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General a.D. Kujat: Gefährlicher Blindflug Deutschlands
Ukraine-Krieg

General a.D. Kujat: Gefährlicher Blindflug Deutschlands

Die ukrainische Fahne auf der Alten Nationalgalerie in Berlin

Foto: Endre Pápai

Deutschland unterstützt die Ukraine ohne eine rationale Strategie. Das sagt der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat in einem aktuellen Interview. Darin äußert er sich auch über die ukrainischen Chancen auf den Nato-Beitritt.

General a. D. Harald Kujat hält das Fehlen einer deutschen Strategie für Waffenlieferungen an die Ukraine, die auf einer rationalen militärischen Zweck-Mittel-Relation basiert und realistische Ziele im Einklang mit Deutschlands nationalen Sicherheitsinteressen definiert, für einen „gefährlichen Blindflug“. Das sagte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Ex-Vorsitzende des Nato-Militärausschusses gegenüber der Schweizer Monatszeitschrift Zeitgeschehen im Fokus. Im Zusammenhang mit dem starken Engagement anderer europäischen Staaten und der Europäischen Union wird aus seiner Sicht dadurch das Risiko einer Europäisierung des Krieges zu einer realen Gefahr.

Der Militärexperte weist im Interview mit der Zeitschrift, erschienen in deren Juni-Ausgabe, auf deutsche Politiker hin, die die „Eskalationsschraube gleich ein großes Stück weiterdrehen“: Sie wollen unbedingt auch Taurus-Luft-Boden-Abstandswaffen der Ukraine zur Verfügung stellen. Mit einer Reichweite von über 5000 Kilometern sei „Taurus“ geeignet, strategische Ziele in der Tiefe Russlands anzugreifen. „Das wäre wohl der Punkt, der aus russischer Sicht eine existenzielle Bedrohung darstellt“, sagte Kujat. Er würde von der deutschen Politik zumindest erwarten, dass sie sich von den eigenen nationalen Interessen leiten lässt – sowohl in ihrer Informationspolitik als auch in ihrem Handeln.

Der Ex-General formuliert drei Fragen, auf die eine rationale Gesamtstrategie antworten müsste:

  1. Welche militärischen und politischen Ziele der ukrainischen Regierung ist die Bundesregierung gewillt zu unterstützen?
  2. Erfolgt diese Unterstützung nur, soweit diese Ziele mit den deutschen Sicherheitsinteressen vereinbart sind?
  3. In welchem Ausmaß ist die Bundesregierung bereit, durch Sanktionen verursachte langfristige und möglicherweise irreversible Schäden der deutschen Wirtschaft zu akzeptieren?

Fehlende Gesamtstrategie im Westen

Auch im Westen erkennt Kujat bisher keine „ganzheitliche Strategie zur Beendigung des Krieges in der Ukraine“. Die westliche Politik besteht aus seiner Sicht lediglich aus finanzieller, materieller und militärischer Unterstützung der Ukraine, damit diese den Krieg fortsetzen könne. Es gehe nicht um das Ganze, um eine Gesamtstrategie, in der alle relevanten Aspekte im Sinne einer politischen Synergie zusammenwirken würden.

„Eine politische Lösung, die der Ukraine Sicherheit und Stabilität in einer europäischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur gewährleistet und einen weiteren Krieg verhindert, kann nur durch Verhandlungen mit Russland erzielt werden.“ Kujat erinnert daran, dass „in der US-Administration das Einfrieren des Krieges in der Form einer Korea-Lösung“ diskutiert wird. Das sei genau das, was Russland verhindern wolle. „Diese Lösung scheint mir weder für die Ukraine, noch für Russland akzeptabel“, so der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur.

Aus seiner Sicht hat der Ukraine-Krieg die größten Risiken für Europa geschaffen. Gleichzeitig werden die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Süd-Afrika) immer stärker und gefährden die geopolitische Vormachtstellung der USA. „Für die USA entstehen dagegen immer größere Herausforderungen als Folge des Aufstiegs Chinas zur führenden Weltmacht.“ Der US-amerikanische außen- und sicherheitspolitische Fokus verlagere sich daher schneller und konsequenter nach Asien als bisher erwartet wurde.

Schlechte Chancen für die Ukraine

Zeitgeschehen im Fokus fragte Kujat nach dem Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius und die Chancen der Ukraine auf einen Nato-Beitritt. Der Ex-General zitierte dazu Bundeskanzler Olaf Scholz: „Allen ist klar, dass das in absehbarer Zeit nicht ansteht. Auch weil zu den Kriterien der Nato eine ganze Reihe von Bedingungen gehören, die die Ukraine aktuell nicht erfüllen kann.“

Der Zweck der Allianz sei es nicht, so der General, die Sicherheit und Verteidigung eines Nicht-Nato-Staates zu übernehmen, indem dieser zur Mitgliedschaft eingeladen wird. „Der Allianz ist ein Bündnis gegenseitiger kollektiven Sicherheit.“ Deshalb könne nur ein Land, das zur Sicherheit der anderen Mitgliedstaaten ebenso beiträgt wie diese zu der des Beitrittskandidaten, Mitglied werden.

Russland werde außerdem das Ziel nicht aufgeben, strategische Vorteile des geopolitischen Rivalen USA durch eine Allianz-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern, ist sich Kujat sicher. Dieser geostrategische Widerstreit könne durch den Ukraine-Krieg nicht aufgehoben werden. „Er kann nur durch eine europäische Friedens- und Sicherheitsordnung gelöst werden, in der die Ukraine und Russland ihren Platz haben und die Rivalität der großen Mächte USA und Russland die Selbstbehauptung Europas nicht gefährdet.“

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