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Das US-Imperium schlägt zurück
Multipolare Welt?

Das US-Imperium schlägt zurück

Foto: Schild auf der Friedensdemo in Berlin am 25. Februar. Foto: Sandra Doornbos

Die meisten Länder der Welt machen bei den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit. Immer mehr wollen sich dem BRICS-Bündnis anschließen. Die globale Abrechnung des Ölhandels in Dollar wird zunehmend unterlaufen. Eine multipolare Weltordnung zeichnet sich ab. Aber das US-Imperium hat noch einige Möglichkeiten und schlägt zurück.

Die unipolare Weltordnung der vergangenen 30 Jahre, die Full Spectrum Dominance der USA, bekommt seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine immer sichtbarere Risse. Wirklich treu zu Washington stehen nur die nachrangigen angelsächsischen Mächte Britannien, Kanada und Australien sowie Japan und die meisten EU-Länder, die der einflussreiche US-Stratege Zbigniew Brzeziński in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ offenherzig als „tributpflichtige Vasallen“ bezeichnet hatte.

Russland militärisch schwächen?

Militärisch hat zwar der mutmaßliche ursprüngliche Plan der russischen Führung, durch einen Vormarsch auf Kiew das dortige Maidan-Regime rasch zum Zusammenbruch zu bringen, nicht geklappt. Zu stark war die ukrainische Armee in den acht Jahren davor aufgerüstet worden und eine rasche Verhandlungslösung wurde von London und Washington torpediert. Das Ziel des US-Imperiums, Russland als potentiellen Herausforderer der unipolaren US-Weltherrschaft durch einen Zermürbungskrieg und die Wirtschaftssanktionen militärisch, wirtschaftlich und politisch nachhaltig zu schwächen, hat aber bisher nur partiell funktioniert.

Russland hat zwar tausende, wenn nicht zehntausende Soldaten und große Mengen Militärtechnik verloren. Gleichzeitig liegt ein Sieg des Kiewer Regimes mit seinen zahllosen Söldnern aus Nato-Staaten in weiter Ferne. Russland konnte den Donbass fast vollständig und eine Landbrücke zur Krim erobern. Und die personellen Kapazitäten der ukrainischen Armee dürften sich immer mehr erschöpfen.

Wirtschaftssanktionen gefloppt?

Wirtschaftlich haben die beispiellosen Sanktionen gegen Russland viel weniger erreicht, als von USA und EU erhofft. Das liegt einerseits an der offenbar guten Vorbereitung in Russland: Westliche Importe konnten weitgehend ersetzt werden. Statt westlicher Kreditkarten werden in Russland nun chinesische verwendet. Für das westliche Zahlungssystem Swift war Ersatz vorbereitet gewesen. Geschlossene Niederlassungen westlicher Konzerne wurden durch russische Firmen übernommen. Der Rubel erreichte nach einem anfänglichen Einbruch neue Höchstwerte.

Andererseits und vor allem beteiligen sich die meisten Staaten nicht an den Sanktionen gegen Russland: Neben China und Indien sind das diverse arabische, afrikanische und lateinamerikanische Länder. Dass ein Nato-Staat wie die Türkei oder das traditionell mit den USA verbündete Saudi-Arabien sich gegen die Sanktionen stellen und mit Russland und China kooperieren, ist für das US-Imperium ein herber Rückschlag. Der Verkauf von russischem Öl und Gas läuft weiter, verstärkt nach China und Indien, aber über verschiedene Umwege auch nach Europa.

Ökonomische und militärische Optionen

Trotzdem hat die bisherige globale Hegemonialmacht noch einige Optionen: finanzwirtschaftliche, militärische und politische. Der erste Bereich scheint sich aber bereits etwas abzunutzen – im Gegenteil, wurde in Folge der Sanktionen in den letzten Monaten die Position des Dollars als Weltreservewährung immer mehr untergraben, der Ölhandel von Russland mit China, Indien und sogar Saudi-Arabien verstärkt in anderen Währungen abgewickelt. Sergey Glazyev, einer der wichtigsten Ökonomen Russlands und Wirtschaftsberater von Wladimir Putin, sieht bei der Abkehr vom Dollar aber noch einen langen Weg, bei dem China, nicht Russland, eine entscheidende Rolle zukäme. Und auch die Fertigstellung der geplanten Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ nach China werde noch Jahre dauern.

Militärisch sind die USA weiterhin massiv überlegen. Sie haben nach verschiedenen Angaben zwischen 600 und 800 Militärstützpunkte in anderen Ländern, Russland gerade mal 20, überwiegend in Zentralasien und seit einigen Jahren auch in Syrien. China, das insgesamt den USA auch militärisch näherkommt, verfügt lediglich über eine einzige Militärbasis im Ausland, nämlich in Dschibuti in Ostafrika. 2021 haben die USA 801 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben, vor China mit 293 Milliarden, Indien mit 76, Großbritannien mit 68, Russland mit 66, Frankreich mit 57, Deutschland und Saudi-Arabien jeweils mit 56 Milliarden. Allerdings sind die Kapazitäten der USA eben weltweit verstreut und gebunden, bestimmte Waffensysteme und Munition scheinen der Nato durch den Ukraine-Krieg bereits auszugehen. Und in manchen Bereichen, etwa mit den Hyperschallraketen, dürfte Russland auch überlegen sein.

Moldawien und Georgien

Die größten Möglichkeiten haben die USA gegenwärtig offensichtlich auf der politischen Ebene, da sie weltweiten Einfluss durch die jahrzehntelang aufgebauten Strukturen – Geheimdienste, NGOs, Medien, US-loyale Politiker und Intellektuelle – haben. Wie das funktioniert, kann man aktuell in verschiedenen Teilen der Welt beobachten: In Moldawien hat man Ende 2020 die Harvard-Absolventin und Weltbank-Beraterin Maia Sandu als Präsidentin installiert. Das Land beteiligt sich an den antirussischen Sanktionen und nimmt in der Folge eine Explosion der Energiepreise in Kauf. Proteste der Bevölkerung gegen das pro-Nato-Verarmungsregime werden unterdrückt und natürlich von den westlichen Medien diffamiert. Und zuletzt hat sich die moldawische Führung gemeinsam mit dem Regime in Kiew daran beteiligt, Spannungen gegenüber der abtrünnigen Region Transnistrien zu schüren, um Russland dort unter Druck zu setzen.

In Georgien arbeiten US-Geheimdienste und westlich finanzierte NGOs offensichtlich an einem „Maidan“ in Tiflis. Das dort regierende Bündnis „Georgischer Traum“ strebt zwar eine Mitgliedschaft in EU und Nato an, ist aber auch um gute Beziehungen zu Russland bemüht, mit dem das Land wichtige wirtschaftliche Beziehungen – Energie gegen landwirtschaftliche Produkte – hat. Das genügt offenbar bereits, um ins Fadenkreuz der Nato zu gelangen. Vorwand für die Regime-Change-Agenda ist ein – mittlerweile zurückgezogener – Gesetzesentwurf, laut dem politische Gruppierungen, NGOs und Stiftungen ausländische Spendeneinnahmen über 20 Prozent deklarieren müssen. Während der „Foreign Agents Registration Act“, der in den USA seit 1938 besteht, für die Mainstream-Medien natürlich kein Thema ist, wurden ähnliche Pläne in Georgien zur Straßenmobilisierung gegen die Regierung genutzt.

Dafür wurden auch georgische Söldner, die für das Regime in Kiew in der Ukraine gekämpft hatten, trotz des Personalmangels der ukrainischen Armee nach Georgien zurückgebracht. Es handelt sich bei jenen um Anhänger des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili, eines Stipendiaten des US-Außenministeriums. Das Ziel der US-Stellen und ihrer NGOs ist klar, nämlich die Eröffnung einer neuen Front gegen Russland – durch den Sturz der Regierung und militärische Angriffe gegen die abtrünnigen Regionen Abchasien und insbesondere Südossetien, die von Russland geschützt werden. Entscheidend wird sein, ob die georgische Regierung den politischen Willen hat, Provokationen und einen Putsch zu unterdrücken – wie es Viktor Janukowitsch, trotz der Möglichkeit dazu, nicht getan hat, Baschar al-Assad hingegen schon.

BRICS-Staaten aufbrechen

Während Donald Trump China als Hauptfeind der USA ansah und Russland nicht in die Arme Pekings treiben wollte, hat die Regierung von Joe Biden, mit Unterstützung der Neocons, die Eskalation mit Russland gesucht. Die chinesische Führung freilich ist klug genug, Russland nicht fallen zu lassen. Wenn Russland von der Nato zerschlagen würde, wäre die geopolitische Lage für China – ohne der militärisch starken Energielieferanten – ja auch wesentlich schlechter. China und Russland haben ihr Bündnis im letzten Jahr dementsprechend vertieft und arbeiten nicht nur an der eurasischen Integration, sondern auch an der Vertiefung der BRICS-Kooperation. Erfolgreich, denn so unterschiedliche Staaten wie Argentinien, Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei haben ihren Willen zum Beitritt bekundet.

Das schmeckt dem Imperium natürlich gar nicht. Dementsprechend versuchen US-Stellen und ihre Partner, in das BRICS-Bündnis reinzuspalten und Länder rauszubrechen. Brasilien wickelte 2022 zwar bereits 27 Prozent seiner Exporte und 23 Prozent seiner Importe mit China ab, im Vergleich zu 11 beziehungsweise 19 Prozent mit den USA, der wirtschaftliche und politische Einfluss der USA ist aber immer noch groß. Nachdem der neue alte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von den globalistischen Regierungen, NGOs und internationalen Medien gegen seinen missliebigen Vorgänger Jair Bolsonaro unterstützt worden war, setzt er nun immer mehr die Linie seiner Förderer um: So verweigert er Familien den Zugang zum Hilfsprogramm Bolsa Família, wenn die Kinder nicht gegen Corona „geimpft“ sind. Zum Krieg in der Ukraine hatte er anfänglich eine ähnliche Position wie Bolsonaro, jetzt knickt er immer mehr ein, und Brasilien stimmte der UN-Resolution zur Verurteilung des „Angriffskrieges“ zu – ohne Rücksicht auf die BRICS-Verbündeten Russland, China und Indien.

Ebenso im Visier hat das US-Imperium einen anderen BRICS-Staat – nämlich Indien. Trotz wiederholtem Druck aus Washington und London hat sich die Regierung von Narendra Modi hartnäckig geweigert, sich den Sanktionen gegen Russland, vor allem gegen den Ölhandel, anzuschließen. In der Folge setzen die angelsächsischen Mächte nun offenbar auf einen Sturz Modis. Auf der Nato-Sicherheitskonferenz im Februar hat George Soros – der dort als Privatmann eine Rede halten kann, ohne dass das noch jemandem seltsam vorkommt – mehr oder weniger offen die Destabilisierung der indischen Regierung angekündigt, nämlich über Aktienkurse und ausländische Investoren; Modi sei kein Demokrat und er, Soros, erwarte eine „demokratische Wiederbelebung in Indien“. Soros war gemeinsam mit der CIA schließlich schon an einigen Regime-Changes beteiligt. Tatsächlich hat eine zwielichtige Wall-Street-Finanzfirma, Hindenburg Research, den indischen Milliardär Gautam Adani ins Visier genommen, einen Hauptfinanzier von Modi. Und etwa zeitgleich veröffentlichte BBC eine große Dokumentation, in der gegen Modi Stimmung gemacht wurde.

Islamische Karte

Auch in Kasachstan arbeiten US-Stellen daran, die Einbindung des Landes in die von Russland und China betriebene eurasische Integration zu verhindern, antirussische Stimmungen anzuheizen und es zunehmend von Russland zu lösen – mit bislang einigen kleineren Erfolgen. In Kasachstan und anderen zentralasiatischen Staaten könnten die US-Geheimdienste ebenso die „islamische Karte“ spielen wie gegen Indien und China, wo es 180 beziehungsweise 25 Millionen Muslime gibt.

„Positive“ Erfahrungen mit dem Einsatz von Islamisten gegen unerwünschte Regierungen haben die US-Geheimdienste immerhin wiederholt gemacht: In Indonesien hatte man sich 1965 unter anderen der Islamisten bedient, um die starke Kommunistische Partei auszuschalten und etwa eine Million ihrer Anhänger bestialisch zu ermorden. In Afghanistan hatten die USA, gemeinsam mit Pakistan und Saudi-Arabien, ab 1979 islamistische Reaktionäre systematisch finanziert und militärisch ausgerüstet, um die säkulare prosowjetische Regierung zu bekämpfen. Und in Syrien protegierten die USA diverse Dschihadisten, um die lästige prorussische Regierung Assad loszuwerden.

Ausblick

Seit dem Februar 2022 zeichnen sich Konturen einer multipolaren Weltordnung am Horizont ab. Die USA können nicht mehr überall schalten und walten, wie sie wollen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Dennoch gibt sich das Imperium keineswegs geschlagen, sondern versucht verschiedene Wege, um die Gegner zu spalten und in die Schranken zu weisen.

Ob die US-Stellen mit ihren Machenschaften von Brasilien über Georgien bis nach Indien durchkommen, ist keineswegs garantiert. Der Ausgang des Waffengangs in der Ukraine ist weiterhin offen. Dabei zeigen sich auch in der US-Führung zunehmende Differenzen über die weitere Vorgangsweise. Und schließlich können wirtschaftliche Probleme, von hoher Inflation bis zu Bankenzusammenbrüchen, in der EU und den USA zu massiven politischen und sozialen Krisen führen, die die Macht des Imperiums weiter schwächen können.

Eric Angerer ist Historiker, Journalist und Sportlehrer. Er unterstützte lange Zeit betriebliche Selbstorganisation von Beschäftigten in Industrie und Gesundheitswesen und war zuletzt im Widerstand gegen das Corona-Regime aktiv.

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