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Die Bauwirtschaft im freien Fall – Übertreibt die EZB?
Zinsanstieg

Die Bauwirtschaft im freien Fall – Übertreibt die EZB?

Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main

Die Bauwirtschaft in Deutschland stürzt ab. Das zeigen die jüngsten Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis). Ein wesentlicher Grund dafür sind die steigenden Zinsen.

Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland sind im ersten Quartal dieses Jahres so stark gesunken wie noch nie. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am vergangenen Freitag mitteilte, bezifferte sich der Rückgang auf durchschnittlich 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Das war das größte Minus seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000. Besonders stark gaben die Preise in den Top-Sieben-Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart, Düsseldorf) nach. Hier betrug das Minus für Ein- und Zweifamilienhäuser 10,4 Prozent, für Wohnungen 6,4 Prozent. Das Statistische Bundesamt machte für die Entwicklung die „gestiegenen Finanzierungskosten und die anhaltend hohe Inflation“ verantwortlich.

Der Einbruch der Immobilienpreise ist kein isoliertes Ereignis, sondern fügt sich nahtlos in das konjunkturelle Gesamtbild der vergangenen Wochen und Monate ein. Und dieses spricht eine klare Sprache: Die Bauwirtschaft in Deutschland befindet sich im freien Fall. So ist die Zahl der Baugenehmigungen im April im Vergleich zum Vorjahr um 31,9 Prozent auf 21.200 Wohnungen eingebrochen. Das war der stärkste Rückgang seit 16 Jahren. Im März war die Kennziffer bereits um 29,6 Prozent gesunken. Ähnlich sieht es beim Auftragseingang im Bauhauptgewerbe aus. Hier meldete Destatis in der vergangenen Woche für den April einen Rückgang im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat von 10,3 Prozent. Damit rückt das Ziel der Ampel-Regierung, für jährlich 400.000 neue Wohnungen zu sorgen, in immer weitere Ferne. Nach rund 280.000 Wohnungen 2022 dürften in diesem Jahr nur noch 250.000 fertiggestellt werden. Im kommenden Jahr könnten es dann sogar nur noch 200.000 sein.

Haupttreiber der Rezession

Laut Destatis ist die Bauwirtschaft damit eine der Hauptursachen der Rezession in Deutschland. Letztere ist nun amtlich. Denn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im ersten Quartal 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft, wie die Wiesbadener Statistiker in der vergangenen Woche mitteilten. Ihre erste Schätzung von Ende April haben sie damit nach unten revidiert. Ursprünglich war Destatis von einer Stagnation im ersten Quartal ausgegangen. Da die Wirtschaft bereits Ende 2022 um 0,5 Prozent geschrumpft war, hat die Wirtschaftsleistung nun zwei Quartale in Folge abgenommen. Damit sind rein formal die Kriterien für eine Rezession erfüllt.

In der Folge gerät nun auch der Zinserhöhungskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) immer stärker in die Kritik. Die Notenbanker haben angesichts der stark gestiegenen Inflation ihre Leitzinsen seit Juli 2022 so stark erhöht wie nie – um insgesamt 400 Basispunkte. Der Einlagenzins liegt mit 3,5 Prozent nun so hoch wie zuletzt im Mai 2001. Das Problem dabei: Die steigenden Zinsen verteuern nicht nur die Immobilienkredite, sondern dämpfen auch die Investitionsbereitschaft der Hauseigentümer. Der Ökonom Heiner Flassbeck schrieb dazu bereits Ende März auf seinem Blog „Relevante Ökonomik“: „Betrachtet man die Gesamtkonstellation von Baunachfrage, Baukosten und Hauspreisen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Geldpolitik für den Absturz der Bauwirtschaft und des Häusermarktes mitverantwortlich ist.“ Damit falle die Bauwirtschaft als erste Branche „der Geldpolitik zum Opfer“.

EZB würgt Wirtschaft ab

Inzwischen nehmen aber auch die Sorgen zu, dass die EZB mit ihrem restriktiven Kurs nicht nur die Baukonjunktur, sondern gleich die gesamte Wirtschaft abwürgen könnte. Rund um die jüngste Zinssitzung der EZB Mitte Juni hatten vor allem Gewerkschaftsvertreter darauf hingewiesen, dass die EZB es zu sehr übertreibe. „Wir warnen die EZB vor weiteren Zinserhöhungen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der Nachrichtenagentur Reuters. „Höhere Zinsen bremsen die Nachfrage und die Wirtschaft aus, treiben Deutschland unnötig in eine Rezession.“

Derweil haben sowohl Bundesbankpräsident Joachim Nagel als auch EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel die Kritik zurückgewiesen. Nagel etwa bekräftigte seine Forderung nach weiter steigenden Leitzinsen und betonte, dass die Straffung gerade zum Ziel habe, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu dämpfen. Auch Schnabel verwies darauf, dass die EZB ihre Geldpolitik im Zweifel lieber zu stark als zu wenig straffen soll. „Wir müssen die Zinsen so lange erhöhen, bis wir überzeugende Beweise dafür sehen, dass die Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation mit einer nachhaltigen und zeitnahen Rückkehr der Gesamtinflation zu unserem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent vereinbar ist“, sagte sie.

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