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Wirbelfront 1: Linke Dinger und rechtschaffene Delegitimation
Lew Schütz

Wirbelfront 1: Linke Dinger und rechtschaffene Delegitimation

Foto: Pexels, Ralph W. Lambrecht

„Ich bin eigentlich ein Linker.“ so tönt es unaufhörlich aus dem braunen Sumpf. Die Vorübergehenden wenden sich angewidert ab und beschleunigen ihren Schritt. Mancher ist schon unversehens hinabgeglitten. Beifall von der falschen Seite, reine Freude an der Provokation oder mangelnde Geschmeidigkeit haben ihn straucheln lassen. Selber schuld. Wir, die reinen Sinnes sind, hüten das weiße Ei von Fitchers Vogel. Gerade weil uns die Schlüssel anvertraut wurden, blicken wir nicht in das Gemetzel hinter der verbotenen Kammertür. Keine Blutspritzer auf der Eierschale. Unser Weltbild bleibt heil und wir dumm.

Es bedarf nicht der unterkomplexen Hufeisentheorie, mit der die Pfahlbürger der BRD unternehmungslustige Intellektuelle abqualifizieren, um festzustellen, dass es nie einen bedeutenden Unterschied zwischen links und rechts gab und zumindest in Deutschland nicht gibt. Damit entfällt auch die Möglichkeit einer Querfront. Alle Versuche in dieser Richtung wirken unangenehm sperrig, wie Elses Compact-Magazin oder Sahara Wagenknechts politische Seidenstraße. Ganz zu schweigen vom linksrevolutionären Odeur der Identitären, Antifa, Antaios, Jungeuropa und wie die knusprigen Barrikaden-Snacks sonst so heißen mögen. Was anscheinend so frisch daherkommt, darum weht, aus der Nähe berochen, das Hautgout erlegten Wildes. 

Alle diese vom Willen angetriebenen Platzhirsche werden bald vom großen Waidmeister aus der Decke geschlagen. „Wer rechts ist, bestimme ich“ tönt er. Kontaktschuld zweiten Grades macht einen nach den Bielefelder Gesetzen (Heitmeyer) zu einem Viertelnazi. Er wird umgehend zerwirkt. Die Hetzhunde laben sich an den dampfenden Innereien. Der Rest geht in die Küche. Die Häute in die Lohgrube. Knochenruß gibt ein gutes Beinschwarz. Nichts bleibt übrig, was sich nicht mit einem guten Likörwein noch wegspülen ließe.

Im Hintergrund tönt das Freiheits- und Demokratiegewinsel schwäbischer Anthroposophenkinder und Achtsamkeitsyogis. Querdenker? Querfront? Ach was. Wir stehen in der Wirbelfront.

Wer aber beim Klassifizieren über die Schulter gucken will, dem seien hier zur verwirrenden Lektüre ein Linksabbieger von Rechts und ein Rechtsabbieger von Links empfohlen. Der aus Franken stammende Benedikt Kaiser ist Autor des Bandes „Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts“ (2020) und der erhellenden Broschüre „Corona und Profit. Gewinner und Verlierer der Krise“ (2021).

Spiegelsymmetrisch dazu positioniert ist der in der Oberlausitz gebürtige Historiker Sven Brajer. Er promovierte, mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, zum völkisch-nationalen Spektrum einer „konservativen Kulturstadt“ 1879 bis 1933, erschienen unter dem fragenden Titel „Am Rande Dresdens?“, um dem Verdacht einer kultursoziologisch-historischen Genealogie von Pegida nachzugehen. Sofort nach erlangtem Titel schaltete er sich mit einem eigenen Blog mit dem geografisch irreführenden Namen www.imosten.org in die Diskussion ein. Druckfrisch ist sein Buch „Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken. Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment“.

Es gibt auch Gründe vor Bodo Ramelow Respekt zu haben. Der Mann hat Stil. Empörungsvibrato ist von ihm nie zu vernehmen und die Anzüge sitzen gut. Als er neulich in der FAZ vorschlug, Sahra Wagenknecht hätte ihr Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ besser „Ich, Sahra, die Selbstgerechte genannt“ ertappte ich mich lächelnd bei einem stummen Nicken.

Benedikt Kaiser. Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts. 296 Seiten, Verlag Antaios, Steigra 2020. https://antaios.de/gesamtverzeichnis-antaios/einzeltitel/101634/solidarischer-patriotismus.-die-soziale-frage-von-rechts

Sven Brajer. Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken. Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment. 232 Seiten, Promedia Wien. 2023. https://mediashop.at/buecher/die-selbstzerstoerung-der-deutschen-linken/

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