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„Bully“ Herbig und der unsichtbare Katalog
Cancel Culture

„Bully“ Herbig und der unsichtbare Katalog

Michael "Bully" Herbig bei einer Talkshow

Immer mehr Künstler kritisieren die Cancel Culture. Nun hat sich auch der Comedian „Bully“ Herbig geäußert und von der Gefahr eines „Katalogs“ gesprochen. In den Köpfen vieler Redakteure und Künstler existert dieser Index jedoch schon längst.

Derzeit kursiert in den sozialen Medien ein Video-Ausschnitt mit Comedian Michael „Bully“ Herbig, der sich im Rahmen einer Talkshow mit deutlichen Worten zur Cancel Culture geäußert hat. Heute sei es für Komiker schwierig zu arbeiten, wenn ihnen stets das „Totschlagargument“ entgegengeschleudert werde: „Du hast meine Gefühle verletzt.“ Wenn es dann irgendwann mal einen „Katalog“ gebe, so der Entertainer weiter, „in dem steht, über die Person, über den Menschen darfst du Witze machen, über diesen Kulturkreis nicht, über diese Menschen auch nicht, dann kommst du in so ein Fahrwasser – also ich hab dann keinen Spaß mehr daran.“

Der angesprochene Katalog existiert bereits – zwar nicht in schriftlicher Form, aber in den Köpfen vieler Redakteure und Kulturschaffender. Entstanden ist er nicht über Anordnungen, Direktiven oder Anweisungen, sondern über die Atmosphäre, genauer: über das Prinzip des Trial-and-Error, dessen stets aktualisiertes Ergebnis erst eine bestimmte Atmosphäre schafft. Wer einen Witz über eine Subkultur, eine Minderheit, eine Partei oder Person macht, bekommt schnell zu spüren, ob das erlaubt ist. Applaudiert der Twitter-Mob oder setzt ein Shitstorm ein? Holen die Fernsehredakteure den Rotstift heraus oder drücken sie ein Auge zu? Wobei Letztere sich immer mehr der Stimmung in den sozialen Medien unterordnen und nach dem gleichen Trial-and-Error-Prinzip verfahren wie die Komiker.

Für viele Redakteure gehört jener ominöse Katalog längst zum Berufsalltag. In ihren Köpfen ist er fest gespeichert und kann problemlos abgerufen werden, wenn ein Komiker einen neuen Sketch prüfen lässt. Der bekannte bayerische Kabarettist Helmut Schleich sagte vor knapp einem Jahr, dass er Nummern sowohl über Markus Söder (CSU) schreibe als auch über Ricarda Lang (Grüne). „Bei Söder wird durchgewinkt, der Lang-Text geradezu seziert“, so Schleich. Und selbst wenn alle Aussagen belegbar seien, bleibe am Ende der Vorwurf, es handle sich um „Grünen-Bashing“. Genau diese personellen Unterschiede meint Herbig, wenn er von einem Katalog spricht. Manche Personen genießen Privilegien und können mit dem erwähnten „Totschlagargument“ hantieren, während andere kein Recht darauf bekommen. Sie können ruhig die Zielscheibe von Gags werden – solange es aus Sicht des Twitter-Mobs die „Richtigen“ trifft. Das läuft dann nicht mehr unter „Beleidigung“, sondern unter „Kunst- und Meinungsfreiheit“.

In dem unsichtbaren Katalog finden sich daher auch bekannte Kollektivbezeichnungen, solche wie „Querdenker“, „Schwurbler“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Corona-Leugner“ – allesamt Framing-Begriffe, hinter denen sich Andersdenkende, Maßnahmen- oder Regierungskritiker verbergen. Der Katalog in den Köpfen gibt sogar ausdrücklich zu verstehen, dass es geradezu gewünscht ist, über diese Personengruppen zu witzeln. Fernseh-Komiker wie Jan Böhmermann oder Oliver Welke dürfen sich regelmäßig austoben und selbst unter die Gürtellinie gehen. Von verletzten Gefühlen, Beleidigungen oder Rufschädigungen spricht dabei niemand.

Wenn man in so eine Richtung weitergaloppiere, sehe er „sehr dunkle Zeiten auf uns zukommen“, sagte „Bully“ Herbig schließlich. Die dunklen Zeiten sind bereits da, so wie der angesprochene Katalog. Damit sie nicht noch dunkler werden, müssen bekannte Künstler mit einer gewissen Reichweite häufiger öffentlich Stellung beziehen und die Probleme benennen. Herbigs Aussagen deuten darauf hin, dass nicht wenige Kabarettisten und Comedians erkennen, dass die gegenwärtige Cancel Culture nicht nur eine Gefahr für ihren Berufsstand, sondern für die gesamte Kultur darstellt. Die bekannte und erfolgreiche Krimi-Autorin Donna Leon verglich vor kurzem die gegenwärtigen Zustände sogar mit der Zeit des Kommunismus. Dass sich große Namen aus der Kulturbranche nun zunehmend trauen, ihre Kritik öffentlich zu äußern, ist ein gutes Zeichen. Es müssen unbedingt mehr Stimmen werden und den gegenwärtigen Trend stoppen, bevor der Katalog auch in schriftlicher Form vorliegt.

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