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„Der Staat hat immer recht“
Polizei

„Der Staat hat immer recht“

Bei einer Demonstration in Berlin im September 2022 anlässlich einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

Drei leitende Beamte erklären, wie Staatsgläubigkeit die Herrschaft des Rechts in der Polizei ersetzt hat.

„Mit einem Rechtsstaat hat das Handeln der Polizei seit Corona nichts mehr zu tun“, erklärt Hauptkommissar Bruno Schober (Name von der Redaktion geändert). Er war zuletzt Leiter einer Dienststelle bei der Bayerischen Landespolizei, vor einigen Jahren wurde er pensioniert. Mit Leib und Seele sei er Schutzpolizist gewesen. Über die ehemaligen Kollegen und seinen eigenen Werdegang spricht er mit Zuneigung, aber: „Auch früher missbrauchte die Politik uns für rechtswidrige Einsätze, beispielsweise bei Hausbesetzungen“, im heutigen Ausmaß der Illegitimität sieht Schober allerdings einen Unterschied: „Wenn Kollegen heute Kinder mit dem Streifenwagen durch einen Park hetzen, weil die irgendwelche Abstände nicht einhalten, dann ist das nicht mehr meine Polizei.“

Nach Ansicht Schobers ist der Vorfall aus Hamburg Sinnbild für die Verrohung und den Verlust der Gesetzesbindung der Behörde. Als früherer Kreisvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei ist der ehemalige Hauptkommissar auch heute noch mit seinen aktiven Kollegen im ständigen Austausch. „Junge Polizeiführer heute fangen sofort die Hetzjagd auf sogenannte Maskenverweigerer an, wenn sie aus der Politik die Order dazu bekommen.“

Politik ist Gott

Eine kritische Reflektion über Verhältnismäßigkeit oder gar Verfassungsmäßigkeit ihres eigenen Vorgehens finde bei dieser Generation von Polizisten nicht mehr statt. In deren Weltbild sei „die Politik Gott“. Und so scheinen sich Politiker auch gegenüber den Beamten im Alltag zu benehmen. Schober, der selbst als Personenschützer für Regierungsmitgliedern und Spitzenbeamten verantwortlich war, schockiert, wie beispielsweise Baden-Württembergs Innenminister Stobl seine Leibwächter behandelt. „Sie können sich nicht vorstellen, wie der sie regelmäßig anschreit.“

Ausschlaggebend für die Untergebenheit junger Polizisten sei laut Schober das darauf ausgerichtete Nachwuchssystem. Dramatisch sei vor allem, dass heutigen Einsteigern bei der Polizei jegliche Berufs- und Lebenserfahrung fehle. Im Gegensatz zu früheren Jahrgängen komme es heute praktisch nicht mehr vor, dass Polizisten, „die mit der Waffe am Gürtel das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen“, über die charakterliche Reife verfügen, die bei jedem Menschen eben nur mit der Lebenserfahrung komme.

„Rekrutierung der Gehorsamsten“

Dieser Diagnose schließt sich Holger Schwemer (Name von der Redaktion geändert) an. Schwemer ist Oberrat der Polizei in Nordrhein-Westfalen (NRW) und als solcher an höchster Stelle für Einsatzplanung und Durchführung verantwortlich. „Seit der sogenannten Kienbaum-Studie 1993“, sagt er, „ist die Nachwuchsgewinnung auf die Rekrutierung der Gehorsamsten ausgerichtet“. Das Auswahlverfahren in Form von Multiple-Choice-Fragen sei nur vordergründig Intelligenz- oder Wissenstest. „Tatsächlich ist es ein Wesensstrukturtest“, der nur Bewerber mit totalitärer Neigung zulasse. Gefragt werde beispielsweise: „Sie haben den Auftrag zur Durchsetzung eines Haftbefehles. Der Betroffene ist Ihr bester Freund. Setzen Sie den Auftrag um?“ Die Antwortmöglichkeiten seien „ja, nein und vielleicht“. Einzig bei Antwort mit „ja“ habe der Bewerber Aussicht auf Einstellung als „Anwärter“.

Auch in der anschließenden Ausbildung werde „anstelle von Ethik heute Berufsmoralismus gefordert und gefördert“. Laut Schwemer seien die durchweg ungeschriebenen Lehrformeln der Ausbildung: „Der Staat ist das Größte. Der Staat muss immer gewinnen.“ Jungen Polizisten werde diese Einstellung vermittelt, wenn es um die Anwendung der Polizeigesetze insbesondere bei Gewaltanwendung und dem Eindringen in die Privatsphäre der Bürger gehe.

In vielen Bundesländern wurden unter dieser Maßgabe die Einstellungen der Polizei massiv erhöht. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise gibt es heute über 58.000 Mitarbeiter bei der Polizei, davon 42.609 Vollzugsbeamte. Vor wenigen Jahren waren es noch rund Zehntausend weniger. Das Ergebnis dieser Aufrüstung mit willigen Vollstreckern sei, so Schwemer, dass wir heute „statt mehr Sicherheit immer mehr Kontrolle“ hätten. Der Oberrat meint, dass die Verantwortung des Polizeiberufs eigentlich eine Aufgabe für Menschen sei, die „bereits eine Lebensleistung erbracht haben“. Das Gegenteil sei heute aber der Fall und die Polizei so zu einem illegitimen Instrument der Gewalt gegen die Bürger geworden. Dies sei „perfide“ und „von der Politik gewollt“.

„Durchstellung politischer Zielvorgaben“

Was für den Nachwuchs in Streifenwagen und Hundertschaften gelte, gelte gleichermaßen für die Führung. Der Hamburger Kriminalpolizist Jürgen Reiners (Name von der Redaktion geändert) pflichtet seinem Kollegen aus NRW bei und sagt: „Junge Absolventen von Fachhochschulen, werden wie in einem Durchlauferhitzer“ im Wochentakt irgendwo zu Kommissariatsleitern gemacht und dann schnell weiterbefördert.“ Diesen politisch auserkorenen Führungskadern fehle jegliche Erfahrung als Ermittler, geschweige denn als Vorgesetzte.

Reiners ist Hauptkommissar der Kripo und 38 Jahre alt. Er leitet selbst ein Kommissariat für Wirtschaftssachen und ist seit langem täglich in der Ermittlungsroutine. Er erklärt: „Das Problem ist der ideologische Durchgriff. Egal ob Gender, Rassismus oder Corona – der sogenannte Führungsnachwuchs ist vorrangig mit der Durchstellung politischer Zielvorgaben befasst.“

Mangels praktischer Ermittlungserfahrung fehle dieser Führungsgeneration nicht nur der Bezug zu den Betroffenen ihrer Gewaltausübung. Sie seien „mit Anfang zwanzig“ zudem hörig gegenüber der Politik und dem System. In diesem Sinne hätten auch alle Kollegen seiner Dienststelle die kürzlich durchgeführte „Megavo“-Studie verstanden, die das Bundesinnenministeriums finanzierte. Offiziell sei es bei dieser Befragung um „Motivation und Einstellung“ der Beamten gegangen. Tatsächlich seien die teilweise „haarsträubend tendenziösen“ Fragen eine „offenkundige Gesinnungsprüfung“ gewesen, von der kein Beamter annehme, dass sie tatsächlich anonym erfolge. Jedem Teilnehmer wurde beispielsweise einen „persönlicher Teilnahmeschlüssel“ ausgegeben, um die Befragung jederzeit unterbrechen und später wieder fortsetzen zu können. Diese Studie ist selbst nach Meinung der „systemtreuen Kollegen eindeutig DDR 2.0“, erzählt Reiners.

Trotz dieser Wahrnehmung bestehe Hörigkeit gegenüber der politischen Führung – selbst bei offenen Rechtsbrüchen. Ausschlaggebend dafür sei, dass die jungen Absolventen der „Führungsausbildung“ als Diplom-Verwaltungswirte der behördeneigenen Hochschulen keinerlei Ausbildung erhielten, mit der sie außerhalb der Polizei etwas anfangen können. Auch hätten sie noch keine Pensionsansprüche, die Sicherheit böten. Die Folge sei, dass eine durchweg ideologisierte Polizeiführung auch intern Angst davor verbreite, bei Benennung der Missstände als „Delegitimierer“ selbst ins Fadenkreuz zu geraten.

Nancy Faesers Ankündigung einer „Beweislastumkehr bei vermeintlichem Verfassungstreue-Fehlverhalten“ scheint aber ein Wendepunkt gewesen zu sein. Denn alle drei Polizisten beobachten, dass seither jeden Tag immer mehr ihrer Kollegen aus der Deckung kämen und ihre Angst zur Benennung der Rechtsbrüche überwänden. „Wir müssen aufstehen“, sagt Oberrat Schwemer und Kriminalhauptkommissar Reiners bestätigt: „So wie derzeit kann es mit der Polizei nicht weitergehen“. Auch Schober meint, dass „in den oberen Etagen der Behörden die Handschellen klicken müssen“, wenn die Polizei zurück in die Rechtsstaatlichkeit wolle. Der einzige Weg dorthin sei es, immer mehr Kollegen zu überzeugen, sich das Unrecht einzugestehen, das vor ihren Augen stattfinde, und sie zu motivieren, sich dem Widerstand dagegen anzuschließen.

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