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Ein erbärmliches Schauspiel kurz vor dem Ende?
Linkspartei

Ein erbärmliches Schauspiel kurz vor dem Ende?

Sahra Wagenknecht bei einer Friedensdemo 2018

Die Linkspartei zerlegt sich selbst. Das zeigt sich wieder an der parteiinternen und doch öffentlichen Debatte um Sahra Wagenknecht.

Wer braucht eine Partei, die sich mit sich selbst beschäftigt und sich auch noch selbst zerlegt? Natürlich niemand. Und so könnte sich die Partei, die sich anmaßend „Die Linke“ nennt, durchaus selbst auflösen. Das gerade angesichts der Tatsache, dass deren Vorstand ausgerechnet mit Sahra Wagenknecht eines ihrer zugkräftigsten Mitglieder loswerden will. Aber natürlich wird es nicht zur Selbstauflösung kommen. Denn die Partei wird schon noch gebraucht: Von all jenen, die durch sie zu Mandat und Posten kamen. Da hängen Existenzen dran.

Und so wird der Niedergang der Linkspartei sich fortsetzen, erkennbar an den Wahlergebnissen. Vielleicht wählen sich dann eines Tages die Funktionäre und Apparatemitarbeiter nur noch selbst. Aber so werden sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr überwinden. Derzeit liegt diese Partei in Umfragen bundesweit schon darunter. Bei den so ermittelten Werten muss immer die Hälfte abgezogen und gleichzeitig hinzugerechnet werden. Das ergibt das tatsächliche ungefähre Potenzial nach oben und unten und zeigt zugleich die Unsicherheit. Das hat mir vor vielen Jahren mal ein Wahlforscher erklärt.

Es sieht also nicht gut aus für diese Partei – und sie selbst gibt kein gutes Bild ab. Das liegt zuletzt an jenen, die in den Medien erwartungs- und auftragsgemäß kein gutes Bild von ihr zeichnen. Das liegt am Umgang mit den eigenen Themen wie dem Frieden und mit den eigenen Mitgliedern. Über Wagenknecht kann ja jede und jeder denken, was sie oder er will. Schon länger scheint sie sich in der Partei nicht mehr wohlzufühlen. Erst versuchte sie es mit der Bewegung „Aufstehen“. Nun redet sie seit Monaten davon, vielleicht eine neue Partei zu gründen. Die wird wahrscheinlich, sollte sie zustande kommen, kurz für Aufsehen sorgen und dann wie „Aufstehen“ ein kümmerliches Dasein fristen. Die Frage, warum die Frau diese Partei, die sie nicht mehr will, nicht längst verlassen hat, kann nur sie beantworten.

Wagenknecht und die Linkspartei samt ihrer Vorgängerin PDS – das war immer ein schwieriges Gespann. Einst war die Frau zu links und kommunistisch für jene, die die Partei aus der einstigen DDR-Staatspartei an die bundesdeutschen Verhältnisse anpassen wollten (oder sollten). Jetzt wird ihr vorgeworfen, sie sei zu rechts und populistisch. Der Vorwurf kommt wieder von den Angepassten in der Partei. Es sind die Selbstgerechten, wie Wagenknecht sie nennt.

Eines haben die führenden Kräfte dieser Partei nie begriffen: Das Potenzial dieser klugen Frau zu nutzen, um eine Politik öffentlich zu machen, die an den Interessen der breiten Mehrheit ausgerichtet ist. Sie wäre eine zugkräftige Führungsfigur gewesen, zugleich keine Marionette, weil sie eigene Ideen und Visionen hat.

An dem Konflikt um Wagenknecht wird auch eines der grundlegenden Probleme der Linkspartei deutlich: Längst wird auch in dieser vielfach nur noch Politik „von Hochqualifizierten für Hochqualifizierte“ gemacht, wie es Dirk Oschmann in seinem vielbeachteten Buch über den Osten und den Westen beschreibt. Längst ist diese Partei weg von den Problemen der breiten Mehrheit. Dabei gilt, dass Ausnahmen die Regel bestimmen.

Einst war die Vorgängerpartei PDS eine Protest- und „Kümmerer-Partei“, die den in die Bundesrepublik geworfenen DDR-Bürgern auch ganz praktisch half, mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen. Das ist lange Vergangenheit. Spätestens mit den ersten Regierungsbeteiligungen verließ die Partei das direkte soziale Feld, auch wegen mangelnder Kräfte. Was sie räumte, übernahmen die rechtsnationalen, neofaschistischen Kräfte.

Einst machte die PDS mit dem Spruch „Veränderung beginnt mit Opposition“ Wahlwerbung. Davon wollten ihre und die in der späteren Linkspartei führenden Kräfte bald nichts mehr wissen. Ihre „Vordenker“ glaubten, die Menschen würden auf Dauer keine Protestpartei wählen. Wichtiger sei die Bereitschaft, „Verantwortung zu übernehmen“ und mitzuregieren. Den Protest übernahmen dann andere – heute spielen alle, auch die Linkspartei, die Erschreckten angesichts des Zuspruchs für die AfD.

Dabei müssten jene, die sich in der Linkspartei für links halten, doch die alte dialektisch-materialistische Erkenntnis kennen: Widerspruch ist die Triebkraft der Entwicklung. Oder anders: Ohne Opposition keine Demokratie. Sie ist deren Lebenselixier. Und die Oppositionsbänke sind alles andere als bequem, wie ich aus eigener kommunalpolitischer Erfahrung weiß. Aber vielleicht ist gerade das eines der Probleme auch dieser Partei, wenn sie auf die Regierungsbänke, auch auf die auf Bundesebene, schielt.

Die Linkspartei hat vielleicht nur noch eine Chance. Dazu müsste sie sich auf etwas besinnen, was der Publizist Friedrich Dieckmann im Dezember 1989 mit Blick auf den Untergang von DDR und SED, die auch zu den Wurzeln der Linkspartei gehört, schrieb: „Anstatt mit alten Illusionen alte Fehler zu erneuern, sollte man sich besinnen, was ‚linke‘, sozialistische Politik ihrem Wesen nach ist. Sie ist Politik gegen die Selbstherrlichkeit der Unternehmer, gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung.“

Dabei hat die Linkspartei immer wieder bitter versagt, zuletzt auch in der sogenannten Corona-Krise. Und das, obwohl gerade sie die analytischen Instrumente hätte, zu erkennen und zu zeigen, in wessen Profitinteresse und zu wessen Schaden die gesamte Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzt wurde. Um zu zeigen, dass es nicht um die Gesundheit aller, sondern um den Reichtum weniger ging – wie immer im Kapitalismus. Aber da versagte auch Wagenknecht, muss angemerkt werden.

Dieckmann warnte damals auch: „Linke Politik, deren Nährboden Wirklichkeitsflucht ist, verurteilt sich selbst zur Unwirksamkeit.“ Und: „Es unterscheidet Politik von Poesie, dass sie sich nicht mit Wünschen aufhalten darf.“ Diese vor mehr als 30 Jahren niedergeschriebenen Worte müssten heute der Linkspartei wieder ins Stammbuch geschrieben werden.

Wenn sie nicht endlich wieder lernt, Protest zu artikulieren, im Parlament wie auf der Straße, wenn sie nicht endlich wieder begreift, dass starke Opposition in den Parlamenten und in der Gesellschaft Veränderung bewirkt, wenn sie nicht endlich wieder anfängt, statt nur über und für sie mit den Menschen in diesem Land zu reden, und wenn sie sich nicht endlich wieder um deren Interessen kümmert, dann wird sie untergehen. Nicht so schnell wie einst die SED, aber letztlich genauso endgültig. Die Gewinner werden jene sein, die eine tatsächliche linke Kraft in Deutschland fürchten. Und jene, die geschickt genau für diese Kräfte Zorn und Protest in der Gesellschaft auffangen und kanalisieren – damit sich am Ende nichts wirklich verändert.

Das erbärmliche Schauspiel, dass die Linkspartei derzeit mit Wagenknecht, aber auch in Sachen Frieden und Russland abliefert, könnte eine der letzten Vorstellungen sein, die noch für Aufmerksamkeit sorgen.

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