erschrecken, so Trenin. Die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen, die Moskau zurzeit zur Verfügung stehen, sind nur ein Bruchteil dessen, was erforderlich ist, um mit den vielen Partnern zu verhandeln. Doch, Russlands Wirtschaft ist zwar begrenzt, aber belastbar. Seine militärische Macht wird durch die Ukraine-Krise nicht nur auf die Probe herstellt, sondern auch deutlich aufgerüstet. Die intellektuelle Kraft Russlands ist trotz Abwanderung von Fachkräften beeindruckend.

Was die diplomatische Macht betrifft, so muss sie stark umgeschichtet werden: Aus Europa und Nordamerika können einige Ressourcen in das „Haus der Partner“ verlagert werden. Viele Weitere Diplomaten sollten ausgebildet werden, um in den nicht-westlichen Teilen der Welt zu dienen. Neue Sprach- und Landeskundekurse sind angebracht, auch in den Sprachen der ehemaligen Sowjetrepubliken, wo es nicht mehr ausreicht, Geschäfte nur auf Russisch zu tätigen.

Der Lehrplan für das russische Bildungswesen müsste erweitert werden, um mehr Material über die nicht-westlichen Zivilisationen aufzunehmen, und die Medienberichterstattung über das Weltgeschehen sollte ihre Neigung überwinden, sich zu 90 Prozent auf den Westen zu konzentrieren. Es sei die Aufgabe der russischen Eliten, nach den neuen Werten zu leben, eine Reihe von Ideen zu entwickeln, wohin sie ihr Land bewegen wollen und warum.

Trenin bezeichnet seine Aussage als eine grobe Skizze der Arbeit, die auf Russland auf dem Weg von der „Tankstelle der Welt“ zur „Russischen Föderation 2.0“ zukommt – mit einer grundlegenden Neupositionierung in der Außenpolitik. „Diese Transformation war nicht geplant. Wäre die militärische Sonderoperation in der Ukraine schnell mit einigen wichtigen, aber begrenzten Gewinnen für Moskau beendet worden, hätte diese Transformation vielleicht nie begonnen“, so der Politologe. Was in Wirklichkeit folgte, habe Moskaus Einsatz auf ein Maximum erhöht. Wenn Russland bei dieser Transformation scheitere (was er nicht glaube), wird das aus seiner Sicht schlimme Folgen haben – „nicht nur für Russland selbst“. Wenn es aber erfolgreich sei, werde die „Weltmehrheit“ von einem erfahrenen und viel fähigeren Mitglied profitieren, das bereit sei, auf ein neues internationales Gleichgewicht hinzuarbeiten.

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