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Wann sind wir´n da?
Gesellschaft

Wann sind wir´n da?

Spaß verdirbt und ist verderblich. Er ist eine große Entspannung, die auf einen Krampf folgt. Wenn sie übertrieben wird, mündet sie ihm nächsten Krampf. Marc Aurel beschrieb den Liebesakt als die Auflösung eines Krampfes. Damit sei nichts gegen den Mutwillen und die Ausgelassenheit gesagt. Auch ist ein kaiserlich-antikes chinesisches Feuerwerk einer fortschrittlich-demokratischen Napalmbombe allemal vorzuziehen. Aber die an sich harmlose Ausgelassenheit will dosiert sein. Die Dosis macht, dass ein Ding ein Gift ist, hat Paracelsus festgestellt. Nur aus Hefe ohne Mehl und Wasser wird kein Teig entstehen.

Was bedeutet eine Spaßgesellschaft? Wir müssen dafür gar nicht bis zu den Liebestrampeltieren von Düsseldorf zurückschauen. Es reicht zu, dass auf fast allen Lichtbildern der letzten Jahrzehnte die Dargestellten grinsen wie entwicklungsgestörte Dorftrottel. Dass jedes Kind ein Instrument bedient und alle Eltern Gelegenheit zum Applaus erhalten, wenn die Bigband der Talentlosen an einem Nachmittag im Advent in der Aula der Schule Dschingelbells so apokalyptisch bläst und pfeift als würden die Giebichungen um den noch warmen Leichnam Siegfrieds trauern. Anstelle der Strahlkraft von sich entfaltenden Begabungen ist nahezu ausnahmslos die dumpfe Heizungswärme der Soziokultur, dieses Akrakadabra des sozialdemokratisierten Scheinlebens, getreten.

Spaß, häßliches Teufelsgefurz
Freude, schöner Götterfunken

„Wann sind wir´n da?“ Diese Frage ertönt bald nach dem Aufbruch am Wandertag, dem wichtigsten Unterricht gleich nach dem Schulfußweg. Es dauert nicht lang, dann folgt die nächste Stufe: „Ich kann nicht mehr.“ Egal wie weit die Vokale dabei gedehnt werden, es ist immer eine dicke Lüge. Ein kluger Lehrer entgegnet mit gottväterlich-jovialen Humor, dem vor Entwicklungskraft knisterndem siebenjährigen Mädchen: „Wenn Du vor Erschöpfung tot hinfällst, werden wir Dich hier am Wegesrand würdevoll begraben und Deinen lieben Eltern sagen, wo Du ruhst, damit sie Blumen auf Dein Grab legen können.“ Natürlich wird das zu Hause erzählt und hilft, das Vertrauen der Eltern in den Betreuer ungemein zu stärken.

Spaßgesellschaft bedeutet auch: Everything goes but not seriously. Frivolität ist oberstes Gebot. Wer etwas ernst nimmt ist uncool. Über Liebe und Empathie und Freiheit wird uferlos geredet, so wie lenden- und fußlahme Männer gern über Krieg und Koitus schwadronieren.

Die Coolen stellen ihr Leben dar, die Uncoolen leben es. Unter coolen Socken gilt keine Liebe und Freundschaft. Sie kennen nur projektbezogene Herzlichkeit. Und nachdem die Klangschale im Stuhlkreis herumgereicht wurde und jeder seinen Namen sagte und auf schlechtem Englisch, was er sich von den kommenden Tagen erwartet, wird sogleich geduzt, geherzt und geknutscht. Nach der Präsentation der Ergebnisse zehn Tage später gilt wieder homo homini lupus. Bis zum nächsten Projekt, an dem man sich als Unbekannter begegnet und abermals um den Hals fällt. Vor der Freude steht zumeist die Anstrengung, die Spaß macht, wenn man ihn sich einzureden versteht. Dazu muss man Spaß verstehen und Freude empfinden können.

Lew Schütz ist studierter Kunstwissenschaftler und Kultursoziologe, der drei Jahrzehnte im Kulturamt einer großen Kreisstadt in Deutschland gearbeitet hat.

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