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„Wir brauchen seine Freiheit“ – 4. Soli-Konzert für Julian Assange in Berlin
#Free Assange

„Wir brauchen seine Freiheit“ – 4. Soli-Konzert für Julian Assange in Berlin

Jens Fischer Rodrian auf der Bühne in der Berliner "Musikbrauerei"

Beim vierten Solidaritätskonzert in Berlin für den inhaftierten Journalisten Julian Assange war eine Verbundenheit zu spüren, wie sie nur selten vorkommt. Das Bedürfnis nach Frieden und Freiheit wird immer größer.

„Ihr seid das Gesicht der Demokratie in diesem Land!“, begrüßt Ulli Gellermann das Publikum am Freitagabend in der Berliner „Musikbrauerei“ zu einem Benefizkonzert für den inhaftierten australischen Journalisten Julian Assange. Der Raum ist voll, die Zuschauer stehen eng beieinander. Gespannt richten sie ihre Blicke Richtung Bühne und beenden ihre Unterhaltungen. „Wir sind von einem dritten Weltkrieg nicht weit entfernt“, sagt Gellermann und fragt, was Assange damit zu tun habe. Seine Antwort: „Er hat versucht, Kriegsverbrechen der USA in die Öffentlichkeit zu tragen.“ Dafür müsse er noch heute büßen. „Seine Freiheit brauchen wir aber so dringend, als ob es unsere eigene Freiheit wäre!“, ruft er und erntet Bravo-Rufe vom Publikum.

Das Konzert am Freitagabend in Berlin, organisiert vom Musiker Jens Fischer Rodrian und Unterstützern, ist das vierte Benefizkonzert für Assange in der Hauptstadt. Der australische Journalist und Wikileaks-Gründer veröffentlichte 2010 Dokumente, die Kriegsverbrechen der USA während der Kriege in Afghanistan und im Irak belegten. Dazu gehörten unter anderem interne Dokumente, Kriegstagebücher von US-Streitkräften und -Behörden sowie Berichte über Folter im Irak-Krieg. Nach der Veröffentlichung leitete die US-Regierung Untersuchungen gegen Assange ein. Er erhielt daraufhin in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl. 2019 entzogen sie ihm allerdings seine Staatsbürgerschaft – die britische Polizei nahm ihn fest. Seither gibt es einen Rechtsstreit über die Auslieferung Assanges an die USA beziehungsweise seine Freilassung.

Ehrenamtliche Retter gegen hauptamtliche Zerstörer

Um Assange und seine Familie im Kampf für die Freilassung zu unterstützen, organisieren Künstler weltweit Konzerte wie das in Berlin. Alle Erlöse gehen an die Anwältin von Assange, erklärt Nina Maleika, die Moderatorin des Abends. „Es ist nicht einfach, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören“, sagt sie und gibt bekannt, dass alle Künstler an dem Abend ohne Gage auftreten.

Die erste Aktion auf der Bühne schafft eine besondere Verbundenheit im Publikum und lässt alle im Hier und Jetzt ankommen: Eine Gruppenmeditation und Schweigeminute mit Gudrun Pawelke. Die Zuschauer verstummen, schließen ihre Augen und atmen tief durch. Der gesamte Raum wird leise, sogar die Bar unterbricht für einen Moment ihre Arbeit.

So schnell wie die Zuschauer ruhig wurden, so schnell heizt Jens Fischer Rodrian ihnen zusammen mit seiner Frau Alexa Rodrian auch wieder ein. Langsam bewegen sich die Hüften der Gäste, während Rodrian mit ihrer kräftigen Stimme ins Mikrofon singt „Liberty is not a statue. Liberty is fucking free. Freedom for you and for all of us, too”. Voller Elan hält sie ihre Hand als Peace-Zeichen in die Luft.

„Richtig gute Gitarrenhexerei“

Während Maleika als nächsten Gast André Krengel auf die Bühne bittet, sagt ein Zuschauer im Hintergrund leise: „Der ist richtig gut“. Zu erkennen sei Krengel meist durch seinen weiß gefiederten Kakadu Roko. Jetzt werde er aber durch seine „Gitarrenhexerei“ in Erinnerung bleiben.

Das erste von ihm gespielte Stück ist eine Ode an die Lebensfreude, wie Krengel sagt. Es ist eine Geschichte einer russischen Hochzeit, die romantisch anfängt und dann aufgrund von „zu vielen guten Zutaten eskaliert“. „Es ist meine Hoffnung, dass Julian Assange auch irgendwann wieder Lebensfreude empfinden kann“, leitet er sein erstes Stück ein. Es folgt das, was Maleika ankündigte: Gitarrenhexerei. Krengels Finger springen so schnell über die Gitarrensaiten, dass die Zuschauer in Begeisterung zu erstarren scheinen. Alle schauen gespannt auf die Bühne, jeder hört zu. Der sehr laute Applaus bestätigt die Äußerung des Zuschauers, dass Krengel „richtig gut“ ist.

Sein nächstes Stück handelt von einer Wetterfront, die sich anbahnt. Nach einem Regenguss nimmt sie eine schöne Wendung – nach Unwetter und Ärger folgt schließlich die Sonne. Während Krengel spielt, ist er komplett versunken in seiner Musik, die Augen hält er geschlossen. Die Zuschauer blicken gespannt auf die Bühne und schauen erwartungsvoll zu. Die Musik steigert sich langsam, ein dröhnender Ton kündigt das Unwetter an, während die Klänge aus der Gitarre noch lieblich sind. Die Lichter über der Bühne flackern – die Stimmung wird bedrohlich. Es mischen sich schiefe Töne unter die liebreizenden Klänge, insgesamt bleibt das Stück aber eher ruhig. Zum Ende ist es wieder vollkommen harmonisch und positiv – die Stimmung im Raum ist andächtig, jeder ist im Moment, nur die Klänge der Gitarre zählen.

Nach seinem zweiten Stück weiß Krengel nicht, ob er noch etwas Kurzes spielen könne. Das Publikum ist sich aber sehr sicher und ruft laut „Jaa!“. „Eigentlich spiele ich das Stück im Ensemble, durch Corona stehe ich im Solo da“, erklärt er und legt los. So zieht er die Zuschauer wieder in seinen Bann, diesmal, indem er elektronische Musik auf die Gitarre überträgt. Er hätte das Konzert auch alleine weiterführen können, so sehr ruft das Publikum nach einer Zugabe.

„Friedenskanzler an die Macht“

Das Besondere an dem Benefizkonzert ist aber, dass viele verschiedene Künstler auftreten. So erzählt der nächste Songpoet Tino Eisbrenner, dass er vor zwei Wochen aus Moskau von einem Festival zurückgekehrt sei. Bei diesem hätten die Künstler russische Lieder, die an den Zweiten Weltkrieg, der in Russland als der Große Vaterländische Krieg gesehen wird, in ihrer eigenen Landessprache gesungen. Sein „Lied vom Frieden“ trug er demnach auf Deutsch vor. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihm die Aussage eines Russen: „Sag Deinen Leuten, wir sind im Reinen mit dem deutschen Volk!“ Umso weniger würden sie die deutsche Politik verstehen.

„Wir aber ja auch nicht“, fügt er hinzu und erntet Lacher aus dem Publikum. „Man setzt sich durch, man setzt auf Sieg“, lauten die Zeilen seines Liedes. Mit kräftiger Stimme singt er: „Nur Friedenskanzler an die Macht!“. Das Publikum ist begeistert – alle applaudieren, stampfen auf den Boden und singen laut mit.

Musik, die auch Assange mag

Bevor aus den Musikboxen für den letzten Act fette Bässe dröhnen, trägt der Schauspieler Burak Hoffmann einen lyrischen Text aus dem Jahre 2014 vor – damals konnte er ihn noch ohne Probleme vorlesen, heute ist das nicht mehr möglich, wie er berichtet. Allein schon, weil er nach einer Rede im Radio München, in denen er die Corona-Maßnahmen kritisierte, gekündigt wurde. In seinem Text geht es um Krieg, die (nicht) freie Presse und absurde Diskussionsrunden. Lustig und ernst zugleich ist sein Text. Auf manche Zeilen seines Textes folgen Lacher, auf manche Aussagen sagen Zuschauer „Ja, da hat er recht“.

Kilez More beendet den Hauptteil der Bühnenshow mit seinen ehrlichen Hip-Hop-Liedern. Seine Bühnenpräsenz ist einzigartig und reißt jung wie alt mit. Die Brust vibriert vom Bass, er singt „wenn du heutzutage für den Frieden bist, musst du ´ne Schutzweste tragen, denn man schießt auf dich“, und das Publikum tanzt mit den Armen über den Köpfen im Takt mit. Sogar Assange habe seine Musik so gut gefallen, dass er sie auf seinem Kanal gepostet habe, berichtet der Musiker.

„Free, Free!“, ruft More laut in seinem Text, den er extra für das Konzert geschrieben hatte. Das Publikum antwortet mit „Free Assange!“. „Veränderst du dich selbst, veränderst du die Welt“, spricht er ins Mikrofon zum Ende seines Tracks und spielt dann seinen bekanntesten Song „Wir könnten“. Alle im Publikum hat jetzt die Hände oben und tanzen mit – der Raum ist voller Energie.

Die Verbundenheit, die während der Meditation entstand, hat sich im Laufe des Abends noch weiter verstärkt. Nach einer anschließenden Talk-Runde und Stücken der Basis Band Berlin (BBB) gehen die Zuschauer spät nachts, aber mit fröhlichen Gesichtern nach Hause.

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