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Das ist Rock´n´Roll
Kulturindustrie

Das ist Rock´n´Roll

Foto: Pexels/Mantas Hesthaven

Wir haben es vernommen: Der Dumont-Verlag vertreibt nicht mehr das gemeinsam mit Lilly Tindermann entwickelte Rasierwasser, und die Drogeriekette Rossmann will nicht länger dessen Gedichtbände anbieten. Das ist wirtschaftlich nicht klug. Denn dergleichen war schon immer erfolgreich beim anspruchslosen Kauf- und Laufkunden. Die Art, Plattitüden als poetische Formeln auszugeben, hat der mecklenburgische Tausendsassa mit dem golemartigen Lichtraumprofil von Paul Ancel, Mascha Kaleko, Rainer Rühlke und dem späten Gottfried Benn übernommen. Unsere Großväter allerdings hätten derart läppische Verse auf keinen Bierkrug gemalt, geschweige denn in ein Wandtuch gestickt.

Rammstein haben mit Neo Rauch, Rainer Werner Fassbinder und Gerhard Richter gemeinsam, dass sie die Krüppelhuren sind, die auf den immer noch rauchenden Trümmern des alten Deutschlands erfolgreich anschaffen gehen. Sie kokettieren, notgedrungen mit dem, was uns die von der angloamerikanischen Kulturindustrie bestrahlte Weltöffentlichkeit zutraut und zugesteht. Das Deutsch ist böse, brutal, finster, unheimlich und stupide. Wir vergewaltigen und schlachten ab. Der Sieger schreibt (vorerst noch) die Geschichte. Was für ein Missverständnis liegt darin, den Erfolg dieser Conférenciers als Genugtuung zu empfinden. Neue deutsche Härte, ich weine gleich. Ich habe Rammstein in dieser Hinsicht immer widerlich und die Begeisterung für ihr Treiben als schwere deutsche Selbstdemütigung empfunden. Neuerdings finde ich sie dann aber doch possierlich. Prinzipiell bin ich nicht mehr daran interessiert als ein Mediziner, wenn er ein besonders lehrbuchmäßig ausgebildetes Geschwür betrachtet und sich beherrschen muss, seinem todgeweihten Patienten dafür kein Kompliment zu machen. Wie absurd, dass ein nationalpopulistisches Magazin wie Compact nun Rammstein als ein zu Unrecht torpediertes Erfolgsprojekt beschreibt.

In den achtziger Jahren pilgerte ich mit Freunden immer wieder zu Feeling B-Konzerten, die fast immer nicht stattfanden, weil die DDR-Funpunk-Combo, den Fun vorverlegt hatte und ihr damaliger Lindemann avant la lettre, Alexander Rompe, zum entscheidenden Augenblick weder stehen, geschweige singen konnte. Das Altersgefälle zwischen dem 1947 geborenen und seinen Musikern war beinahe so drastisch, wie jenes zwischen dem Rammsteinsänger und den Mädels, die nun gegen ihn vortragen. Bandkollegen, wie Paul Landers und Christian Lorenz dagegen, waren schon damals diszipliniert. Bei Konzerten von Die Firma, Die drei von der Tankstelle und Magdalene Keibel Kombo habe ich sie als zuverlässige Instrumentalisten erleben können. Auch von Rompe wird gemunkelt, dass er einige finstere Leidenschaften ausgelebt haben soll. Aber über Tote …

Es ist charakteristisch für ein nur kunstgewerbliches lyrisches Ich, dass die Aussage über der Form steht, also das Ergebnis Kitsch und Pornografie ist. Eine Ausstellung mit Basteleien von Lindemann, auf die genau das ausnahmslos zutrifft, ereignete sich im für Dresden denkwürdigen Jahr 2015 in der dortigen Galerie Holger John.

Doch zurück in die frühen achtziger Jahre und zur Diskrepanz von Wollen und Können. Am 1. April 1983 schreibt der Gitarrist Paul Landers in sein Tagebuch: „Gestern war ich in der Unterwelt … Wir waren bei einem Musiker, vorne Glatze, Locken, lila Tuch, widerliches, sinnloses Gekreisch, … Unterm Dach bei ihm probte eine Punkband. Ich weiß nicht, ob ich wirklich Musiker werden will. … Kam mir vor wie jemand, der in ein Kinderheim kommt, weit weg von allen Freunden.“ Reichlich zehn Jahre später fasst er vor der Kamera zusammen: „Feeling B war lustig und unschuldig. Und Rammstein ist schuldig und nicht lustig.“ Sein Kollege Christian Lorenz ließ sich anfangs nur schwer überreden, den Niveauverlust zu bewirtschaften. Landers sagt rückblickend 2004 darüber: „Ich glaube Flake war es zu stumpf einfach. Flake wollte heimlich ins Theater, … ein Synthesizer, in der Ecke sitzen: „Hallo düdelümm!, so Thetaermusik machen. … Da haben wir ihn gerade noch aus der Cordhose gerissen.“

Es gibt das Video eines Konzertes von 1994, wo sie mit selbstgebastelter Pyrotechnik beinahe den Schuppen abfackeln, in dem sie spielen. Man sieht im Publikum junge Frauen, die sich offensichtlich aufgeilen an dem albernen Getue. Im Titellied der Band heißt es mit Bezug auf das grausliche Unglück der Flugschau von Ramstein von 1988: „Rammstein – Ein Mensch brennt – Fleischgeruch in der Luft – Ein Kind stirbt – Die Sonne scheint. Rammstein Ein Flammenmeeerrrrr.“ Der FAZ-Redakteur Jörg Kaube ist – aus den meinen diametral entgegengesetzten Gründen – von einem tiefsitzenden Ekel angesichts der Band beherrscht. Kaube hat die Laudatio für die Ludwig-Börne-Preisverleihung an Robert Habeck gehalten, wo er dessen sprachliche Finesse lobt. Ein schlimmeres Unglück als Ramstein. Denn, um es mit Stefan George zu sagen, was ist Mord an hunderttausend, vor Mord am Leben selbst.

Die Rammstein-Bühnenshow ist hundert Jahre alt. Bereits 1907 hatte Oskar Kokoschka für Paul Hindemith das Stück „Mörder, Hoffnung der Frauen“ geschrieben, das 1921 im Württembergischen Landestheater Stuttgart zur Uraufführung gelangte. Die Synopsis beschreibt ein Rammstein-Konzert samt Prä- und Aftershowparty: „Es ist Nacht, ein bleicher Mann im Panzerhemd mit verbundenem Kopf erscheint auf einem Turm. Hinter ihm wird ein Trupp Männer mit wilden Fratzen, die Köpfe mit grauen und roten Binden umwickelt, in den Händen Fackeln, sichtbar. Es kommt eine Gruppe Frauen, die von einem großen kräftigen Weib in einem rosa Kleid angeführt wird. Männer und Frauen reden über ihre Sehnsüchte, die Frauen finden die Männer schreckenerregend. Als diese sich auf sie zu bewegen, drängen sie sich angstvoll zusammen. Die Anführerin nähert sich dem bleichen Mann und umschmeichelt ihn, dieser reißt ihr die Kleider weg und brennt ihr ein Mal auf den Körper. Die Frau schlitzt den Mann mit einem Messer an der Seite auf, Männer und Frauen paaren sich in bestialischer Art. Eine Tragbahre wird vom Turm herabgelassen, der sich kaum mehr bewegende Mann daraufgelegt und weggebracht. Die Frau folgt ihm. Langsam erwachen in dem Mann seine alten Kräfte, er erhebt sich, die Frau fällt wie tot zu Boden. Männer und Frauen suchen dem Mann zu entkommen, doch dieser mäht sie wie Ungeziefer nieder und verschwindet.“

Das ist ein großes Beispiel für die gelungene Anwendung einer Maxime von Michelangelo Antonioni, die besagt, dass man perverse Ideen am besten damit bekämpft, dass man sie nicht in die Tat umsetzt. Die Ärzte sangen 1984: „Paule heißt er, ist Bademeister, im Schwimmbad an der Ecke, und er bringt kleine Mädchen zur Strecke.“ Und sie sangen, wirklich unschuldig und vor allem sehr sehr lustig: „Sie war die schönste aller Frauen – Eva Braun. Es gibt etwas, was keiner weiß, wir hatten einen Sohn. Er ist für mich der Vater einer besseren und einer neueren Zivilisation (Heil, heil, heil).“ Inzwischen sehen auch die Ärzte wie perverse alte Säcke aus. Jimmy Savile und Garry Glitter sind die glitschigen Leitfossile der Popkultur.

Goethes Erzählung von der pilgernden Törin enthält die Feststellung, dass ein tugendhaftes Mädchen unangreifbar ist, auch wenn sie, von niemandem behütet, durch schroffes Gebirge streift. Wenn sie innere Sicherheit besitzt und die Reinheit ihres Wesens, dann werden die Anfechtungen sie nicht berühren. Freilich leben wir seit den Ereignissen ab Januar 1945 in Ostpreußen in einer anderen höllischen Welt, in der das nur noch bedingt gilt. In seiner Amtsbefugnis hat der alte Goethe den Vollstreckungsbefehl für ein Todesurteil an einer Kindsmörderin gegeben. Darin bekundet sich eine Grundhaltung gegenüber den rechtsmündigen Staatsbürgerinnen von Sachsen-Weimar, die dem Frauenbild aus der Erzählung aus „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ verwandt ist. Er war also ein hässlicher alter weißer Mann, dem man solche Chauvi-Parolen zutraut. 

Ein kundiger Freund dagegen bemerkte mit entwaffnender Schlichtheit: „Man tut kleinen Mädchen einfach nicht weh, ob sie jetzt dumm sind oder nicht. Punkt.“

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