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Keine Alternative
Parteiensytem

Keine Alternative

Ein AfD-Wahlplakat in Berlin 2021 mit einer Forderung, die andere Parteien hätten stellen müssen

Erneut wird nach den Ursachen für die hohe Wählerzustimmung zur Alternative für Deutschland (AfD), besonders in Ostdeutschland, gesucht. Es ist nicht allein der Nährboden durch die regierende Politik. Ein Kommentar

Die Alternative für Deutschland (AfD) legt in aktuellen Wählrumfragen immer weiter zu. Nun hat sie am Sonntag im thüringischen Sonneberg auch den ersten Landratsposten erobert – gegen den bisherigen Amtsinhaber von der CDU. Der wurde in der Stichwahl von einer „Nationalen Front“ aller anderen Parteien unterstützt. Das hat aber nichts geholfen und so bekam AfD-Kandidat Robert Sesselmann mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass Sesselmann angesichts einer Wahlbeteiligung von knapp unter 60 Prozent nicht einmal die Hälfte aller Stimmen der Wahlberechtigten im Landkreis Sonneberg bekam. Also eine Mehrheit hat auch er nicht hinter sich. Ich finde aber gut, dass die AfD nun mal einen kommunalen Funktionär stellt: So kann diese Partei endlich beweisen, dass sie auch nicht anders ist als die anderen „Systemparteien“ und auch wenig von dem umsetzt, was sie den Enttäuschten und Frustrierten verspricht.

Zum vermeintlichen „Höhenflug“ der AfD – 19 oder 30 Prozent Zustimmung in Umfragen sind alles, bloß kein Flug in der Höhe – haben alle mehr oder weniger etablierten Parteien beigetragen. Und so scheiterten sie auch gemeinsam in Sonneberg mit dem Neuaufguss der „Nationalen Front“ aus der DDR gegen Sesselmann – zu Recht allerdings.

Das soziale Feld geräumt

Gerade SPD und die Partei Die Linke haben schon lange das Feld des Protestes und des Widerstandes gegen eine unsoziale Politik ver- und anderen überlassen. Der französische Soziologe Didier Eribon hat Ähnliches in Frankreich in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ beschrieben. Die Sozialdemokraten taten das noch stärker als die Linkspartei. Beide haben dazu beigetragen mit dem ständigen Reden davon, dass „Verantwortung übernehmen“ durch Mitregieren wichtiger ist als das Artikulieren sozialer Proteste in der Opposition. Das missachtet nicht nur die demokratisch wichtige Funktion der Opposition, sondern auch, was diese erreichen kann, wenn sie stark genug ist.

Ausgerechnet die AfD hat es gezeigt mit ihrer Politik und Propaganda gegen Flüchtlinge: Nach der „Flüchtlingskrise“ 2015 hat die Bundesregierung die Asyl- und Flüchtlingspolitik in einem Maße verschärft, dass die AfD sich entspannt zurücklehnen konnte und mancher Beobachter schon meinte, dass diese Partei deshalb schlechter abschneidet als zu Zeiten der „Flüchtlingskrise“.

Es gibt Beobachter, die meinen, dass diese Partei ins Leben gerufen wurde, um eine tatsächliche linke Mehrheit in der Bundesrepublik zu verhindern. Die galt lange Zeit als gar nicht so realitätsfern. Doch dann tauchte die „Alternative für Deutschland“ auf. Der gelang es, selbst das Wort „Alternative“ so negativ zu besetzen, dass jeder, der diesen einst linken Begriff benutzte, verdächtigt wurde, „rechtspopulistisch“ daherzureden.

„Alternative“ aus dem System heraus

Die AfD ist eine Antwort auf die Krise der etablierten Politik und der von dieser verursachten gesellschaftlichen Lage. Aber diese Antwort kommt ausgerechnet aus jenen Kreisen, die verantwortlich für die gesellschaftlichen Zustände sind. Die AfD ist nicht quasi aus dem Nichts entstanden, nur gedüngt vom Protest gegen die bisherige Politik. Davon künden unter anderem die Finanzquellen dieser Partei, die mit Hilfe des „Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ organisiert, aber auch getarnt werden.

Der Verein, der der AfD in mehreren Wahlkampagnen half, hat Mitglieder, die schon für Banken und Konzerne tätig waren. Er arbeitet unter anderem mit rechten Kreisen wie dem „Studienzentrum Weikersheim“ zusammen. Das wurde gegründet vom früheren CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, bekam schon Spenden von der Daimler Benz AG und Unterstützung von der Rüstungsschmiede Krauss Maffei und lud zu Veranstaltungen in Räumen der Allianz AG und der Deutschen Bank ein.

Die AfD ist nicht weniger eine Partei des Kapitals wie die anderen Parteien. Sie wird gebraucht und ist nützlich mit ihrem Anschein, „gegen das System“ zu sein: Es geht darum, das Potenzial an Protest und Widerstand, das infolge gesellschaftlicher Probleme und Krisen vorhanden ist, aufzufangen und umzulenken. Es muss in Bahnen gebracht werden, die das bisherige System von Macht- und Eigentumsverhältnissen nicht in Frage stellen und antasten. Schon in den 1960er Jahren gab es solche Ideen, den Geist der Revolte aufzunehmen und umzulenken, weg von linken Gedanken, von Vorstellungen, die das herrschende System ernsthaft in Frage stellen.

Gezielte und erfolgreiche Strategien

Dazu bietet sich immer noch der „Sündenbock“-Mechanismus an, durch den Einzelne oder eine Gruppe verantwortlich für die Lage gemacht werden, ohne dass sie es sind. Aber eine solche Gruppe wie die Migranten ist anders als die tatsächlich Herrschenden und für die gesellschaftlichen Zustände Verantwortlichen greifbar und erreichbar für jene, die enttäuscht und frustriert sind. Oder die einfach nur verängstigt sind, weil sie fürchten, auch noch sozial abzusteigen wie andere vor ihnen und um sie herum. Und so werden Menschen für die soziale Lage verantwortlich gemacht, für die Folgen neoliberaler asozialer Sparpolitik in den letzten beiden Jahrzehnten, die als allerletzte etwas dafür können.

Das Fatale ist: Dieses perfide Spiel der AfD und anderer funktioniert. Das „Empörungsmanagement“ ist längst Teil politischer Strategien, um Unmut und potenziellen Widerstand in Gesellschaften für politische Ziele zu nutzen und auch zu steuern. Neben recht einfachen Techniken, zu denen das Besetzen von Begriffen wie eben der „Alternative“ gehört, werden längst subtile psychologische Mechanismen von Entscheidungs- und Meinungsbildung für eine effektive Meinungssteuerung eingesetzt.

Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern unter anderem in Lehrbüchern der PR und des Marketings nachlesbar. Es ist sicher zu verurteilen – aber der Erfolg gibt jenen Recht, die sie einsetzen. Dafür werden bewusst auch Krisen geschaffen, wie die „Flüchtlingskrise“, in deren Folge laut Untersuchungen die Menschen mehr Sorgen über die Zuwanderung äußerten als zuvor über ihre eigene soziale Lage.

Und so gelingt es, dass die AfD sich nicht nur als Partei der angeblichen bürgerlichen Mitte präsentieren kann, sondern auch als „Partei des kleinen Mannes“. Und dieser kauft ihr das ab, ohne genau hinzuschauen, dass diese Partei eine genauso neoliberale und asoziale Politik vertritt und umsetzen will wie jene „Vertreter des Systems“, gegen die sie angeblich ist. Das kann in den AfD-Papieren schwarz auf weiß nachgelesen werden, es kann auch nachgeschaut und gehört werden. Auch die Herkunft vieler führender AfD-Köpfe zeigt das.

Fehlender Protest und wachsende Desillusionierung

Diese Methoden haben Erfolg wie sich in Umfragen und Wahlergebnissen immer wieder zeigt. Dabei spielen auch die Medien eine wichtige Rolle, die noch jeden echten alternativen Politikvorschlag von links diffamieren und vorn vornherein als nicht umsetzbar abqualifizieren. Dagegen haben sie bekanntermaßen der AfD über das notwendige Maß hinaus eine mediale Bühne gegeben, auch weil dies ganz bewusst provoziert und mit den Aufmerksamkeitsmechanismen spielte.

Wer vor diesem Betrug an den „Abgehängten“, Frustrierten, zu Recht Empörten und Wütenden nicht nur in Ostdeutschland warnt, findet nur schwer Gehör und wird mindestens als „Kommunist“ beschimpft. Dabei geht es nicht um links oder rechts, sondern darum, die sozialen Interessen der Menschen, die in diesem Land leben, zu verteidigen und in die Politik einzubringen. Es dominiert der Wunsch nach ganz einfachen Antworten – und auch das nutzt jenen, die die Wut gegen ihre Politik und ihre Herrschaft umlenken wollen, damit sie sich nicht gegen sie wendet.

Das gab es alles schon mal in der Geschichte des Landes, mit allen bekannten Folgen. Parteien wie die SPD und Die Linke müssten längst Konsequenzen ziehen und wieder Protestparteien werden – gegen die Dominanz einer Politik, die der Wirtschaft in allen Bereichen dient, egal ob sie von der Union, der FDP oder der AfD und selbst den Grünen betrieben wird. Gebraucht wird Protest, der wirklich verändert und eine andere Politik bewirkt, die tatsächlich alle Interessen in dieser Gesellschaft beachtet. Die statt Krieg den Frieden bringt, nach innen wie nach außen.

Mag sein, dass das eine Illusion bleibt. Die hohe Zahl derer, die nicht mehr wählen gehen, zeigt, wie viele Menschen von dem Parteienschauspiel, das sich Politik nennt, desillusioniert sind – egal, welche Parteien in Gemeinden, Städten Ländern und im Bund regieren. Das wird auch die AfD nicht ändern – weil sie nichts Grundlegendes am politischen System wirklich ändern will und kann.

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