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Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken
Buch-Tipp

Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die deutsche Linke eine enorme Transformationsleistung hingelegt. Von antiimperialistischen, antiautoritär-libertären und antikapitalistischen sozialen Strömungen ist bis auf wenige Ausnahmen kaum etwas übriggeblieben. Eine einstmals linke Bewegung ist kulturell im woken Establishment und politisch in der marktkonformen, also der „bürgerlich-parlamentarischen Demokratie“ angekommen. Sie spielt auf der Klaviatur einer transatlantischen Propagandamaschinerie, bestehend aus „nachhaltigem“ Konsum, digitaler Massenverblödung und bürokratischem Anstaltsstaat mit leicht sozialem Touch. In der im ProMedia-Verlag erschienen Monographie „Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken“ hat Sven Brajer diesen Transformationsprozess nachgezeichnet. pb: schwarz auf weiß präsentiert einen Auszug aus dem Buch.

Zahlreiche Umfragen bestätigen : Viele Deutsche trauen sich in der Öffentlichkeit nicht mehr, ihre Meinung zu sagen, die Zahl der Tabuthemen wird immer größer, der Meinungskorridor kleiner. Dazu mutiert die Bundesrepublik für viele Bürger immer stärker zu einer „Scheindemokratie“ – wie eine Allensbach-Umfrage im Frühjahr 2022 ergab: 31 Prozent stimmten der Aussage zu „Wir leben in einer Scheindemokratie, in der die Bürger nichts zu sagen haben.“ Im Osten Deutschlands war davon sogar fast jeder Zweite (45 Prozent der Befragten) überzeugt. Daran hat auch Die Linke ihren Anteil, die sich etwa seit der letzten Jahrtausendwende – Hand in Hand mit den Grünen – als besserwisserische Moralinstanz in erster Linie über diejenigen erhoben hat, die einst ihre eigentliche Klientel darstellten : die Arbeiterschaft und die sozial Abgehängten. Der Journalist Christian Baron hat das in seinem 2016 erschienen autobiographisch untermalten Buch „Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten“ vortrefflich beschrieben. Dort skizziert er eine Linke, die ihr Feindbild nicht mehr „oben“ sucht, sondern in fast schon universalistischen Nazi- und Rassismusvorwürfen gegen den vermeintlich dummen Pöbel „unten“ gefunden hat : „Wer Rassismus als individuellen Charakter- oder Bildungsmangel der Unterschicht begreift, lässt die herrschende Ordnung gewähren, die wirklich rassistisch handelt, die Asylgesetze verschärft und Flüchtlinge nach ökonomischer Nützlichkeit in wertes und unwertes Leben einteilt.“

Das zeigt sich exemplarisch im unterschiedlichen Umgang der Bundesregierung mit Flüchtlingen aus der Ukraine einerseits und Syrern oder Afghanen andererseits. Wer nach dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, ob unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen oder nicht, hat den Status einer legalen Einreise und erhält seit Juni 2022 Hartz IV. Das „Bürgergeld“, das Bürger zu Untertanen macht, beträgt derzeit 449 Euro monatlich und entspricht damit etwa dem ukrainischen Durchschnittseinkommen. Ein Asylverfahren müssen Ukrainer nicht durchlaufen, im Gegensatz zu allen anderen Flüchtlingen. So geht Spaltung – und das Schüren von Sozialneid in der deutschen Bevölkerung. Letztgenannte ist aber für große Teile der linken Parteifunktionäre und ideologischen Einpeitscher ohnehin nur „white trash“, wie Baron es etwas salopp formuliert : Wenn man sich schon in soziale Brennpunkte verirrt, wendet man sich lieber den Flüchtlingen als der autochthonen Bevölkerung zu, denn „niemand flieht freiwillig“, so Katja Kipping. Wer das kritisiert – aus welchen Gründen auch immer – wird zum rechten Buhmann erklärt.

Abgehoben und weltfremd

Ein gelungenes Beispiel für diese Entwicklung ist ein 2018 von Katja Kipping getwittertes Hochglanzfoto von ihr zusammen mit dem Präsidenten von Eintracht Frankfurt. Peter Fischer ist Multimillionär und erhält monatlich allein in seiner Rolle als Fußballfunktionär 12.500 Euro. Fischer hat sich zuvor ganz mutig in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Ende Dezember 2017 dahingehend geäußert, dass nach der Vereinssatzung des hessischen Bundesligisten niemand Mitglied sein könne, der die Alternative für Deutschland (AfD), für Fischer „Nationalpopulisten“, wähle, da es in der Partei „rassistische oder menschenverachtende Tendenzen«“ gebe. Fischer betonte an anderer Stelle, er sei „ein Mensch, der von der Kommunikation kommt, den Dialog und die Streitkultur liebt“, und widerspricht sich im nächsten Satz selbst : „Aber ich habe für mich eine Entscheidung getroffen : Die Gräben müssen tiefer sein. Die Gräben müssen unüberwindbar sein. Es muss eine klare Ausgrenzung geben : Ich will nichts mit Dir zu tun haben ! Ich will auch nicht mit Dir sprechen, weil ich gelernt habe, dass Diskussion und Dialog null Komma null Chancen haben.“ Und da für Besserwessis, pardon Besserwisser wie Fischer jedes AfD-Mitglied und jeder AfD-Wähler natürlich „ein Nazi“ ist, legte er noch unmissverständlich nach : „Es gibt für die braune Brut keinen Platz. Solange ich da bin, wird es keine Nazis bei Eintracht Frankfurt geben“ – die deutsche Mainstreampresse hatte daraufhin kurzzeitig einen neuen Messias gefunden.

Warum Menschen die AfD wählen, interessiert Fischer natürlich nicht, genauso wenig wie Katja Kipping. Die Dresdnerin, die mit einem Frankfurter liiert ist, traf sich mit Fischer und twitterte zum gemeinsamen Foto : „Habe mich gerade mit Peter Fischer von Eintracht Frankfurt getroffen. Nachdem er sich klar gegen rechts und die AfD positionierte, traten Tausende in seinen Verein ein, selbst Fans anderer Fußballclubs. Wir hoffen beide, dass am 13. 10. viele zu #unteilbar [pseudo-antikapitalistisches Projekt, u. a. unterstützt von Jan Böhmermann und den Grünen] auf die Straße gehen !“ Die Kommentare darunter sprechen Bände und zeigen zahlreiche Probleme der Partei Die Linke auf : Zum Ersten ist hier der Ansatz, jeden Flüchtling aufnehmen zu wollen, ohne auch nur im Geringsten die sozialen, kulturellen und ökonomischen Probleme, welche diese Agenda mit sich bringt, zu nennen. Gleichzeitig wird denen da „oben“, welche die Misere zu verantworten haben, eben nicht mehr in die Suppe gespuckt, das könnte ja als Antiamerikanismus oder gleich als Antisemitismus gedeutet werden. Ein Kommentator meint : „Haben Sie Herrn #PeterFischer auch gefragt, ob er wegen der Flüchtlinge für einen Spitzensteuersatz von 70 % ist für alle Fußball-Einkommens-Millionäre ? Die sozialen Wohltaten, für jeden, der deutschen Boden betritt wollen doch auch finanziert werden !“ Ein weiterer Kommentar geht auf die flüchtlingsfreie Parallelwelt ein, fernab der Realität deutscher Großstädte, in denen Menschen wie Fischer, weitere prominente Moralapostel wie Herbert Grönemeyer oder die Toten Hosen, leben, die sich darüber hinaus tatsächlich einbilden, sie würden den Helden spielen, indem sie „im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“  (Bundespräsident Frank Walter-Steinmeier, 2020) die AfD kritisieren : „Ja Herr Fischer muss halt die Nachteile der Arabisierung unseres Landes nicht am eigenen Leib erfahren ! Er fährt selbst oder Taxi, muss nicht in einem Problemviertel wohnen und seine Kinder würden auf eine Privatschule gehen. Genau Ihre Klientel Frau Kipping, ODER ?“ Dieser letzte Satz beschreibt besser als jegliche soziologische Studie, wie weit weg sich Die Linke in der Ära Kipping/Riexinger von ihrer ursprünglichen Klientel entfernt hat.

Alles Nazis ?

Diese Instrumentalisierung der Linken durch die wirklich Mächtigen aus der Wirtschafts-, Medien-, Politik- und eben der Funktionärskaste ist gewollt. Echte und vermeintliche „Nazis“ und die AfD als Totschlagargument für eigentlich linke Kernthemen kommen da wie gerufen : Wer profitiert in erster Linie von offenen Grenzen ? Das Kapital. Wer beschwert sich nicht mehr über die höchsten Abgaben und Steuern weltweit, wenn er weiß, er könnte deswegen als „rechts“ (oder wahlweise : Klima- oder Coronaleugner, Sexist …) gelten, wenn er deren Verwendung kritisiert ? Der Arbeiter und die Mittelschicht. Wer fühlt sich geschmeichelt, wenn er realisiert, dass ganz Berlin samt Bundespräsident und Kanzler voller Wokeness-Kampagnen, FFP2-Masken, Regenbogenfahnen und „Nazis raus !“-Graffitis ist und daher annimmt, die ganze Republik würde „seine“ Diskurse ähnlich nachvollziehen ? Der („linke“) Parteifunktionär. Dass jener sein dialektisch-materialistisches Denken komplett abgeschafft hat – bei vielen jüngeren Genossen bilden sich bereits beim Wort Dialektik Fragezeichen auf der Stirn –, steht außer Frage. Der Psychologe Rainer Mausfeld hält diese Instrumentalisierung der Linken sogar für Methode von „oben“ : „Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern ! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt.“

 Im Gegensatz zu den meisten linken Politikern gilt in diesem Kontext jedoch immer noch der Spruch von Abraham Lincoln : „Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.“ Dass das „Volk“ die Nase voll hat, insbesondere von der Partei Die Linke, ist aufgrund der schlechten Wahlergebnisse unübersehbar. Der Philosoph Bernhard Schindlbeck spricht davon, dass die Linke ihre Orientierung verloren hat, sich im Neoliberalismus „bequem eingerichtet“ habe und konstatiert „so etwas wie eine ‚revolutionäre‘ Erwartung oder auch nur Hoffnung, geschweige denn ein Potential gibt es nicht mehr.“ Diese Entfremdung hat sich nicht erst seit der Bundestagswahl 2021 und den Landtagswahlen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gezeigt, sondern auch auf Demonstrationen dort, wo man einmal „Volkspartei“ war : im Osten Deutschlands. Dort ist die soziale Fallhöhe viel geringer als im Westen – und der eine oder andere hat noch Erinnerungen an 1989 und weiß, was Demonstrationen bewirken können. Das ging 2014/15 mit „Pegida“ los, zeigte sich dann in fast jeder ostdeutschen Kleinstadt anhand der Proteste gegen die „Corona-Maßnahmen“ und ist im Herbst/Winter 2022/23 aufgrund der antirussischen Sanktionen und angekündigten deutschen Panzerlieferungen sowie der durch EZB und „Lockdowns“ beförderten Inflation und Energiekrise auf einem neuen Höhepunkt angelangt.

Dabei erreicht der permanente Oberlehrerton, denen Linke-Funktionäre seit der alternativlosen Merkel-Ära übernommen haben, genau das Gegenteil von dem, was „solidarisch“ „gefordert“ wird – beides zwei absolute Schlagwörter der neuen Linken. Doch die geforderte Abgrenzung von „rechts“ erfolgt vielerorts eben gerade nicht, viele ehemalige Linken-Wähler machen mittlerweile ihr Kreuz bei der AfD oder nehmen an zumindest fragwürdigen Demos teil, nicht unbedingt aus Überzeugung, wie Mausfelds Erklärungsversuch aufzeigt, sondern aus Frust :

„Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Affekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit populistischer Wucht und Unberechenbarkeit, oft auch in Formen, die mit dunkleren Seiten der menschlichen Natur verbunden sind. Diese Affekte sind oft als Abwehr gegen die eigenen Ohnmachtsgefühle zu verstehen und richten sich nun vor allem gegen die sozial Schwächsten. Ohnmachtsgefühle wurden und werden seit Jahrzehnten in systematischer Weise erzeugt, um das Volk von einer politischen Partizipation fernzuhalten. Das Aufblühen des sogenannten Rechtspopulismus ist also eine direkte Folge der vorhergegangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik und Ideologie der Alternativlosigkeit und der damit verbundenen Entleerung des politischen Raumes. Zugleich sucht die neoliberale ‚Mitte‘ den von ihr erst mit hervorgebrachten Rechtspopulismus für eine weitere Angsterzeugung zu nutzen, um sich durch eine solche Drohkulisse bei Wahlen zu stabilisieren.“

Diese Entwicklung geht mit der seit 1989/90 fortschreitenden Inhaltsleere der Begriffe ‚links‘ und ‚rechts‘ einher und zeigt sich vor allem bei der politischen Verortung junger Parteien. Das trifft einerseits auf die 2007 gegründete Partei Die Linke als auch andererseits auf die 2013 gegründete rechte AfD zu. Der Soziologe Philipp Scherer drückt das so aus : „Die Veränderung der Bedeutungsinhalte von links und rechts unterliegen dabei gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Solche Prozesse lassen sich exemplarisch beobachten, wenn eine neu gegründete Partei die politische Arena betritt und/oder erstmals von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Spätestens nach den ersten Erfolgen bei Land- oder Bundestagswahlen beginnt im medialen Diskurs eine Debatte um die Verortung der Partei innerhalb des Links-Rechts-Schemas. Eine solche Debatte fällt besonders kontrovers aus, wenn die neue Partei programmatisch schwer zu greifen ist, im gesellschaftlichen Diskurs bislang kaum diskutierte Themen besetzt und/oder eine ideologisch heterogene Basis an Anhängerinnen aufweist.“  Demnach könne in einer gesellschaftlich immer komplexer anmutenden Welt heute „links“ keineswegs mehr ausschließlich mit den Ideen des Proletariats gleichgesetzt werden, und „rechts“ mit dem Kapital, wie die zahlreichen nationalsozialen Strömungen innerhalb der AfD aufzeigen. Da aber die deutsche Linke ideologisch entkernt und jegliche Rationalität verloren hat, braucht sie umso stärker das in vielerlei Hinsicht verstaubte Schwarz-Weiß-Bild »links-rechts« zur Feindbildbestimmung, nicht zuletzt um vom eigenen Unvermögen abzulenken. Dies wird immer größer – was sich nicht zuletzt an der großen Zahl der Funktionäre ohne Ausbildung bzw. Berufserfahrung sowie der zahlreichen Studienabbrecher bzw. Absolventen von Orchideenfächern in der Linken zeigt. Parallel werden immer mehr „Abweichler“, ob innerhalb oder außerhalb der Partei, in die rechte Ecke gestellt. Zugespitzt und simplifiziert drückte das ein guter Freund des Verfassers in breitestem Sächsisch aus : „Heute biste plötzlich rechts, obwohl de eigentlich links bist !“.

Sven Brajer ist promovierter Historiker und Journalist. Er betreibt den Blog: Im Osten. Perspektiven wider den Zeitgeist. www.imosten.org.

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