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„Gut gemeint ist nicht gerecht“
Identitätspolitik

„Gut gemeint ist nicht gerecht“

Buchtitel des Buches „Gut gemeint ist nicht gerecht“

Foto: Foto: Westend Verlag GmbH

Mehr Wachsamkeit führt zu mehr rassistischen Kränkungen und stärkerer politischer Spaltung – so die These. Was dahintersteckt, fragt Sarah Kaßner den Psychologen Bernhard Hommel.

Das grundsätzliche Bestreben, Minderheiten vor Diskriminierung zu schützen, teilt der Psychologe Bernhard Hommel. Was er allerdings hinterfragt, sind die Mittel und Wege, dieses Ziel vermeintlich zu erreichen. In seinem Buch  „Gut gemeint ist nicht gerecht – Die leeren Versprechen der Identitätspolitik“ erklärt Hommel die aktuelle Diskussionen über soziale Gerechtigkeit, Diskriminierung, Rassismus, Gendern und Geschlechter.

So unterhält sich Gesellschaft und Politik beispielsweise darüber, wie Toiletten organisiert und gekennzeichnet werden sollen oder manche Wörter werden aus der Kommunikation verbannt, ohne tatsächlich schlechtere Lebensstandards von Minderheiten zu bekämpfen.

Hommel studierte von 1980 bis 1987 Psychologie und Literaturwissenschaften an der Universität Bielefeld. 1997 habilitierte er schließlich an der Ludwig‐Maximilians‐Universität München. Derzeit arbeitet er als Professor an der Shandong Normal University in Jinan, China, ist Chefredakteur der Zeitschriften Psychological Research und Frontiers in Cognition und verfasst regelmäßig Artikel in internationalen Fachzeitschriften sowie Kapitel in psychologischen Lehrbüchern und leitet ein Forschungsprojekt an der TU Dresden.

Herr Hommel, was interessiert Sie persönlich als Psychologe an dem Thema „Identitätspolitik“?

Meine Jugend habe ich in den 70ern verbracht, damals waren in meinem Freundeskreis die heutigen Identitätsfragen völlig irrelevant. Ist das ein Mann oder eine Frau, möchte die Person mit Männern oder Frauen intim werden? Das war damals so trivial, dass man sich darüber keine Gedanken machen musste. Menschen waren Menschen und es galt nach André Heller: „Wenn ein Mann einen Mann liebt, soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt“.

Von 2000 bis 2020 lebte ich mit meiner Frau in Holland. Als wir dann wieder nach Deutschland zogen, hat mich die „Identitätspolitik“ persönlich verwundert. In denen ging es beispielsweise um die Organisation von Toiletten und ich wurde verpflichtet, in meiner universitären Kommunikation ganz bestimmte Gender-Formen zu verwenden. Wissenschaftlich fundiert war diese Verpflichtung nicht – und ich wollte meiner Verwunderung als Wissenschaftler nachgehen. Woher kommt das Gendern und alles andere, welchen Zweck hat das, wer steckt dahinter?

Was ist in Ihren Augen problematisch an der Identitätspolitik?

Kurz gesagt finde ich die Grundidee und Ziele, besser mit Diversität umzugehen und eine „bunte“ Gesellschaft zu sein, völlig nachvollziehbar und vernünftig. Es muss aber auch benannt werden, welche Schwierigkeiten eine bunte Gesellschaft mit sich bringt – und sie dürfen nicht unterschätzt werden. Wichtig ist eine differenzierte Diskussionskultur und ein respektvoller Umgang miteinander.

Die Frage, die ich mir stelle, ist: Sind wir auf einem guten Weg? Die politisch vorgesehenen Maßnahmen sind meiner Meinung nach nicht geeignet, weil sie gar nichts oder zum Teil das Gegenteil von dem gewünschten Effekt bewirken werden – das erzielt die gesellschaftliche Spaltung. Auch das Unwirksame ist schädlich, denn es produziert unnötigen Widerstand. Es verpufft Energie, die wir an anderer Stelle besser einsetzen könnten.

Haben gender- und rassismus-sensible Sprache nicht eher den Effekt, Menschen zu bilden, und sie sensibel für die Themen zu machen?

Möchte man Menschen sensibilisieren für bestimmte Nöte, Probleme, erlebte Erniedrigungen? Absolut ja. Beispielsweise berührt der Besuch von Yad Vashem, der „Gedenkstätte des Holocausts und des Heldenmuts“ in Jerusalem einen emotional so stark, dass man danach keine Belehrung mehr über die Shoa braucht. Und Holocaust-Opfer gehen in Schulen, um sich mit Kindern und Jugendlichen darüber zu unterhalten und emotional das zu leisten, was Fakten nicht können.

Eine Sensibilisierung für Sprache hingegen richtet viel mehr Schaden an, als dass sie nützt. Als Beispiel hat Boris Palmer auf einem Kongress mehrfach „Neger“ gesagt und wurde persönlich sowie politisch scharf kritisiert – unter anderem habe er den Holocaust relativiert. Das ist nicht richtig. Es gibt weder mehr, noch weniger Rassismus, weil jemand das Wort sagt.

Ein anderes Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder einen Holocaust geben wird, steigt nicht mit jeder Aussprache des Wortes „Holocaust“. Im Gegenteil, es soll über den Holocaust, Judenstern und Vergasung sogar oft gesprochen werden.

Die Unterstellung, dass Palmer den Holocaust relativiere, hat etwas mit dem Dunning-Kruger-Effekt zu tun. Dieser besagt, dass Menschen sich um so sicherer in einem Thema fühlen, über das sie besonders wenig wissen. Wenn also Judenstern und Holocaust das Einzige ist, was Sie über das Dritte Reich wissen, dann können Sie natürlich nicht verstehen, was Palmer wirklich gemeint haben könnte.

In Ihrem Buch „Gut gemeint ist nicht gerecht“ schreiben Sie, dass eine Äußerung als diskriminierend gilt, wenn sich die betroffene Person gekränkt fühlt. Ich persönlich frage mich, wo Grenzen gezogen werden können? Wo fängt Diskriminierung an und wo hört sie auf?

Generell sollte man sich meiner Meinung nach nicht so sehr an Begriffen aufhängen. Als Opfer weiß man, dass sich Diskriminierung nicht gut anfühlt. Wenn das der Fall ist, finde ich es wichtig, gemeinsam in den persönlichen Austausch zu gehen. In der Gesellschaft sollte nicht das Kriminalisieren von einzelnen Wörtern im Fokus stehen, sondern ein respektvoller Austausch. Daher sollten wir wieder mehr daran arbeiten, Respekt zwischen Menschen zu stärken. Staatlich kann dieser Respekt aber nicht erzwungen werden.

Wie bewerten Sie in Anbetracht dessen die Frauenquote? Kann sie zu einer Gleichberechtigung beitragen, sofern Frauen in der Einstellungsphase benachteiligt werden?

Diesbezüglich gibt es mehrere Fragen zu klären. Erstens: Wann muss sich die Gesellschaft Sorgen machen, wenn es Ungleichverteilungen gibt? Beispielsweise sind im Friseurhandwerk und in der Krankenpflege die meisten Mitarbeiter weiblich. Ist das ein Problem, müssen wir uns Sorgen machen und Programme starten, dass mehr Männer dort arbeiten? Und sollte jeder einzelne Beruf von 50 Prozent Männern und 50 Prozent Frauen ausgeführt werden? Warum genau?

Die nächste Frage ist, ob es Frauen gibt, die in der Einstellung derzeit benachteiligt werden. Die Antwort darauf ist: Sicher. Kann eine Quote erzwingen, dass mehr Frauen in einem Unternehmen eingestellt werden? Ja. Ändert die Politik durch die Frauenquote etwas intrinsisch, also an der Einstellung der Menschen? Nein, das ist nicht der Fall. Ist es aber nicht das, was wir anstreben?

Durch Gendern soll ebenfalls mehr Gleichberechtigung entstehen. Das Argument ist, dass durch die Verwendung des generischen Maskulinums eher Bilder von Männern im Kopf entstehen.

Die These ist, dass Frauen sich zum Beispiel bei Stellenausschreibungen weniger angesprochen fühlen, wenn diese im generischen Maskulinum verfasst sind. Die Befundlage ist diesbezüglich aber sehr dünn – es wurden Studentinnen aus dem psycho-linguistischen Bereich befragt, die keine repräsentative Widerspiegelung unserer Gesellschaft darstellen und momentan gar keinen Job suchen. Außerdem war die Formulierung der Stellenausschreibung für jene Frauen irrelevant, die Gendern als unwichtig erachten. Gendern macht also nur für Personen einen Unterschied, die einen Wert darauf legen. Nicht aber für die große Mehrheit unserer Gesellschaft.

Außerdem ist ein Argument des Genderns, dass Sprache Dinge sichtbar mache. Diese Funktion hat Sprache aber nicht – sie dient dem Austausch von Informationen.

Manche Wissenschaftler meinen, dass Stereotype aufgelöst werden, indem Menschen ins Handeln kommen und beispielsweise Frauen in Handwerksberufe gehen. Wie stehen Sie in Anbetracht dessen zu der Drag-Lesung für Kinder in München vergangene Woche?

Kinder, die überlegen, was sie mal werden wollen, haben einen endlichen Erfahrungshorizont. In der Psychologie ist aber bekannt, dass das innere Möglichkeitsfeld entscheidend für das Denken und Handeln eines Menschen ist. Wenn ich nur eine Sache kenne, beharre ich darauf. Daher finde ich es in einer pluralen Gesellschaft bedeutsam, dass die Möglichkeitsräume so groß wie möglich sind. Toleranz, Respekt und Menschlichkeit können nur stabil sei, wenn Menschen vielfältig aufgeklärt sind.

Wird nicht in diesem Fall das Geschlecht überbetont, wenn eigentlich eine andere Botschaft wichtiger wäre?

Werte werden auf dem persönlichen Niveau ausgehandelt und nicht staatlich auferlegt. Wenn es staatlich auferlegt werden würde, dass alle Drag-Queens in die Kindergärten gehen sollen, würde ich es für abwegig halten. Wenn es aber eine Drag-Queen gibt, die Kindern gerne Geschichten vorliest, warum sollten wir sie daran hindern? Vorausgesetzt, das ist ein freies Angebot, dem sich jeder entziehen kann.

Meiner Meinung nach sollten wir wirklich liberal werden und Menschen so sein lassen, wie sie sind. Dafür brauchen wir keine Politiker.

Was muss nach Ihrer Einschätzung unternommen werden, um Diskriminierung von Minderheiten effektiv zu verhindern?

Identitätspolitiker spielen leider keine bedeutsame Rolle dabei, Kluften zu überwinden – ansonsten könnten sie mehr Menschen erreichen. In meinem Buch habe ich versucht, bereits bekannte Mechanismen vorzuschlagen, die wir uns zunutze machen können, um Diskriminierung zu verhindern. Zum einen sollte mehr Wert auf Vorbilder gelegt werden als auf Repräsentativität. Zweitens ist Gewöhnung an Diversität einer unserer wichtigsten Mechanismen.

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