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Ewige Schuld? Die gibt es nicht mehr!
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Ewige Schuld? Die gibt es nicht mehr!

Der Buchtitel "Ewige Schuld?" von Michael Wolffsohn

Foto: privat, Sarah Kaßner

Die Debatte um Antisemitismus in Deutschland ist verzerrt – warum muss sich dem Thema dringend angenommen werden? Michael Wolffsohn wirft in seinem Buch „Ewige Schuld?“ kritische Fragen auf.

„Es gibt viele Experten für Antisemitismus, aber nur wenige, die wirklich hinter die Fassade schauen und kritisch sind wie Michael Wolffsohn“, leitet der israelische Botschafter Ron Prosor die Buchvorstellung des Buches „Ewige Schuld? – 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“ ein. In den nächsten 90 Minuten möchte der Moderator Sebastian Engelbrecht gemeinsam mit dem Autor Michael Wolffsohn, dem Psychologen Ahmad Mansour und dem ehemaligen Israel-Korrespondenten beim Spiegel, Christoph Schult, über die Inhalte des Buches diskutieren.

Prosor stellt in seiner Begrüßungsrede heraus, dass Wolffsohn vor allem seine Ehrlichkeit in dem Buch zeige. „Er gesteht sich Fehler ein.“ Das neue Buch ist schließlich eine kritische und komplett überarbeitete Neufassung seines Grundsatzwerks „Ewige Schuld?“, in der Wolffsohn seine unterschiedlichen Anschauungen zu unterschiedlichen Zeiten darstellt und erneuert.

Die Kernbotschaft ist in den Augen des Botschafters: „Nie wieder!“ Damit meint er die Verfolgung von Juden und Hass gegen sie. Dieses Thema gewinnt derzeit immer mehr an Aktualität: „Israelhassende Palästinenser fordern in Berlin die Auslöschung von Israel“, argumentiert Prosor. In seinen Augen ist es ein Warnsignal, dass Synagogen hierzulande geschützt werden müssen; der zunehmende Antisemitismus sei dafür verantwortlich und müsse dringend unterbunden werden. Dabei sei der Antisemitismus häufig schwer zu erkennen und komme von links oder sei hinter intellektuellen „Worthülsen“ versteckt. In dem Buch „Ewige Schuld?“ möchte Wolffsohn kritisch auf die Diskussion schauen.

Israel als Produkt der Kolonialmächte?

Wie ist Israel entstanden? Um tief in die Geschichte einzusteigen und sich dieser Frage differenziert zu widmen, sollten Interessierte das Buch von Wolffsohn lesen. So viel sagt er aber: „Es ist kontrafaktisch, Israel als Produkt des britischen Kolonialismus zu sehen.“ Auf der anderen Seite kritisiert er auch die Vorgehensweise Palästinas. In der Debatte gebe es weder die eine noch die andere falsche Seite – beiden Seiten können Wahrheiten abgenommen werden.

Mansour kritisiert diesbezüglich stark, dass der Staat Israel in Frage gestellt werde. „Wer stellt heute Jordanien oder Katar in Frage? Aber Israel wird problematisiert!“, trägt er der Debatte hinzu. Daher befürwortet er, anders als Wolffsohn, die Zwei-Staaten-Lösung. Eine Ein-Staaten-Lösung würde auf kurz oder lang bedeuten, dass Juden eine Minderheit werden. Er selber sagt dazu: „Ich möchte nie wieder eine Minderheit sein.“

„Ohne Selbstkritik entpuppt sich Wissenschaft als Propaganda“

Um einen Einblick in das Buch zu geben, spricht Engelbrecht die Freundschaft zwischen Israel und Deutschland an, bei der ein Ungleichgewicht erkennbar sei. „Wo fehlt die Balance?“, fragt der Moderator. Die Antwort des Autors ist, dass Israel zum einen in der öffentlichen Meinung neben Nordkorea und der Apartheid in Afrika zu den unbeliebtesten Ländern weltweit gehöre. Israel sehe Deutschland allerdings als Freund. Zweitens vereine zwar beide Länder der Gedanke „Nie wieder!“, sie schauen aber mit einer anderen Sicht darauf. So möchte Deutschland nicht erneut Täter sein und Israel kein Opfer. Daher schlussfolgert Wolffsohn: „Die beiden Seiten können strukturell und mental nicht zusammenkommen.“

Der Moderator fragt außerdem nach der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Für Wolffsohn steht diesbezüglich fest, dass Gesellschaften sich normalerweise in Symbiose weiterentwickeln. „In Deutschland ist das nicht zu sehen“. Es gebe keine Erneuerungen.

Ewige Schuld?

In der Diskussion widmen sich die Herren auch der Frage des Buchtitels „Ewige Schuld?“. Mansour stellt in der Diskussion klar heraus: „Eine ewige Schuld ist nicht mehr da.“ Denn: Die Debatte um die Schuldfrage sei in der Politik sehr oberflächlich – es gebe keine Konzepte, Methoden und Überzeugungen gegen Antisemitismus. Auch der Spiegel-Autor fühlt sich durch das Buch „Ewige Schuld?“ in seiner eigenen Skepsis der Politik gegenüber bestätigt. Nach außen zeigen die Deutschen, dass sie für Bedrohung und Terror geöffnet seien. In Wahrheit sei das nicht der Fall.

So erzählt Mansour, dass das Gespenst des Antisemitismus in Deutschland teilweise radikaler sei, als in seiner Heimat Israel. Hierzulande gab es den Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 und immer wieder sind bei Demonstrationen judenfeindliche Parolen wie „Jude du Schwein, komm heraus und kämpf allein“ und „Tod den Juden“ sowie durchgestrichene Davidsterne auf Flaggen zu hören und sehen. Linksradikale und Antisemiten würden bei den Demonstrationen zusammenlaufen, „die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund ist Antisemitistisch plus Israelkritisch“, so Mansour. Zwar gebe es viele Menschen, die hinter Israel stünden, „aber: viele Politiker haben die Dimensionen nicht verstanden“, meint der Psychologe und fordert, dass Lösungen gesucht werden müssen.

Migration in Deutschland

Die Journalistin Ulrike Stockmann fragt, wie die Herren die Migrationspolitik in Deutschland bewerten. Besonders wichtig sei laut Wolffsohn ein „Einhalten der Spielregeln von allen“. Insgesamt gelte schließlich: „Wer auch immer kommt wird gebraucht und sollte willkommen sein.“

Mansour fügt hinzu, dass auch Menschen mit antisemitischen Tendenzen erreichbar sind und durch Bildung lernen, ihren israelbezogenen Antisemitismus zu überdenken. „Durch gute Arbeit können Menschen erreicht werden und sich mit der Zeit als Teil der Gesellschaft fühlen“, so Mansour. Wichtig sei insgesamt, dass man auf Augenhöhe miteinander kommuniziere.

Zum Schluss der Buchvorstellung wird klar: Um die deutsch-jüdisch-israelische Beziehung steht es schlecht. Genaue Gründe können in der Buchvorstellung nur angeschnitten, aber in „Ewige Schuld?“ detailreich nachgelesen werden. Eine der interessantesten Fragen lässt in dem Buch außerdem auf sich warten: Eine Prognose für die Zukunft.

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