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Über die Grenzen der Kunstfreiheit
Prozess gegen Paul Brandenburg

Über die Grenzen der Kunstfreiheit

Der Künstler Jonathan Meese stand 2013 wegen Verwendung eines verfassungsfeindlichen Symbols vor Gericht und wurde freigesprochen. Ein ähnlicher Fall zehn Jahre später endet mit einem entgegengesetzten Urteil. Die Grenzen der Kunstfreiheit scheinen sich verschoben zu haben.

Der Prozess gegen Paul Brandenburg hat erneut die Fragen aufgeworfen, wo die Grenzen der Kunstfreiheit liegen. Der Medienunternehmer postete im August 2020 eine Grafik mit dem Wort „Mitläufer*innen“. Das Sternchen war jedoch durch ein „Genderhakenkreuzchen“ ersetzt worden. Brandenburg wollte damit auf satirische Weise die autoritäre Verordnung der Gendersprache von oben und die Hörigkeit der woken Bewegung gegenüber der Obrigkeit zum Ausdruck bringen. Er machte also von einem künstlerischen Mittel Gebrauch, um auf politisch-gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.

Obwohl Brandenburg diesen Post wenig später löschte, flatterte eine Anzeige ins Haus. Nun hat die Richterin im Amtsgericht Tiergarten in Berlin das Urteil gesprochen: „Das ist keine Kunst.“ So lapidar diese Wertung daherkam, so wortkarg zeigte sich die Richterin bei der Begründung und fühlte sich gar nicht in der Pflicht, ihre Entscheidung weiter zu erläutern. Brandenburg wurde zu 30 Tagessätzen á 100 Euro verurteilt – wegen Verwendung eines verfassungsfeindlichen Symbols. Das Argument seiner Anwältin, es handle sich bei der gezeigten Schriftgrafik um ein Kunstwerk, überzeugte die Richterin genauso wenig wie der Verweis darauf, dass die Aktion von der Kunstfreiheit grundgesetzlich gesichert sei.

Dabei sah es vor knapp zehn Jahren noch ganz anders aus. In einem ähnlichen Prozess gegen den Künstler Jonathan Meese fiel das Urteil „klar zugunsten der Kunstfreiheit“ aus, wie der Spiegel 2013 schrieb. Der damals 43-Jährige musste sich vor dem Amtsgericht Kassel verantworten, weil er zuvor zum Thema „Größenwahn in der Kunst“ eine „Diktatur der Kunst“ gefordert und den Arm zweimal zu dem verbotenen Hitlergruß gehoben hatte. Meeses Anwalt argumentierte damit, dass der Hitlergruß, so wie der Künstler ihn verwendete, Teil einer Inszenierung und keine persönliche Äußerung gewesen sei. In der Verteidigung gibt es zwischen den beiden Fällen aus 2013 und 2023 also keine Unterschiede. Die beiden Angeklagten berufen sich jeweils auf die Kunstfreiheit. Doch deren Grenzen schienen vor zehn Jahren noch weiter gefasst zu sein, wie aus dem damaligen Urteil hervorgeht: „Es ist klar, dass der Angeklagte sich nicht mit nationalsozialistischen Symbolen oder Hitler identifiziert, sondern das Ganze eher verspottet“, sagte die vorsitzende Richterin.

Veränderung des gesellschaftlichen Klimas

Zwischen dieser Begründung und dem lapidaren Urteil „Das ist keine Kunst“ liegen gerade einmal zehn Jahre, eine relativ kurze Zeit, in der sich das gesellschaftliche Klima aber enorm verändert hat. Wie der Vergleich der beiden Fälle veranschaulicht, ist nicht nur die Regierung, sondern auch die Justiz autoritärer und restriktiver geworden. Die Ironie des Schicksals besteht darin, dass Paul Brandenburg mit seiner Grafik genau darauf aufmerksam machen wollte. Das Urteil gegen ihn gibt ihm damit Recht – quasi performativ. Gestützt wird das durch die Cancel Culture, die immer mehr Künstler als Bedrohung für sich und die Kunstfreiheit wahrnehmen. Die Bestseller-Autorin Donna Leon sprach kürzlich sogar von „Zensur“ und verglich die gegenwärtigen Verhältnisse mit der Zeit des Kommunismus.

Aus den beiden Fällen lässt sich aber auch viel über das Wesen der Redefreiheit lernen. Sie ist ein Abstraktum, deren Grenzen über soziale Prozesse festgelegt werden. Wie so oft geht es dabei um Macht. Je nachdem, wie die politisch-gesellschaftlichen Strukturen aussehen, wird die Kunstfreiheit mal weit, mal eng gefasst. Bestimmte Arten der Provokation werden erlaubt, andere verboten. Es hängt von der herrschenden Ideologie ab, von der öffentlichen Meinung und von der politischen Spannung im Land. Die sozialen Verhältnisse entscheiden darüber, wer Kunstfreiheit genießt – und wer nicht. Als Jonathan Meese 2013 vor Gericht stand, war die gesellschaftliche Stimmung nicht so aufgeladen. Es waren die noch relativ entspannten Jahre vor Corona. Es gab keine riesigen Protestwellen, keine gesellschaftliche Spaltung und auch keine prominenten Regierungskritiker, die medial als „Staatsfeinde“ diffamiert wurden. Und wenn, gehörte Jonathan Meese sicher nicht dazu.

Gleiches Recht ohne Ansehen der Person

Im Jahr 2023 sieht alles anders aus. Regierungskritiker werden praktisch zur Jagd freigegeben. Die Staatsanwaltschaft, mit einem Bein in der Regierung, versäumt keine Gelegenheit, ihnen das Leben schwer zu machen – selbst wenn es sich dabei um Kunst handelt. Und die Richter lassen sich von dieser Stimmung beeinflussen, sodass ihre Ressentiments in die Urteile einfließen – schließlich sind auch sie Menschen aus Fleisch und Blut. Ist das nachvollziehbar? Auf jeden Fall! Ist das fair? Nicht mal im Ansatz! Die Augen der Justizia sind nicht umsonst verbunden. Das Recht muss ohne Ansehen der Person gesprochen werden – ob es sich um einen Kritiker der Regierung handelt oder um deren Befürworter. Gleiches gilt für die Kunstfreiheit. Sie gilt für alle – unabhängig von der Gesinnung. Oder, um es mit Jonathan Meese selbst zu sagen: „Kunst ist kein Ideologiebestätigungssystem.“ Vielmehr müssten Künstler die Zeit, in der sie leben, „aufs Korn nehmen“.

Ob er mit diesem Argument heute von der Richterin im Amtsgericht Tiergarten in Berlin freigesprochen worden wäre, steht in den Sternen. Mit ihrem Urteil gegen Paul Brandenburg hat sie die Kunstfreiheit eingeschränkt – jedenfalls im Vergleich zu 2013. In semiotischer Hinsicht lässt sich dadurch der tatsächliche Zustand der Gesellschaft ablesen. Die Grenzen der Freiheit sind nämlich ein Indikator dafür, wie liberal und demokratisch ein Staat wirklich ist. Sie sagen viel über seinen Charakter aus. Wer in einer wahrhaft freien Gesellschaft leben will, muss daher auch bei der Kunstfreiheit anfangen. Ansonsten winkt uns tatsächlich ein Leben im „Ideologiebestätigungssystem“.

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