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Mit Kizomba in die Herzen der Menschen
Karneval der Kulturen 2023

Mit Kizomba in die Herzen der Menschen

Karnevalsformation „Dança de Coração – Kizomba/Semba de Angola“ beim Umzug 2023

Ein Angolaner und der von ihm gegründete Kizomba-Tanzklub sind beim Umzug des diesjährigen Karnevals der Kulturen in Berlin aufgetreten. Ein Blick hinter die Kulissen des Karnevals.

„Elf Kilometer hat mein Schrittzähler gestern gezeigt.“ Das sagte mir eine junge Frau aus Kenia am Samstagvormittag. Auf diese Zahl ist sie beim Kizomba-Tanzen am Freitag, den ersten Tag des diesjährigen Karnevals der Kulturen gekommen – zwischen 17 und 23 Uhr. Stolze Leistung bei dem traditionellen angolanischen Kizomba, bei dem das Wichtigste ist: kleine Schritte. Wir unterhielten uns, als wir uns auf den Karnevalsumzug am Sonntag vorbereiteten.

Beim letzten Karneval vor vier Jahren – wegen der Pandemie ist Berlins größtes Straßenfest drei Jahre lang ausgefallen – habe die Schrittzähler-App auf ihrem Handy beim Umzug 18 Kilometer gezeigt. Die körperliche Anstrengung nehmen die Menschen aller Generationen bei dem Ereignis gerne in Kauf, denn dabei sein beim Karneval ist laut den Tänzerinnen und Tänzern „Riesenspaß, Adrenalin pur“.

Die junge Kenianerin und ich gehören zur Karnevalsformation „Dança de Coração – Kizomba/Semba de Angola“, die in diesem Jahr wieder am Karnevalsumzug durch Berlin-Kreuzberg teilnahm. „Dança de Coração“ ist portugiesisch und heißt auf Deutsch „Tanz des Herzens“. Kizomba ist sowohl ein Tanz als auch eine Musik aus Angola. Das Wort Kizomba stammt aus der Bantusprache Kimbundu und bedeutet: Fest, Spielerei, Tanz, Unterhaltung.

400 Luftballons für den Umzugswagen

Die Kondition ist aber nicht nur für das Tanzen wichtig. Da gibt es sonst noch viel zu tun, damit sich die Gruppe auf der Straße in bester Form präsentieren kann. Die Mitglieder des kleinen Vereins teilen die Aufgaben untereinander auf, niemand bleibt ohne Arbeit.  Einige von denen präsentieren den Verein am Stand und tanzen und spielen Kizomba für die Besucher. Andere bereiten im Neuköllner Klub „Kubata“ den Wagen auf den Umzug vor. Sie besorgen Getränke, Snacks, kleben den neuen QR-Code auf die alten Flyer, prüfen den Erste-Hilfe-Koffer.

99 Luftballons mal vier: So viele werden für den Umzugswagen gebraucht. Einige Frauen blasen die Ballons mit Hilfe einer Pumpe auf und schnüren sie. Alexandra aus Brasilien (auf dem Foto links neben Joaquim aus Angola) wendet eine nur für sie bekannte Technik an und zaubert aus den Bällen dicke bunte „Schlangen“. Sie kennt sich aus, weil „in Brasilien viel gefeiert wird“. Das Ganze dauert etwa fünf Stunden. Die Brasilianerin achtet akribisch darauf, dass die Ballons möglichst gleich groß werden und die Farben passen. (Foto: Endre Pápai)

Sie sei gestern nach zwei Wochen aus dem Krankenhaus gekommen, ihr gehe es nicht so gut, erzählt sie. Aber sie mache die Arbeit mit viel Liebe „damit es für euch schön kuschelig wird“. Sie meinte damit uns, die Tänzerinnen und Tänzer. Sie liebe es, Luftballons zu fantasievollen Gestalten zu binden und sei froh darüber, diese Kunst zu beherrschen. Selber könne sie leider nicht teilnehmen, „das macht mich traurig“, weil sie am Sonntag arbeiten muss.

Beim Umzug muss alles tip-top sein

Die Männer bereiten währenddessen den Wagen vor. Den musste Klubleiter Joaquim Francisco Joao, den alle nur Kim nennen, früh am Morgen von den Organisatoren des Karnevals abholen. Da wird gemessen, gesägt, geschraubt und geputzt, ebenfalls stundenlang. Der geschmückte Wagen wird uns am Sonntag beim Umzug begleiten und „da muss alles tip-top sein“. Die DJ-s kümmern sich um die Technik für die Karnevalsmusik. Inzwischen teilt Kim seinen Döner mit mir: „In Afrika macht man es so.“

Der Wagen kurz vor dem Umzug. Noch laufen die Vorbereitungen (Foto: Endre Pápai)

Kim gründete 2008 den Verein „Afrika Yetu“, um für Menschen aus seiner Heimat Angola und aus dem übrigen Afrika eine Anlaufstelle in Berlin zu schaffen. Es gab bis dann in der Hauptstadt keine Organisation, die die Kultur aus Afrika vertrat. Mit der Anmietung von Vereinsräumen in Berlin war das Projekt „Kubata“ geboren, was auf Kimbundu so viel heißt wie „unser Zuhause“. Daraus ist mit den Jahren eine bunte Mischung von Generationen und Nationen geworden.  „Die Türen waren von Anfang an immer für alle offen, hier sind alle willkommen“, so Kim.

Den bisher genutzten Kellerraum in Berlin-Friedrichshain musste der Verein im Juni 2020 verlassen. Für die Mitglieder des Vereins war das ein sehr trauriges Ereignis. Da haben viele von ihnen tatsächlich ihr gefühltes „Zuhause“ verloren. Früher haben die Kizomba-Freunde und ihre Gäste gerne ihren Geburtstag im „Kubata“ an der Landsberger Allee gefeiert. Einmal habe ich bei einer Geburtstagsparty dort Menschen aus 18 Ländern gezählt. Das ist gelebte Vielfalt und Integration, Zusammensein und Miteinandersein.

Die „Kubata“-Familie

Kizomba ist viel mehr als ein Tanz, das ist eine Lebensform. Häufig sprechen Besucher oder Besucherinnen von „Kubata“ von der therapeutischer Wirkung des Tanzes. Ein Balsam für Körper und Seele. Und gerne wird von „Kubata“-Familie gesprochen.

Gerade in der Corona-Krise, in der diese Eigenschaft von Musik und Tanz am meisten gebraucht worden wäre, galt ein Verbot für „Tanzlustbarkeiten“ – ein hässliches Wort aus der deutschen Behördensprache. Die Verbote und Vorschriften hätten auch einen eingeschränkten Betrieb nicht ermöglicht, erinnert sich Kim. Kizomba ist ähnlich wie Tango – es wird auch afrikanisches Tango genannt – ein Tanz, der nicht auf Abstand getanzt werden kann.

Die Kulturlandschaft stand drei Jahre lang fast still. Einen neuen Raum zu mieten war zu dieser Zeit unmöglich – wegen der gestiegenen Preise sowieso. Aber ohne Einnahmen wäre es eh nutzlos gewesen. Für den 61-Jährigen Kim ist aber Aufgeben keine Option. Er sei bereit für einen Neuanfang, erklärt er im Gespräch. An Kraft und Optimismus zu einem Neuanfang vom Null fehle es bei ihm nicht. Er will die afrikanische Kultur und die Kultur seines Heimatlandes Angola weitergeben und die Menschen zusammenbringen. Daran ändern weder Corona noch die hohen Mieten und die geringe Förderung der Kultur etwas.

Die Formation „Dança de Coração – Kizomba/Semba de Angola“ beim Karneval der Kulturen 2023 (Foto: Tilo Gräser)

Integration ist eine Fassade

Kim kam 1987 aus Angola in die DDR, mit 25 anderen Angolanern aus seiner Region, um Maschinenbau zu studieren. Nach drei Jahren musste er und die anderen das Studium abbrechen – „da die Mauer fiel“. Zwei Jahre hätte er noch bis zum Abschluss gebraucht. Aber daraus ist nichts geworden. Er wollte damals zurück nach Angola wie viele seiner Kommilitonen. Aber da war bereits seine Tochter „unterwegs“ und er wollte sie nicht ohne Vater aufwachsen lassen.

Der Karneval der Kulturen fing Mitte der 1990er Jahre als Demonstration gegen Rassismus an. Daraus ist ein Straßenfest geworden, bei dem die in Berlin lebenden Menschen aus aller Welt sich selbst und ihre Kultur präsentieren. Damit setzen sie auch ein Zeichen gegen Rassismus. Wobei Rassismus aus Sicht von Kim existiert nicht. Es gebe nur Angst und Ignoranz. Angst und Ignoranz seien auch die wichtigsten Ursachen, weswegen die „Integration“ nicht gelingen kann.

Übrigens Integration – das ist für ihn nur eine Fassade. Damit wird aus seiner Sicht meist nur der Sprachkurs gemeint. Und das habe mit Integration wenig zu tun. Außerdem sei es nicht nur die Aufgabe der Eingewanderten, sich zu integrieren. Genauso müsste es ihnen erleichtert werden, dass das tatsächliche Zusammenleben möglich wird. Und das sei nicht der Fall.

Beim Karneval zeigen wir uns

Die Rolle der Kultur ist aus Kims Sicht dabei enorm wichtig. „Zusammen essen, tanzen, trinken – zusammen sein.“ Einen Blick erlauben in die eigene Kultur. Da brauche es keine „Integrationskurse“. Sprachkurse ja, aber sie könnten auch schlicht Sprachkurse heißen. Leider gebe es aber für Kultur keine Mittel beim Berliner Senat, so Kim.

Für die Integration der Kinder und Jugendliche gibt es zumindest Anstrengungen und Maßnahmen. Die Erwachsenen jedoch werden vollkommen vergessen, berichtet der Angolaner von seinen Erfahrungen. Deswegen ist der Karneval der Kulturen für ihn und die vielen Beteiligten aus anderen Weltgegenden so wichtig: „Hier können wir uns selber zeigen unsere Kultur und einfach miteinander sein.“ Das sei sehr wichtig und das hat fast 30 Jahre Tradition, die aus seiner Sicht beibehalten werden muss. Auch wenn es Menschen gibt, die dort nur Lärm und Müll sehen wollen, wo Hunderttausende friedlich und gelassen das Leben feiern und die Künstlerinnen und Künstler monatelang sich vorbereiten und das ganze Jahr darüber freuen.

Am Ende des Umzuges: Die Formation „Dança de Coração – Kizomba/Semba de Angola“ (Foto: Tilo Gräser)

550.000 Menschen jubelten laut Medienberichten am Sonntag am Rand der Route des Karnevals den bunt geschmückten Umzugswagen und den oft auffällig geschminkten Tanz- und Musikgruppen verschiedenster kultureller Hintergründe zu. Eine von ihnen: die Formation „Dança de Coração – Kizomba/Semba de Angola“, immer wieder vom Publikum begeistert gefeiert.

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