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Das Märchen von der Restitution
Lew Schütz

Das Märchen von der Restitution

Der Altar der Hand (ikegobo) stammt aus dem Königreich Benin, vor 1897. Bis 2022 im Museum für Völkerkunde Dresden.

Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD), Eva Winkler

Hier gibt es nun keine Fakten, null Recherche, aber dafür die volle Wahrheit. Recherchieren ist etwas für Leute, die blind und taub durch die Welt taumeln und kein Gedächtnis besitzen. Wer in seinem sechsten Lebensjahrzehnt immer noch nicht auf seine Vorurteile vertrauen kann, der ist nur ein blinder Gast auf der dunklen Erde. Für alles, wovon hier gehandelt wird, gibt es belastbare Quellen. Zu denen wird aber nicht hinabgestiegen. Es reicht ihr kühles Rieseln im Kopf zu vernehmen. Alles ist aus dem Gedächtnis hervorgeholt und zusammengefügt.

Die deutsche Außenministerin und die Kulturstaatsministerin schenkten zum letzten Weihnachtsfest dem westafrikanischen Staat Benin einige Artefakte aus deutschem Museumsbesitz. Dergleichen gebärdet sich heute als Wiedergutmachung und wird Restitution genannt. Aber Leben und Schicksal lässt sich nicht rückabwickeln, ohne dass dabei neue Verwicklungen das Ergebnis sind. Die primitiven Figuren an deren vermeintlicher Ursprünglichkeit sich das dekadente Abendland seit über einem Jahrhundert ergötzt, sind durch die Übertragung aus deutschem Museumsbesitz in beninschen Staatsbesitz zugleich zum Privateigentum eines Königs geworden. Sehr gut, denn das ist ihr Ursprung und ihre Bestimmung.

Der Aufschrei darüber, dass sie nun doch nicht als Exponate in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Museum präsentiert werden, ist albern. Denn auch bei uns sind die staatlichen und kommunalen Kunstsammlungen längst nicht mehr öffentlich zugänglich. Europaweit verlangen Provinzmuseen aufgrund von zwei, drei erstrangigen Bildern Eintrittspreise in einer Höhe, für die vor dreißig Jahren eine Jahreskarte für den gesamten Museumsverbund einer Hauptstadt erworben werden konnte.

Woran klebt kein Blut?

In der Dresdner Porzellansammlung befinden sich chinesische Vasen, die als Dragonervasen bezeichnet werden, weil der sächsische Kurfürst und König von Polen-Litauen, sie im Tausch gegen berittene Soldaten erworben hat. Die primitiven Beninbronzen wurde aus Messingringen gegossen, welche die Beniner den Europäern mit Sklaven bezahlten. Wir leben in Zeiten, wo hellwache Liebespaare bei ihrem Ehering in Erwägung ziehen, dass an dem Edelmetall Blut kleben könnte. Aber woran klebt eigentlich kein Blut? Es klebt bereits bei unserer Geburt das Blut unserer Mutter an uns.

Die Entstehung von Kunstsammlungen ist immer räuberisch. Der fanatische Sammler freut sich über jede Verlegenheit des Vorbesitzers eines begehrten Stückes. In der Sammlung Georg Schäfer in Schweinfurt gibt es ein bedeutendes Stillleben von Carl Schuch. Bevor es der Kugellagerfabrikant auf einer Auktion für seine Sammlung erwerben konnte, gehörte es Heinrich Thyssen, genannt Heini. Dieser hatte damit eine Villa auf Kuba ausgeschmückt. Nach der Revolution dort war es für ihn verloren. Dieses Auge hackte ihm sein Krähenbruder unversehens aus, indem er sich nicht unterstand, es von den roten Rebellen zu erhandeln.

Paul Cézanne hatte zwei Lehrmeister für seine Kunst, zum einen die genaue Beobachtung der Natur und zum anderen das lebendige Studium der alten Meister im Louvre. Für den Höhepunkt dieser Sammlung hielt nicht die Feixende von Leonardo sondern das Bild gegenüber, welches sich heute wegen dieser Position nicht mehr in Ruhe betrachten lässt: Die in Farbenpracht und Leinwandmaßen grandiose Hochzeit zu Kana von Paolo Veronese. Die Vitalität und Balance dieser Malerei war nach seinem Bekenntnis maßgeblich für alles, was er in seiner Malerei anstrebte. Napoleon hatte es aus der Kirche San Giorgo Maggiore in Venedig geraubt. Diese Raubkunst wurde über die Maßen fruchtbar für die Kulturentwicklung Frankreichs.

Das Hauptwerk von James Ensor „Christi Einzug in Brüssel“ ist so groß, das der Künstler es erst gerollt aufbewahren musste, ehe es später im Blauen Salon seines Alterssitzes über dem Klavier seinen Platz fand. Nach seinem Tod wurde es an ein Casino im nahegelegenen Knokke verkauft. Erst 1987 wurde es für das Getty Museum in Malibu erworben und damit das Vermächtnis des bedeutendsten flandrischen Malers des letzten Jahrhunderts seiner Heimat geraubt. Eine Villa der Gettys in Kalifornien ist mit einem Rokokoraum des Schlosses Pillnitz bei Dresden ausgeschmückt. Neulich erst war das im Celebrity-Teil einer deutschen Illustrierten zu sehen.

König Mu

Lew Schütz hat Hitler noch nicht erwähnt? Dann wird es höchste Zeit. Dieser wollte nie Maler werden. Der großartige Alfred Roller, Bühnenbildner von Richard Strauss, Gustav Mahler und Max Reinhardt, war sein Vorbild. Als dieser ihn nicht als Schüler annehmen konnte, begrub er diesen Wunsch, bis er wahrscheinlich hinter Rollers Namen 1934 zum Bühnenbildner der Bayreuther Parsifal-Aufführung wurde. Bei den Malern hatte Hitler eine Vorliebe für Defregger, Lenbach und Spitzweg, ähnlich wie Georg Schäfer übrigens. Hitlers Kunsthändler Haberstock, war zudem auch der Verkäufer des Nachlasses von Carl Schuch. Als der Reichskanzler seinem Händler von seiner Vision eines Kunstmuseums in Linz berichtete, erzählte dieser ihm, dass es in den deutschen Ländern keine fürstliche Sammlung von so hohem Rang und Konsistenz gäbe, wie in den italienischen Städten, außer in Dresden. Dort käme dem kühnen Museumdirektor Hans Posse das Verdienst zu, die Sammlung selbst in der Zwischenkriegszeit auf dem hohen Niveau von Ankäufen weitergeführt zu haben, beispielsweise mit einer ganzen Reihe von Hauptwerken von Caspar David Friedrich und einem beachtlichen Gemälde von Tiepolo.

Hitler machte sich umgehend auf den Weg nach Dresden. Er bestand darauf, sich von Hans Posse durch die Galerie führen zu lassen. Doch den hatte sein Gauleiter aus dem Amt entfernt, weil er ihn daran gehindert hatte, sich königlich an den Galeriebeständen zu bedienen, zum Zwecke von Staatsgeschenken. Ihren Gauleiter Martin Mutschmann nannten die Sachsen mit der ihnen eigenen geschmeidigen Hinterlist König Mu. Als helle, heeflich und heemtücksch erwies sich auch der Museumswärter, der in Eigeninitiative den beurlaubten Posse herbeiholte. Dieser führte durch die Sammlung, die er wie seine Westentasche kannte, und war am nächsten Tag wieder in seinen alten Posten eingesetzt sowie mit dem Auftrag der Sondersammlung Linz betraut. Was hatte der alte Mann für ein Glück, vor 1945 eines natürlichen Todes zu sterben. Ihm wurde ein großes Staatsbegräbnis zuteil. Vor einigen Jahren ehrten ihn die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit einem wissenschaftlichen Symposium.

Nun ist es an der Zeit, vom Hauptgeschäft der Restitution an die Rechtsnachfolger von Vorbesitzern zu sprechen, die durch die Folgen der Nürnberger Gesetze genötigt waren, ihren Kunstbesitz unterhalb des Verkehrswertes zu veräußern, oder die direkt enteignet wurden. Das Unrecht wurde damals in Rechtsform geprägt. Aber auch die Washingtoner Erklärung von 1998, die rechtlich nicht bindend ist, führt zu seltsamen Exzessen. Der bekannteste ist die Rückspeisung von Klimts Bildnis der Adele Bloch aus der Galerie im Belvedere in Wien, welches neben anderen auf diese Weise flüssig gemachten Werken der sogenannten klassischen Moderne in Lauders privatem Kunstmuseum in Brooklyn landete und zu astronomischen Eintrittspreisen vermarktet wurde.

Pornografie für die herrschende feudale Klasse

Bislang unerreichter Höhepunkt der Heuchelei und Brutalität in dieser Hinsicht war der Umgang mit Cornelius Gurlitt dem Jüngeren, womit man den alten Mann direkt in den Tod getrieben hat. Dagegen ist die Sprengung der Buddhagötzen in Bamiyan durch die Taliban ein kultursensibler Kommentar zur destruktiven musealen Bewirtschaftung der Ausdrucksgipfel menschlicher Kultur. Denn wer nicht hören will, muss fühlen. Wie werden sich Annalena Baerbock und Claudia Roth wohl gefühlt haben, als sie erfahren mussten, dass ein Nationalmuseum in Benin nie eröffnet wird und der Oba von Benin den Kram übereignet bekommt.

Aber auch die afrikanischen Demokraten sind nicht anders mit den Skulpturen umgegangen als Martin Mutschmann mit den Beständen der Dresdner Kunstsammlungen. Im Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung von Nigeria hat Ministerpräsident Balewa eigenmächtig und gegen den Einspruch des Museumsdirektors dem Nationalmuseum in Lagos ein Artefakt entnommen, um es bei einem Staatsbesuch in den USA dessen Häuptling Kennedy zu schenken. Heute noch ist es in der JFK Presidential Library in Boston zu sehen. Zwölf Jahre später bekam die Königin Elisabeth II. für ihre Unterstützung im Biafrakrieg eine Beninbronze geschenkt, die im Schloss Windsor aufgestellt ist. Peter Hacks nannte in einem Brief an André Müller die Gemälde der alten Meister Pornografie für die herrschende feudale Klasse. Die Pornografie ist inzwischen unsinnlich geworden. Der letzte Kick besteht heute in der moralischen Überhebung. Aber diesmal sind Annalena und Claudi selbst gef…. worden. Von den Pocs mit dem ganz großen Schwengel. Und wir freuen uns diebisch darüber.

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