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Der Rechtsstaat in der Krise
Justiz

Der Rechtsstaat in der Krise

Symbolbild

Foto: Pexels/Pavel Danilyuk

Die Corona-Politik und ihre Folgen werfen die Frage auf, ob und inwieweit die Rechtsprechung als Gegengewalt ausgefallen ist und versagt hat. Darüber gibt der Rechtsanwalt Hendrik Kaldewei im Interview Auskunft.  

Herr Kaldewei, Sie sind eigentlich im Bau-, Planungs- und Wirtschaftsrecht tätig. Jetzt setzen Sie sich auch sehr für Betroffene der Corona-Maßnahmen ein. Wie kam es dazu?

Ich habe die Corona-Maßnahmen von Anfang an als einen frontalen und brutalen Angriff auf unsere Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung angesehen, weshalb ich mich selbst sehr schnell dagegen zur Wehr gesetzt habe. Ich habe beispielsweise im eigenen Namen einen Normenkontrollantrag gegen die Coronaschutz-Verordnung von Nordrhein-Westfalen erhoben und auch einstweiligen Rechtsschutz hierzu beantragt. Zudem habe ich durch die eigene Organisation von Demonstrationen in meinem Wohnort Ibbenbüren sowie durch Redebeiträge auf vielen verschiedenen Demonstrationen in anderen Städten versucht, die Politik zu einem Umdenken zu bewegen. Dabei habe ich aus nächster Nähe und am eigenen Leib mitbekommen, wie mit Maßnahmenkritikern umgegangen wird.

Aufgrund der ziemlich langen Laufzeiten der gerichtlichen Verfahren zeigt sich erst jetzt allmählich, dafür allerdings leider immer deutlicher, was diese Ära mit unserer Justiz gemacht hat. Die Judikative ist dabei aus meiner Sicht aber nur das Spiegelbild der besorgniserregenden Entwicklungen in der Gesellschaft allgemein. In meinem Normenkontrollverfahren hat sich übrigens bis zum heutigen Tage noch schlicht nichts bewegt. Meine Vorstellung von effektivem Rechtsschutz und effizienter Rechtsprechung sieht ehrlich gesagt anders aus.

Warum waren die Corona-Maßnahmen ein frontaler und brutaler Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung?

Weil mit ihnen das Prinzip „Der Zweck heiligt alle Mittel“ eingeführt und dabei eben unsere Grundordnung zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt wurde. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung setzt sich im Kern eben aus den Grundrechten der Bürger zusammen. Wenn aber praktisch alle Grundrechte für die gesamte Bevölkerung und für nahezu alle Lebensbereiche eingeschränkt werden, dann bedeutet das schlicht, das sie im Krisenfall nicht gelten und damit ihre Schutzwirkung gerade dann, wenn es darauf ankommt, nicht entfalten können. Es handelt sich dann bei Lichte besehen um eine reine Schönwetter-Demokratie, die ihren Namen nicht verdient.

Es geht auch nicht um die gewöhnliche Einschränkung von Grundrechten, die es schon immer gab und auch geben darf. Mit der umfassenden Einschränkung sämtlicher Grundrechte wurde das Niveau der Freiheit in unserem Land als Ganzes verändert und damit der Kern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die dieses Niveau sicherstellen soll, eben ausgehöhlt. Das Ganze wurde durch eine Angst-Propaganda bislang ungekannten und unerhörten Ausmaßes systematisch flankiert.

Die Politiker haben sich auf Unkenntnis über das Virus und die Schutzpflicht des Staates berufen …

Dieses Argument kann man nicht gelten lassen. Denn egal, wie gefährlich die Bedrohung auch eingeschätzt worden sein mag, jedem Politiker und Verantwortlichen in der Regierung mit einem demokratischen Grundverständnis und mit einem Bewusstsein für die freiheitlich-demokratische Grundordnung hätte von Anfang an klar sein müssen, dass eine „Pandemie“-Bekämpfungsstrategie à la chinoise, die auf Bevormundung, Kontrolle, Zwang und Überwachung setzt, schon im Grundsatz mit unserer freiheitlichen und liberalen Gesellschaftsordnung völlig unvereinbar ist. Dies kann unmittelbar aus dem Grundgesetz abgelesen werden. Denn selbst im Verteidigungsfall und auch bei Aktivierung des Widerstandsrechts gemäß Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes wird ja der Verlust von Gesundheit und Menschenleben in Kauf genommen, nur zu dem Zweck, die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere die darin garantierten Grundrechte aufrechtzuerhalten.

Sowohl die Landesverteidigung als auch das Widerstandsrecht dienen in erster Linie der Verfassungsverteidigung. Die Territorialverteidigung ist insoweit nur Mittel zum Zweck. Insofern kann in einer Bedrohungslage durch Seuchen oder Krankheiten nichts anderes gelten. Die verfassungsmäßige Ordnung darf nicht aufgegeben werden, sonst ist ihre Schutzwirkung obsolet. Wenn dies nicht mehr gelingt, dann ist der Staat in seiner konstitutiven Verfassung zusammengebrochen und genau das ist in der Corona-Krise passiert.

Das stellt einen fatalen Dammbruch dar, denn es öffnet die Tür für Wiederholungsfälle, wie man derzeit an den autoritären und auf Zwang, Verbot und Strafe setzenden Gesetzesentwürfe und Vorstellungen der Grünen, aber auch der Ampel allgemein, sehen kann. Das betrifft praktisch alle gesellschaftlich relevanten Themen wie Windenergie, Wärmepumpen, Einfamilienhäuser, Fleischverzehr und weitere „woke“ Themen wie Gender, LGBTQ+ undsoweiter.

Dem Bundesverfassungsgericht ist der schwere Vorwurf zu machen, dass es diese Aspekte überhaupt nicht berücksichtigt und nicht einmal im Ansatz geprüft hat. Es hat es bei einer reinen Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahmen belassen, bei der aber letztlich alles gerechtfertigt werden kann. Die Frage, ob mit der Gesamtheit der Maßnahmen nicht vielleicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung tangiert sein könnte, hat sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht gestellt. Und das obwohl die Maßnahmen zu einer offenen Stigmatisierung und Ausgrenzung weiter Teile der Bevölkerung, zu Hetze und zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen zu offenkundig gegen die Menschenwürde verstoßenden Zuständen geführt hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat hier auf ganzer Linie und nicht nur in seiner Funktion als Gegengewalt, sondern auch in fachlich-juristischer Hinsicht kläglich und in beschämender Weise versagt. Der Umstand, dass vor zentralen Entscheidungen noch informelle Abendessen mit der Kanzlerin durchgeführt wurden, belegt, dass sich die Rechtsprechung auch gar nicht mehr als Gegengewalt verstanden hat, sondern vielmehr als Kooperationspartner der Regierung, der ihre Maßnahmen rechtlich absicherte und rechtfertigte. 

Wie sehen die Auswirkungen auf die Rechtsprechung allgemein aus?

Das Verhalten und die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts haben natürlich eine besondere Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Instanzrechtsprechung. Das Signal, das damit ausgesendet wurde, war: maximale Unterstützung und Handlungsfreiheit für die Regierung. Räumt den Weg frei und unterbindet Widerstand, Widerspruch und Störfaktoren.

Und dieses Signal hat seine Wirkung nicht verfehlt. Trotz der teils offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit und Unvereinbarkeit mit liberalen Grundsätzen, wie zum Beispiel bei den 2G- Vorschriften auf Sportplätzen unter freiem Himmel, wo nie ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bestand, wurden auch diese von den Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten kritiklos durchgewunken.

Allgemein kann festgestellt werden, dass sich bei allen politisch „infizierten“ Rechtsgebieten und Themenbereich eine Haltung entwickelt hat, bei der nicht mehr danach entschieden wird, was das Gesetz sagt, sondern die Angelegenheit vom politisch gewünschten Ergebnis her entschieden wird. Zu diesem Zweck werden schon mal jahrzehntelang anerkannte Rechtsprechungsgrundsätze abgeändert oder eine einseitige, teils willkürliche Auslegung von Rechtsbegriffen und Sachverhalten vorgenommen. Da die Rechtsprechung natürlich viele Sachverhalte bewerten und unbestimmte Rechtsbegriffe ausfüllen muss und es sich bei der Rechtswissenschaft eben nicht um Mathematik handelt, fällt ihr dies natürlich besonders leicht.

Wie sieht das konkret aus?

Man kann das natürlich im Themenbereich rund um Corona sehen. Hier hat sich wirklich eine Haltung entwickelt, wonach es sich bei Kritikern der Maßnahmen um Feinde der Gesellschaft handle, die bekämpft werden müssen. Obwohl es klassischerweise im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nahezu nie zu einer vollen Ausschöpfung des Strafrahmens und der Verhängung der Höchststrafe kommt, war dies zum Beispiel bei Ordnungswidrigkeiten wegen Verstoßes gegen die Immunitätsnachweispflicht im Gesundheitswesen, wenn nicht der Regelfall, so jedenfalls doch häufig zu beobachten.

Eine Sanktion wegen Nichterfüllung des Immunitätsnachweises seitens ungeimpfter Personen scheidet meines Erachtens aber ohnehin offenkundig aus, weil offensichtlich ein Verschulden fehlt. Menschen, die weder genesen waren, noch eine Kontraindikation besaßen, waren doch schlicht nicht in der Lage, einen Immunitätsnachweis zu führen, es sei denn, sie hätten sich gegen ihren Willen impfen lassen. Dies würde aber nichts anderes als eine faktische Impfpflicht bedeuten, die der Gesetzgeber abgelehnt hat und zu der das Bundesverfassungsgericht auch eindeutig festgestellt hat, dass eine solche nicht besteht.

Wenn ich die Nachweispflicht aber nur führen kann, indem ich eine Handlung vornehme, zu der ich nicht verpflichtet bin und die mir auch nicht zumutbar ist, dann ist sie für mich rechtlich unmöglich. Niemand kann aber für eine ihm unmögliche oder unzumutbare Handlung sanktioniert werden. Dennoch wird das Gesundheitspersonal reihenweise wegen dieses Bußgeldtatbestandes verurteilt und die entsprechende Rechtsprechung der Amtsgerichte auch durch die Oberlandesgerichte gebilligt.

In von mir selbst geführten Verfahren wird auf die oben genannte Argumentation schlicht nicht eingegangen und sogar eine Übertragung der Angelegenheit auf den Senat in der Besetzung von drei Richtern abgelehnt, obwohl die grundsätzlich der Bedeutung der Angelegenheit doch auf der Hand liegt. Ich habe gegen entsprechende Entscheidungen Anhörungsrügen und Gegenvorstellungen erhoben. Es bleibt abzuwarten, wie die Verfahren letztlich ausgehen.

Ein Urteil, das kürzlich wegen versuchter Nötigung gegen eine Mutter ergangen ist, weil sie die Schulleitung zum Schutz ihrer Kinder aufforderte, von der Maskenpflicht Abstand zu nehmen, wimmelte in den Entscheidungsgründen nur so von politischen Kampfbegriffen wie unter anderem „Corona-Leugner“ oder „Reichsbürger-Milieu“. Es war nichts anderes als eine aggressiv-offensive Rechtfertigung der Corona-Politik unter Stigmatisierung und Herabsetzung der Kritiker durch diffamierende Begriffe.

Dabei ist doch heute unstreitig, dass die „Maßnahmen“ gerade in Schulen zu immensen psychischen, körperlichen und kognitiven Schäden bei den Kindern und Jugendlichen geführt haben. Auch die Verurteilung wegen versuchter Nötigung ist abwegig, denn die Mutter hatte ausdrücklich nur mit einer juristischen Verfolgung gedroht. Es ist aber offenkundig, dass wegen einer Handlung, die als strafbar angesehen wird, die Stellung einer Strafanzeige angekündigt werden darf, wenn dies nicht zu anderen Zwecken, als zur Unterbindung genau dieser Handlung missbraucht wird. Auch das scheint aber bei „Corona“-Sachverhalten nicht zu gelten.

Personen, die durch Vergleiche mit der NS-Zeit und dem Zeigen entsprechender Symbole und Zeichen vor den gesellschaftlichen Gefahren der Corona-Politik warnen wollten, werden reihenweise wegen der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen verurteilt. Obwohl es seit jeher anerkannte Rechtsprechung ist, dass schon keine Tatbestandsmäßigkeit vorliegt, wenn in der Äußerung klar und unzweifelhaft die Gegnerschaft zu der Organisation zum Ausdruck kommt, was natürlich bei den Posts der Fall war. Daher kommt nur ein Freispruch in diesen Verfahren in Betracht. Entsprechende Revisionsverfahren sind anhängig und stehen noch zur Entscheidung an.

Leben wir in einem Terrorstaat, wie manche behaupten?

Terror ist nach meinem Verständnis der systematische Einsatz von Willkür und Gewalt. Dies kann jedenfalls noch nicht in der Breite und Intensität beobachtet werden, um von einem Terrorstaat zu sprechen. Aber wir erleben nach meiner Überzeugung in weiten Teilen, nämlich immer dort, wo die Themen politisch geprägt sind, durchaus eine Unrechts- und Willkürjustiz.

Man kann das zum Beispiel auch bei Themen wie der Windenergie beobachten, wo der private Belang des Flugsports generell keine Bedeutung mehr haben soll, wenn die Errichtung von Windenergieanlagen ansteht.

Auch militärische Belange, die Projekten teils über Jahre entgegengehalten wurden, entfallen auf einmal mit teils widersprüchlicher Begründung. Es ist hier offenkundig, wie die politische Einflussnahme zu abweichenden Entscheidungen in Verwaltung und Justiz führen.

In einem vor wenigen Tagen geführten Gespräch haben Mitarbeiter einer Landesbehörde ganz offen die Einschätzung vertreten, die Rechtsprechung sei „gleichgeschaltet“. Auch wenn ich den Begriff selbst vermeiden würde, teile ich den inhaltlichen Befund, dass die Justiz „auf Linie“ der Regierung entscheidet und sich nicht mehr als Gegengewalt begreift und auch nicht so handelt.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Alle Institutionen werden letztlich von Menschen ausgefüllt. Es liegt also an diesen Menschen, ob das System funktioniert oder nicht. Und insofern hat sich eben ein gesellschaftliches Klima entwickelt, in dem abweichende Meinungen nicht mehr geduldet werden, nicht als Bereicherung des Diskurses angesehen werden, sondern als Verrat, der bekämpft werden muss und auch massiv durch Medien, Influencer, Multiplikatoren und Aktivisten auf sozialen Medien und Plattformen bekämpft wird.

Und so muss auch jeder Richter, der eine Entscheidung trifft, die nicht dem Mainstream oder der Auffassung der Regierung entspricht, mit einem „Shitstorm“, Nachteilen oder Bedrängung rechnen. Und hierzu fehlt es den Richtern, wie übrigens auch dem allergrößten Teil der Gesellschaft, schlicht an Mut. Und so schwimmt man eben mit, um keine Probleme zu bekommen. Dies ist aber de facto das Ende der richterlichen Unabhängigkeit und daher ein gewichtiger Befund.

Letztlich ist das Problem immer die schweigende beziehungsweise inaktive und angepasste Mehrheit. Da gilt für die Justiz nicht anderes als für die Gesellschaft allgemein. Dies lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

Was können Menschen Ihrer Meinung nach gegen diese Entwicklungen tun?

Im Moment ist es erforderlich, die Verfahren engagiert und konsequent bis zum Ende zu führen, um die Rechtsprechung wenigstens zu zwingen, ihre teils unvertretbare Haltung in Beschlüssen und Urteilen niederzulegen. Diese können dann zum Gegenstand einer Debatte oder Diskussion gemacht werden, die vielleicht zum Besseren führen kann.

Letztlich brauchen wir aber wieder eine engagierte und mutige Zivilgesellschaft, die sich gegen die Einengung des Meinungskorridors vehement zur Wehr setzt und den Spaß und den Gewinn einer wahrhaft pluralistischen Debatte im Kampf um die besten Lösungen wieder ans Tageslicht bringt. Dies wird dann auch auf die Justiz ausstrahlen und auch die entmutigten und verängstigten Richter wieder dazu ermächtigen, eigenständige und couragierte Entscheidungen zu treffen, die gerecht sind.

Danke für dieses Gespräch.

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