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90. Jahre Bücherverbrennung – Was haben die Menschen daraus gelernt?
Cancel Culture

90. Jahre Bücherverbrennung – Was haben die Menschen daraus gelernt?

Foto: Pixabay, Michal Jarmoluk

Sigmund Freud, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky: Vor genau 90 Jahren wurden ihre und die Werke anderer Geistesgrößen öffentlichkeitswirksam verbrannt. Heute finden solche Inszenierungen nicht mehr statt, aber im Internet wird zensiert und gecancelt.

Heute jährt sich die Nazi-Bücherverbrennung zum 90. Mal. Am 10. Mai 1933 karrten Studenten und Anhänger des Hitler-Regimes Tausende Werke aus den öffentlichen und privaten Bibliotheken zum Scheiterhaufen, um sie anschließend symbolhaft in Asche zu verwandeln. Die darin formulierten Gedanken und Ideen sollten eliminiert werden, geistige Produkte, die der Nazi-Ideologie entgegenstanden. „Wider den undeutschen Geist“ hieß die Kampagne und setzte sich nach jenem 10. Mai weitere vier Wochen fort. Es betraf vorrangig Bücher jüdischer Autoren, aber auch von ethnisch deutschen, aber für die Nazis unangepassten Schriftstellern wie Erich Kästner oder Erich Maria Remarque.

Haben die Menschen, hat Deutschland nach 90 Jahren aus diesem schrecklichen Moment der Geschichte gelernt? Betrachtet man die Entwicklung seit der Corona-Krise, fällt die Antwort negativ aus. Geistige Produkte werden wieder zensiert, gecancelt und verbrannt, nicht mehr am Scheiterhaufen freilich, sondern im digitalen Raum, wo der Austausch von Ideen zunehmend stattfindet. Wer als Blogger auf Youtube die Corona-Politik, den Impfzwang oder den Kriegskurs der Bundesregierung kritisiert, verliert seinen Kanal. Aufklärungsvideos mit abweichenden Inhalten werden gelöscht, genauso wie Satirebeiträge, Dokumentarfilme oder Lieder. Als beispielsweise das Hip-Hop-Kollektiv Rapbellions im Zuge der Impfkampagne zusammen mit dem Soul-Star Xavier Naidoo den Song „Ich mach da nicht mit“ veröffentlichte, dauerte es nicht einmal 24 Stunden, bis Youtube diesen digital verbrannte. Jeden neuen Upload ereilte schnell dasselbe Schicksal.

Zweckentfremdung bei den Tech-Giganten

Eigentlich sollten diese Portale sowohl von Politik als auch vom Staat abgekoppelt sein und lediglich eine Plattform für den sozialen wie geistigen Austausch bieten. Stattdessen agieren Facebook und Co. immer mehr als der verlängerte Arm der Exekutiven, in dem sie als politische Outsourcing-Abteilungen nach ideologischen Standpunkten entscheiden, was veröffentlicht und rezipiert werden darf. Diese Zweckentfremdung erinnert an die Feuerwehr in Ray Bradburys dystopischem Roman „Fahrenheit 451“, der eine schöne Allegorie auf das Wesen der Bücherverbrennung darstellt. In dem Klassiker von 1953, der später von Francois Truffaut verfilmt wurde, besteht deren Aufgabe nicht in der Brandbekämpfung, sondern in der Vernichtung von Bibliotheken. Sobald die staatlichen Entscheidungsträger davon erfahren, dass ein Haushalt Bücher besitzt, rückt sofort die Feuerwehr an und packt einen riesigen Bunsenbrenner aus.

Zu diesem Instrument brauchen Youtube, Facebook oder Twitter heute nicht zu greifen. Ihre Werkzeuge sind Algorithmen. Als besonders perfide erweist sich die Technik des Shadowbannings, mit der User und deren Inhalte in einer Online-Community blockiert werden, ohne dass es für die Betroffenen ersichtlich ist. Hilft auch das nicht gegen eine Verbreitung, greifen die Tech-Giganten zum äußersten Mittel: Die Dokumentarfilme, Aufklärungsvideos oder Songs werden gelöscht. Das ist dem Mikrobiologen Sucharit Bhakdi und dem Mediziner Wolfgang Wodarg genauso passiert wie der Produktionsfirma OvalMedia oder den Rapbellions. Das Rapkollektiv äußerte in ihrem Song Kritik gegenüber dem Weltwirtschaftsforum, der Maßnahmen-Politik und der Impfung. Letztere wurde als „Gift“ bezeichnet. Eine kräftige Aussage, aber für das Genre keineswegs ungewöhnlich. In den Texten gängiger Mainstream-Rapper wimmelt es nur so von frauenfeindlichen, gewaltverherrlichenden oder aggressiven Zeilen, doch zensiert werden sie trotzdem nicht.

Gesinnungskontrollen heute

Einziges Kriterium für die digitale Bücherverbrennung ist die Gesinnung. Sie war schon vor 90 Jahren der Maßstab dafür, ob die Bücher von Autoren oder Hochschulprofessoren auf den Index kamen und schließlich auf dem Scheiterhaufen landeten. Damals wurden sogenannte „Schwarze Listen“ erstellt. Wer in Verdacht geriet, wurde denunziert oder auf öffentlichen Schandpfählen gebrandmarkt. Heute finden wieder Gesinnungskontrollen statt, oftmals sogar durch Journalisten der Leitmedien. Sobald sie mitbekommen, dass Einrichtungen Lesungen oder Filmvorführungen anbieten, in denen eine andere Sicht auf die Dinge präsentiert wird als in den offiziellen Narrativen, fragen sie die Betreiber oder die Vermieter der Räumlichkeiten, ob sie mit den vermittelten Inhalten übereinstimmen. Wenn die Gefragten das bejahen, kommen sie sofort auf den Index. Sie werden nicht nur medial diffamiert, sondern auch digital gecancelt.

Ein gutes Beispiel für die heutigen Gesinnungskontrollen ist ein Zwischenfall in Berlin, der sich vor wenigen Wochen ereignete. Der Kulturkreis Pankow wollte die Räumlichkeiten des Kunst- und Kulturzentrums Brotfabrik nutzen, um einen zweiteiligen Film sowie einen Diskussionsabend zum Ukraine-Krieg zu veranstalten. Auf beiden Veranstaltungen sollten alternative Sichtweisen auf den Konflikt dargestellt werden. Sofort schalteten sich Journalisten der Zeitung Der Tagespiegel ein und forderten die Brotfabrik auf, ihre Gesinnung zu belegen und von der Veranstaltung zurückzutreten. Dem wurde Folge geleistet.

Neue Etikettierungen

Der zweiteilige Dokumentarfilm stammt von der deutsch-russischen Journalistin Alina Lipp, die darin nichts Anderes macht, als die Perspektive der ukrainischen Separatisten abzubilden. Sie lässt die Menschen in Donbass zu Wort kommen, ohne agitatorisch zu wirken. Für die heutigen Meinungswächter ist der Film „russische Propaganda“, weshalb er auf Youtube sofort digital verbrannt wird, sobald ihn jemand hochlädt. Das Etikett lautet heute nicht mehr „wider den undeutschen Geist“, sondern „Fake News“, „Hetze“, „Verschwörungstheorie“ oder eben „russische Propaganda“. Das Wording und die Technik mögen sich geändert haben, der Zweck aber nicht: Oppositionelle Ideen, Aussagen und Ansichten sollen unterdrückt und eliminiert werden, damit sich das eigene Weltbild dauerhaft durchsetzt.

Geistige Inhalte sind für die Herrschenden eine Gefahr, weshalb sie die Rezeption kontrollieren wollen. Was nicht ausgesprochen, nicht ausformuliert, nicht pointiert wird, kann auch nicht ge- oder durchdacht werden, kann sich nicht fortpflanzen und gedeihen. In Bradburys „Fahrenheit 451“ finden die Dissidenten dennoch eine Lösung. Weil alle Bücher verbrannt werden, lernen sie deren Inhalte auswendig und bewahren sie im Gedächtnis auf, um die Werke und deren Ideen vor dem Vergessen zu retten. Der Freiheitsdrang des Menschen ist so stark, dass er jegliche Eindämmungsmaßnahmen überwindet. Dagegen wird auch die digitale Bücherverbrennung nicht ankommen.

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