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1. Juni – Internationaler Kindertag und die Wirklichkeit
Gesellschaft

1. Juni – Internationaler Kindertag und die Wirklichkeit

Symbolbild

Foto: Pixabay/nowaja

In der Bundesrepublik wird seit 1990 zweimal im Jahr der Kindertag begangen, am 1. Juni und am 20. September. Das hat historische Gründe. Zugleich gibt es für viele Kinder wenig Grund zum Feiern.

Deutschland ist weltweit wahrscheinlich das einzige Land, das zweimal im Jahr einen Kindertag begeht. Da ist zum einen der „Internationale Kindertag“ am 1. Juni. Dieser stammt aus der DDR und wurde dort erstmals 1950 gefeiert. Er wurde 1949 auf Beschluss der Internationalen Demokratischen Frauenförderation (IDF) eingeführt und vor allem in den Ländern des einstigen sozialistischen Lagers begangen. Zuallererst gab es ihn 1920 in der Türkei. Meist bedeutete er in der DDR einen schulfreien Tag, mit Sportfest oder Ausflug in die Umgebung oder einem Kinderfest in den Kindergärten und Schulen.

Zum anderen wird seit 1954 in der Bundesrepublik der 20. September als von der UN ins Leben gerufene „Weltkindertag“ begangen. So gibt es seit der Übernahme der DDR in die Bundesrepublik in derselben zweimal im Jahr einen Tag der Kinder. Je nach Bundesland und Einrichtung werden beide Tage gefeiert, in Ostdeutschland vor allem der 1. Juni. Beide Tage sollen die Rechte und Bedürfnisse von Kindern ins öffentliche Bewusstsein und Handeln rücken, wie es offiziell heißt.

Doch die Realität sieht für viele auch an solch einem Tag anders aus, die kaum Grund zum Feiern haben. Laut einer Umfrage für das Deutsche Kinderhilfswerk im Jahr 2022 sehen nur 48 Prozent der befragten Bundesbürger Deutschland als kinderfreundliches Land. „Nach dem Urteil von 43 Prozent ist Deutschland alles in allem kein kinderfreundliches Land. Damit fällt der Anteil derjenigen, die Deutschland als kinderfreundliches Land einschätzen, geringer aus als 2015 und 2018. Damals waren noch 58 Prozent beziehungsweise 56 Prozent der Meinung, dass Deutschland ein kinderfreundliches Land ist.“

Anspruch und Wirklichkeit

Der Umfrage nach sehen die meisten der Befragten vor allem Unterschiede zwischen Anspruch an eine kinderfreundliche Gesellschaft und der Wirklichkeit hinsichtlich der Berücksichtigung der Kinderinteressen in Krisenzeiten (minus 75 Prozentpunkte), der Bekämpfung von Kinderarmut (minus 71 Prozentpunkte), dem Schutz der Kinder vor Gewalt (minus 71 Prozentpunkte) sowie der Unterstützung von Familien mit Kindern (minus 54 Prozentpunkte). Auch bei den Fragen hinsichtlich ausreichender Spiel- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder werden solche Unterschiede gesehen (Diskrepanz von 49 Prozentpunkten).

Mehr als jedes fünfte Kind gilt hierzulande als armutsgefährdet, wie selbst die Bertelsmann-Stiftung Anfang dieses Jahres feststellte. Das gilt für fast drei Millionen Kinder und Jugendliche. Alleinerziehende sowie Familien mit drei und mehr Kindern sind danach besonders betroffen. Die Daten zeigen laut der Stiftung, dass sich die Lage in den letzten Jahren nicht gebessert hat. 

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge schrieb dazu im April in der Frankfurter Rundschau: „Mehr als 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren wachsen in Familien auf, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Dies bedeutet für Alleinerziehende, die ein Schulkind haben, mit einem Betrag unter 1.489 Euro und für Paare, die zwei Schulkinder haben, mit einem Betrag unter 2.405 Euro auskommen zu müssen.“

Geld für Bomben statt für Kinder

Trotzdem werde die im Koalitionsvertrag der „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP vereinbarte Kindergrundsicherung weiter in Frage gestellt, unter anderem wegen angeblich fehlender Finanzierung. Bundesfinanzminister Christina Lindner (FDP) will dafür weniger Geld ausgeben, als nach Angaben aus dem Bundesfamilienministerium unter Lisa Paus (Grüne) notwendig wäre. Eine solche Debatte ist bei den Milliarden Euro für die Bundeswehr und die Waffen und andere Hilfe für die Ukraine nicht zu erleben. Für Panzer und Bomben fließt das Geld anscheinend wie von allein.

Die Zugänge für Kinder und Jugendliche zu sozialer und kultureller Teilhabe sind in Deutschland weiterhin stark von den finanziellen Ressourcen der Eltern abhängig. Das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) hat seine Ziele verfehlt und geht an der Lebenswirklichkeit von Familien vorbei. Die Regierenden müssten eigentlich dafür sorgen, dass nicht nur existenzielle Grundbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen gedeckt werden.

Kinderrechte und soziales Umfeld wichtig

„Sozial ist auch längst nicht alles, was Arbeit schafft, sondern nur, was Armut abschafft“, stellte Butterwegge fest. Und macht auf einen Fakt aufmerksam: „Schließlich hat sich die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren halbiert, während die Kinderarmut im selben Zeitraum weiter zunahm.“ Der Armutsforscher stellte klar:

„Nur wenn genügend Kindertagesstätten, gut ausgestattete Schulen und ausreichend Freizeitangebote (vom öffentlichen Hallenbad über den Jugendtreff und das Museum bis zum Tierpark) vorhanden sind, kann verhindert werden, dass ein Großteil der nachwachsenden Generation unterversorgt und perspektivlos bleibt. Kita, Schule, Ganztagsbetreuung, Mittagessen und Mobilität müssen kostenfrei, die soziale Teilhabe und der Zugang zu kulturellen Angeboten selbst für Mitglieder armer Familien bezahlbar werden.“

Die sinkenden Geburtenraten haben aus Sicht von Experten auch mit den beachtlichen Zweifeln vieler Menschen an echten Lebensperspektiven für ihre Kinder zu tun. Deshalb wird seit langem gefordert, die Rechte der Kinder im Grundgesetz zu verankern. Wenn die Kinder als eigenständige Personen betrachtet würden, wären Gesellschaft und Staat in der Pflicht, allen Kindern eine annehmbare Zukunft zu garantieren, heißt es. Dafür reicht es nicht aus, den 1. Juni als gesetzlichen Feiertag festzulegen, wie einige Fraktionen der Linkspartei in Landtagen verlangen.

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