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Klage gegen Ursula von der Leyen
Pfizer-Deals der EU-Kommission

Klage gegen Ursula von der Leyen

Foto: Pexels/Artur Roman

Ihre Vertragsverhandlungen mit Pfizer bringen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Erklärungsnot. Kritiker halten ihr vor, ohne Mandat maßgeblich auf die Vereinbarungen mit Pfizer eingewirkt und dabei gegen geltende Regeln verstoßen zu haben. Dafür muss von der Leyen nun mit juristischen Konsequenzen rechnen.

Während der Corona-Krise hat die europäische Kommission mit verschiedenen Impfstoffherstellern Verträge mit einem Gesamtvolumen von fast 71 Milliarden Euro abgeschlossen, um die Lieferung von insgesamt 4,6 Milliarden Dosen Impfstoff zu sichern. Inzwischen sind in ganz Europa die Lager mit Impfstoffen überfüllt, für die sich kaum noch Abnehmer finden lassen. Während einzelne Länder weitere Lieferungen nicht mehr annehmen wollen, wurde bereits mit der Vernichtung von Millionen überzähliger Dosen begonnen, die ihr Verfallsdatum erreicht haben.

Da die EU nicht aus ihrer Zahlungsverpflichtung entlassen wird und weiterhin Impfstoffe geliefert werden, die niemand mehr braucht, regt sich immer mehr Kritik an den abgeschlossenen Verträgen und an der Verhandlungsführung der EU-Kommission. Alleine mit Pfizer wurden drei Verträge abgeschlossen, in denen sich die EU verpflichtet hatte, 35 Milliarden Euro für die Lieferung von Impfstoffen zu zahlen. Das ist der größte Deal, den die EU jemals mit einem einzelnen Vertragspartner eingefädelt hatte.

Insbesondere der dritte Vertrag mit Pfizer, der im Mai 2021 abgeschlossen wurde und mit dem die Lieferung von 900 Millionen Dosen des mRNA-Impfstoffs mit einer Option auf weitere 900 Millionen Dosen vereinbart wurde, wirft die Frage auf, wer eigentlich für diese Verhandlungsführung verantwortlich war. Auf Anfrage des EU-Rechnungshofs, der die korrekte Verwendung von EU-Mitteln überprüft, legte die EU-Kommission keine Dokumentation über die Verhandlungen vor.

Direkte Verhandlungen ohne Mandat

Offenbar wurde bei der EU-Kommission die Impfstoffbeschaffung zur Chefsache erklärt und im Gegensatz zu den üblichen Regeln nicht alleine von mandatierten Verhandlungsführern ausgehandelt. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen selbst soll unter Umgehung der vorgeschriebenen Protokolle die Verhandlungen mit Pfizer teilweise ohne Mandat an sich gezogen und sich direkt mit CEO Albert Bourla abgesprochen haben.

Wie die New York Times bereits im April 2021 berichtete, tauschten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla einen Monat lang Texte und Anrufe aus, um die wesentlichen Teile einer Verabredung zu besprechen, die Grundlagen für den dritten Liefervertrag werden sollten. Allerdings weigern sich von der Leyen und die EU-Kommission bislang, die Inhalte dieser ausgetauschten Textnachrichten zu veröffentlichen. Angeblich wurden die SMS auf von der Leyens Diensthandys gelöscht. Selbst der Antrag der EU-Bürgerbeauftragten Emily O´Reilly auf Wiederherstellung und Zugang zu den Textnachrichten wurde von der EU-Kommission nur mit dem Hinweis beantwortet, Nachforschungen zu den Inhalten der fraglichen SMS hätten keine Ergebnisse erbracht. Wegen dieses Umgangs mit den Textnachrichten zwischen von der Leyen und Bourla wurde die EU-Kommission sogar von der EU-Aufsichtsbehörde scharf kritisiert. Laut einem Bericht des Onlinemagazins Politico hat die New York Times die EU-Kommission am 25. Januar verklagt, um eine Offenlegung der fraglichen Textnachrichten juristisch zu erzwingen.

Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht

Die Unregelmäßigkeiten bei der Impfstoffbeschaffung und das intransparente Gebaren der EU-Kommission im Hinblick auf die Vertragsverhandlungen haben auch die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) auf den Plan gerufen. Die von der Laura Codruța Kövesi geleitete Anti-Korruptionsbehörde, die für die Untersuchung und Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU zuständig ist, hat im Oktober 2022 offiziell bestätigt, eine Untersuchung zum Erwerb von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union zu führen.

Frau von der Leyen selbst gerät nun aber zusätzlich auch von anderer Seite unter Druck: Der Lobbyist Frédéric Baldan hat am 5. April beim belgischen Strafgericht in Lüttich Klage gegen die Kommissionspräsidentin eingereicht. Laut der Klageschrift habe sie außerhalb ihres Mandats gehandelt und wird der Vernichtung öffentlicher Dokumente sowie der illegalen Interessenwahrnehmung und der Korruption beschuldigt. Demnach habe von der Leyen sowohl den Finanzen der Mitgliedsstaaten als auch dem öffentlichen Vertrauen schweren Schaden zugefügt. Um Ermittlungen gegen von der Leyen einleiten zu können, müsste das Gericht allerdings zunächst die Aufhebung ihrer Immunität beantragen.

Im Verlauf eines möglichen Ermittlungsverfahrens gegen von der Leyen dürften die verschwundenen Textnachrichten zwischen ihr und Albert Bourla sicher eine entscheidende Rolle spielen. Es ist zu erwarten, dass auch das belgische Strafgericht auf die Herausgabe der SMS bestehen wird, und laut Baldan würde sich Frau von der Leyen strafbar machen, falls sie die Textnachrichten nicht offenlegt. Sollte sie die SMS hingegen gelöscht haben, würde das einer Vernichtung von Verwaltungsdokumenten gleichkommen.

Durch die Verträge mit der EU-Kommission hat Pfizer eine marktbeherrschende Position in Europa eingenommen, die dem europäischen Wettbewerbsgedanken widerspricht. Dank der Tatsache, dass der ausgehandelte Vertrag weder Anpassungen zulässt noch wirksame Ausstiegsklauseln enthält, konnte Pfizer auf den Zahlungsverpflichtungen der EU-Staaten bestehen. Nachverhandlungen auf Drängen einiger Staaten haben bisher nicht zu einer wirklichen finanziellen Entlastung der Mitgliedsstaaten in der EU geführt. Zwar hat sich Pfizer offenbar bereiterklärt, die Menge an noch zu liefernden Impfstoffen zu reduzieren, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die EU bereit ist, für jede nicht gelieferte Dosis Stornogebühren in Höhe von jeweils 10 Euro zu zahlen, und gleichzeitig Preiserhöhungen für noch zu liefernde Impfstoffe zustimmt. Bei der Verhandlungsführung der EU-Kommission ist wohl nicht zu erwarten, dass der Pharma-Riese auf große Schwierigkeiten stoßen wird, seine Vorstellungen durchzusetzen.

Dr. Kay Klapproth ist Biologe mit Schwerpunkt Immunologie. Er hat viele Jahre in Forschung und Lehre gearbeitet, zuletzt als akademischer Rat der Universität Heidelberg.

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