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Corona-Kurswechsel im Kernland
Österreich

Corona-Kurswechsel im Kernland

Nach ihrem Sieg bei der Landtagswahl in Niederösterreich sind die Freiheitlichen nun in der Landesregierung. Die Koalitionsvereinbarung ist für alle Beteiligten ambivalent. Metapolitisch bedeutend sind aber die Vereinbarungen zur Corona-Politik.

Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) stand in der Wahlauseinandersetzung für vier Themen: 1. gegen die Russlandsanktion und für Neutralität, 2. unter dem Slogan „Festung Österreich“ gegen Massenzuwanderung, 3. für Preisbremsen gegen die Inflation, 4. für scharfe Kritik an Impfpflicht und Corona-Regime. Auf dieser Grundlage legte die FPÖ um 9,4 Prozent auf 24,2 Prozent zu. Für Niederösterreich ist das ein sensationelles Ergebnis, denn dieses Bundesland war, anders als Kärnten, Oberösterreich oder die Steiermark, für die Freiheitlichen nie eine Hochburg, sondern eher schwieriges Terrain.

Landtagswahl und Koalitionsvereinbarung

Für die christdemokratische Österreichische Volkspartei (ÖVP) ist das große und bevölkerungsreiche Niederösterreich traditionell ihr Kernland. Die ÖVP stellt mit Johanna Mikl-Leitner die Landeshauptfrau, bezieht aus dieser Landespartei die wichtigsten Minister der Bundesregierung, und viele Beobachter sind seit Jahren der Meinung, dass die Republik ohnehin von der ÖVP-Niederösterreich bestimmt wird. Gerade in dieser Hinsicht ist die jüngste Koalitionsvereinbarung bemerkenswert.

Die ÖVP hatte bei der Landtagswahl mit einem Minus von 9,7 Prozent nur noch 39,9 Prozent erreicht und damit die absolute Mehrheit im Landtag verloren. Besonders schlimm waren die ÖVP-Verluste in den ländlichen Gegenden, in denen die Impfquote besonders niedrig war – bisher schwarze Hochburgen. Verloren haben auch die Sozialdemokraten (SPÖ), mit einem Minus von 3,2 Prozent halten sie nun bei 20,7 Prozent.

Nachdem die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ gescheitert waren, musste sich Mikl-Leitner der FPÖ zuwenden, von der sie im Wahlkampf scharf attackiert worden war. Da bei einem Scheitern auch dieser Gespräche ein Zusammengehen von FPÖ und SPÖ nicht ausgeschlossen werden konnte und die ÖVP ihr Kernland auf keinen Fall verlieren will, musste die bisher allmächtige Mikl-Leitner über ihren Schatten springen. Als Vorleistung musste sie, die als „Mutter der Impfpflicht“ galt, öffentlich bekanntgeben, dass die Impfpflicht „ein Fehler“ gewesen sei.

In einigen Bereichen der Koalitionsvereinbarung zeigt sich der Einfluss der FPÖ  – in Absichtserklärungen, die wenig unmittelbare Bedeutung haben. Allerdings kann sich die FPÖ rausreden, dass diese Dinge nicht im Zuständigkeitsbereich des Landes lägen. Das betrifft etwa ein „klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralität“, zum Erhalt des Bargeldes oder die Ablehnung weiterer Zuwanderung.

Zu letzterer heißt es: „Mit Blick auf die Migrationsströme 2015/16 und 2022 muss die EU dringend die Anstrengungen erhöhen, ihre Außengrenzen effektiv und konsequent zu schützen, um dem Migrationsdruck durch Wirtschaftsflüchtlinge effektiv entgegenzuwirken. Aber auch die Bundesregierung ist gefordert, die illegale Zuwanderung zu stoppen und die Grenzen unseres Staates zu schützen.“

„Corona – Gräben schließen, Verantwortung übernehmen“

Sehr deutlich und teilweise auch konkret ist die Handschrift der FPÖ zum Corona-Regime zu erkennen. Der Abschnitt aus der Koalitionsvereinbarung im Wortlaut:

„Mehr als drei Jahre lang haben Pandemie und Corona-Maßnahmen das Leben der Bevölkerung in allen Lebensbereichen massiv beeinflusst. Verantwortungsvolle Politik bedeutet, kritisch zurückzublicken, Fehler einzugestehen und aus ihnen zu lernen. Wir wissen, dass durch die Pandemie und eine Reihe von Maßnahmen Schäden entstanden sind.

Wir verständigen uns daher darauf, die im Zuge der Pandemie gesetzten Maßnahmen aufzuarbeiten und Maßnahmen zu setzen, die entstandene Schäden – so gut dies möglich ist – wieder gut zu machen.

  1. Das Land Niederösterreich richtet auf die Dauer von zwei Jahren ab Errichtung einen Fonds in der Höhe von 30 Millionen Euro ein, der die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen evaluiert und mit Budgetmitteln für den Ausgleich von negativen Auswirkungen dotiert wird. Aus diesem Fonds sollen etwa Beratungsleistungen im Fall individueller Schäden, medizinische Betreuung von Menschen mit Impf-Beeinträchtigungen, Kosten zur Behandlung psychischer Probleme, allfällig erforderliche Therapien, Mehraufwendungen für Heimunterricht, sonstige erforderliche Unterstützungen in erster Linie für Kinder und Jugendliche wie zum Beispiel Gutscheine für Nachhilfe, Freizeitaktivitäten etc. finanziert werden. Diesbezüglich wird die Landesregierung entsprechende Förderrichtlinien erlassen.
  2. Das Land Niederösterreich wird jene – wegen Verletzung von Corona-Beschränkungen bezahlten – Strafgelder von Amts wegen an die Betroffenen persönlich rückerstatten, die aufgrund von Bestimmungen verhängt wurden, die in der Folge vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden sind.
  3. Die Summe der weiteren dem Land zugeflossenen Strafgelder von ungefähr 1,3 Millionen Euro werden vom Land Niederösterreich in den Fonds gemäß Punkt 1 eingebracht und so Personen zugutekommen, die durch die Pandemie Schaden genommen haben.
  4. Das Land Niederösterreich hat die Corona-Impflicht für Mitarbeiter aufgehoben und steht als Arbeitgeber wieder all jenen ehemaligen Mitarbeitern offen, die auf Grund der eingeführten Corona-Impfpflicht ihrer Tätigkeit nicht weiter nachgehen konnten.
  5. Das Land Niederösterreich wird alle Bewerber, deren Bewerbung für eine Stelle im Landesdienst auf Grund ihres Corona-Impfstatus nicht weiterverfolgt wurde, zu einer neuerlichen Bewerbung einladen. Voraussetzung bleiben selbstverständlich die allgemeinen Aufnahmekriterien.
  6. Dort, wo das Land Niederösterreich die Personalhoheit ausübt, werden keine Maßnahmen gesetzt, die auf eine direkte oder indirekte Corona-Impfpflicht hinauslaufen.
  7. Das Land Niederösterreich wird gesetzliche Anpassungen gegen eine Diskriminierung aufgrund des Corona-Impfstatus im Bereich des Landes vornehmen.
  8. Das Land Niederösterreich wird keine Werbemaßnahmen mehr für die Corona-Impfung durchführen.
  9. In den Kliniken der Landes-Gesundheitsagentur wird mit 30.4.2023 die Corona-Maskenpflicht für alle Mitarbeiter aufgehoben.
  10. Das Land Niederösterreich richtet unabhängig vom Fonds gem. Punkt 1 eine unabhängige, unbefangene und weisungsfreie Evaluierungskommission ein, die sich mit den Maßnahmen, Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie wie z.B. Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen auseinandersetzen und diese aufarbeiten wird. Die Ergebnisse dieser Kommission sollen für das Land Orientierung für Maßnahmen im Falle einer allfällig neuerlich auftretenden Pandemie sein.“

Einordnung der Vereinbarung

Bei einigen dieser Punkte ist noch unklar, was das bedeuten wird. Bei der Rückzahlung von Strafgeldern etwa wenden Juristen ein, dass das Land nicht vom Bund verhängte Strafen retournieren kann. Andere Punkte sind aber konkret, etwa das Ende der Diskriminierung Impffreier bei Bewerbungen, die Aufhebung der immer noch bestehenden Maskenpflicht für Beschäftigte in den Landeskliniken – das sind bedeutende Verbesserungen für die kritischen Teile der Lohnabhängigen.

Auch der mit 30 Millionen Euro bestückte Entschädigungsfonds, unter anderem für Geschädigte der Geninjektionen und jugendliche Opfer der Lockdowns, wird Menschen konkret helfen. Und schließlich ist das Bekenntnis, dass Niederösterreich keine Werbung für die Corona-Impfung mehr durchführen wird, ein starkes Signal. Von der Regierung dieses so zentralen Bundeslandes ausgehend hat dieses Signal erhebliche metapolitische Bedeutung für ganz Österreich.

Dementsprechend waren die politischen Reaktionen. Das politische Establishment und die linksliberalen Mainstreammedien haben nach dem Bekanntwerden der Koalitionsvereinbarung regelrecht hyperventiliert. Besonders anrüchig ist für diese Herrschaften, dass die Corona-Impfung von Niederösterreich nicht mehr beworben wird. Besonders aufgebracht zeigten sich Andreas Bergthaler, Dorothee von Laer und Herwig Kollaritsch, so genannte „Experten“ von GECKO, der Corona-Kommission der Regierung – denen teilweise ein Nahverhältnis zu den Herstellerfirmen der Geninjektionen nachgesagt wird. Einige von ihnen dürften einen Austritt aus GECKO angedroht haben, woraufhin Kanzler Karl Nehammer, seinerseits Abkömmling der ÖVP-Niederösterreich, gleich die ganze Kommission aufgelöst hat.

Dass gerade der niederösterreichischen FPÖ dieser Coup gelungen ist, regt das politische Establishment sicherlich zusätzlich auf. Denn anders als die Freiheitlichen in Oberösterreich, die in der Landesregierung mit der ÖVP pflegeleicht sind und in der Corona-Politik eine weiche Linie hatten, steht die Partei in Niederösterreich für den kantigen Kurs von Bundesobmann Herbert Kickl, der selbst in Niederösterreich lebt und der mit Christan Hafenecker und Michael Schnedlitz zwei zentrale Mitstreiter aus der niederösterreichischen Partei an die Spitze der Bundespolitik geholt hat.

Und der niederösterreichische FPÖ-Obmann Udo Landbauer, nun stellvertretender Landeshauptmann, steht ebenfalls für einen scharfen Kurs. Die Mainstream-Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle beklagte dementsprechend, „zwischen Landbauer und Kickl passt inhaltlich kein Blatt“. Im Wahlkampf hätte Landbauer von „Impfterror“ und „Maskenzwang“ geschrieben. Und er habe neben der Pandemiebekämpfung auch die Russland-Sanktionen und „Klimahysterie“ für die Teuerung verantwortlich gemacht. In diesem Sinne hat durch die Koalitionsvereinbarung in Niederösterreich das Mantra des Mainstreams, dass die Kickl-FPÖ, auch wenn sie die bundesweiten Umfragen noch so sehr anführe, „niemals in Regierungsverantwortung“ kommen könne, einen schweren Schlag abbekommen.

Im medialen Umfeld der FPÖ wird die Koalitionsvereinbarung übrigens kontrovers diskutiert. Einerseits wird auf den Erfolg in der Corona-Politik hingewiesen. Andererseits wird beklagt, dass gegen die Massenmigration zu wenig konkrete Schritte gesetzt würden. Und es wird die Frage der Glaubwürdigkeit aufgeworfen, hatte doch Landbauer im Wahlkampf ein Aufbrechen des als korrupt beschriebenen „Systems Mikl-Leitner“ propagiert und ihre Wahl zur Landeshauptfrau ausgeschlossen.

Das tut er zwar jetzt auch nicht, denn die FPÖ-Abgeordneten werden sich in dieser Frage enthalten. Dabei handelt es sich zwar durchaus um eine Demütigung Mikl-Leitners, gleichzeitig ermöglicht Landbauer so ihre Wahl zur neuen alten Landeshauptfrau. Und natürlich ist es möglich, dass sich die FPÖ-Niederösterreich in der Landesregierung mit der Zeit dem System anpasst. Ein Gegengewicht dazu wird Herbert Kickl sein, der Asket an der Parteispitze.

Eric Angerer ist Historiker, Journalist und Sportlehrer. Er unterstützte lange Zeit betriebliche Selbstorganisation von Beschäftigten in Industrie und Gesundheitswesen und war zuletzt im Widerstand gegen das Corona-Regime aktiv.

Zum Weiterlesen zu Entwicklung und Charakter der FPÖ und insbesondere zur Obmannschaft Kickls: https://www.rubikon.news/artikel/der-corona-buhmann

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