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Staudammsprengung und Kiews Offensive
Ukraine

Staudammsprengung und Kiews Offensive

Soldat im Hintergrund einer Ukraine-Flagge

Foto: Pixabay/Enrique

Bei der Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist vor allem die Frage zu stellen, wem das nützt. Der Zusammenhang mit der beginnenden ukrainischen Offensive ist offensichtlich.

Unmittelbar nach der Sprengung des riesigen Staudamms am Dnjepr, der in diesem Bereich die Front zwischen russischen und ukrainischen Truppen bildet, gab es im Lager pro-ukrainischer Blogger zwei Arten von Kommentaren: 1) Die Sprengung sei brillant und gut für die Ukraine. 2) Die Ukraine könne es nicht gewesen sein, weil es dumm und schlecht für sie sei.

Nach den Statements des ukrainischen Präsidenten und diverser Nato-Medien im Westen wurde das Narrativ dann rasch vereinheitlicht: Der böse Russe war´s. Das Ganze ähnelt dem politisch-medialen Schema bei der Nord-Stream-Sprengung: Zuerst wurde Russland beschuldigt, heute glaubt das kaum noch jemand.

Kachowka-Staudamm

Bei der Zerstörung des Staudamms ist schon die Vorgeschichte bemerkenswert: Die ukrainische Armee hatte das Bauwerk bereits im Herbst 2022 mit amerikanischen HIMARS-Raketen beschossen. Die Washington Post hatte am 29. Dezember 2022 den ukrainischen Generalmajor Andrei Kowaltschuk zitiert, der überlegte, den Damm zu beschädigen und den Fluss zu fluten. Und schließlich war ein wesentlicher Grund für den Rückzug der russischen Truppen vom rechten Ufer des Dnjepr Anfang November 2022 die Befürchtung, dass die Einheiten dort bei einer Sprengung des Dammes durch die Ukraine nicht mehr zu versorgen wären.

Aktuell ist die entscheidende Frage, wem die Zerstörung des Dammes nützt. Die Antwort ist ziemlich eindeutig. Durch die Überschwemmungen ist die Überquerung des Dnjepr im Zuge einer ukrainischen Offensive aktuell zwar schwieriger, nach ein paar Tagen wird das Wasser allerdings abgeflossen sein. Dann wird unterhalb des Dammes der Fluss wieder ähnlich breit sein wie zuvor. Oberhalb des Dammes wird der verbleibende Fluss leichter zu überwinden sein als der breite Stausee.

Für die russische Seite bringt die Zerstörung hingegen nur Nachteile. Längerfristig wird die Wasserversorgung der Krim in Frage gestellt. Von den Überschwemmungen und den Evakuierungen ist vor allem die tieferliegende linke, russische Uferseite betroffen; die dortige russischsprachige Bevölkerung dürfte dem Regime in Kiew ohnehin ziemlich egal sein.

Vor allem aber wurden durch die Zerstörung des Dammes die russischen Verteidigungsanlagen am linken Ufer des Flusses geflutet und wohl weitgehend beschädigt. Das dürfte für einen ukrainischen Vorstoß über den Fluss von erheblichem Vorteil sein. Der gewöhnlich gut informierte Blogger “Big Serge” berichtet, dass die Ukraine nach der Sprengung des Kachowka-Dammes außerdem stromaufwärts bei einem weiteren Damm die Schleusen geöffnet habe, was die Flutwirkung noch verstärke. Wenn das stimmt, wäre es ein klarer Hinweis auf die ukrainische Täterschaft.

Ukrainische Offensive

Das Timing der Dammsprengung ist auch auffällig. Schon in den letzten Wochen hatten Kiews Truppen verstärkt “kämpfende Aufklärung” betrieben. Sie hatten also einige Dutzend oder einige Hundert Soldaten gegen die russischen Linien geschickt, um Schwachstellen zu finden. Das hat sich seit dem 4. Juni stark intensiviert. Es handelt sich seitdem um größere Angriffe, durchgeführt von ganzen Panzerbrigaden oder mechanisierten Brigaden mit tausenden Soldaten. Es geht immer noch um ein Abtasten, stellt aber bereits den Beginn der lange angekündigten Offensive dar. Die Vorstöße erfolgten an verschiedenen Abschnitten der Front. Das russische Verteidigungsministerium spricht von Tausenden getöteten Ukrainern und sogar von acht zerstörten Leopard-Panzern.

Der prominente Militäranalyst Vlad Shurygin lieferte am 4. Juni folgende Einschätzung:

“Informationen aus verschiedenen Quellen lassen den Schluss zu, dass die ukrainische Führung die Offensive nicht länger hinauszögern kann und von der vorsichtigen Sondierung der Front zu Versuchen übergeht, diese zu durchbrechen. Nach drei Wochen ‘Bewegung zum Kontakt’ – Aufklärung in voller Stärke (gemäß den amerikanischen Kampfregeln) – konnte kein Gebiet ausgemacht werden, in dem es möglich wäre, eine Offensive zu starten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Front durchbrechen und mit minimalen Verlusten zum Erfolg führen würde.

Eine solche Taktik kann zwar Erfolge bringen, ist aber durch das ‘Verbrennen’ von Reserven gekennzeichnet. Die in den Kampf gebrachten Einheiten können nicht mehr zurückgezogen werden und werden so lange eingesetzt, bis ihr Offensivpotenzial vollständig aufgebraucht ist. Nach Berichten aus Kiew ist die Stimmung im Generalstab der Streitkräfte der Ukraine pessimistisch. Die im Laufe des Monats erlittenen Verluste, vor allem materieller Art – die zerstörten Munitionsdepots sowie Treib- und Schmierstoffe – sowie die schweren Verluste in der obersten militärischen Führung haben das Versorgungssystem der Truppen und die Kampfführung ernsthaft gestört.

Es liegt auf der Hand, dass der ‘Angriff’ keinen strategischen Erfolg bringen wird, bestenfalls wird es möglich sein, zwei oder drei Dutzend Kilometer in einige Richtungen vorzustoßen, und das auf Kosten großer Verluste und ‘vergeudeter’ Reserven. Am Freitag wandte sich das Kommando der ukrainischen Streitkräfte an Selensky mit der Bitte, die ‘Offensive’ zu stoppen und die westlichen Kuratoren um zusätzliche 21 Tage zu bitten, um das Kampfkommando- und Kontrollsystem wiederherzustellen und Vorräte und Waffen zu beschaffen. Mit der gleichen Bitte wandte er sich auf dem Dienstweg an den Vorsitzenden des Generalstabs, General (Mark) Milley, erhielt aber als Antwort den Befehl, die Offensive fortzusetzen. Dies ist die Forderung des US-Präsidenten selbst, der von den Ukrainern ein Ergebnis – eine militärische Niederlage der Russen – und keine Erklärung der Gründe für die Misserfolge erwartet.

Die einzige Person in der Regierung Biden, die die Forderung der Ukrainer unterstützte, war der Sicherheitsberater (Jake) Sullivan, der für das gesamte ukrainische Projekt zuständig ist und es überwacht – ‘der wichtigste Falke in Bidens Nest’, wie er in der Regierung genannt wurde. Für ihn kann das Scheitern der aktuellen ‘Offensive’ ein persönlicher Zusammenbruch sein. Sullivan hat alles auf sie gesetzt, in der Hoffnung, sich durch einen Sieg über Russland an die Spitze der Demokratischen Partei der USA und in den amerikanischen politischen Olymp zu bringen. Und Sullivan ist besorgt, dass ein Scheitern der Offensive seine Position im Weißen Haus dramatisch schwächen wird.

Daher ist in den kommenden Tagen mit einer Verstärkung der Angriffe der ukrainischen Streitkräfte und der Einführung der Hauptreserven in den Kampf zu rechnen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unter diesen Umständen für die Ukrainer und ihre westlichen Kuratoren so viel auf dem Spiel steht, dass sie ihre ganze Kraft in die Schlacht werfen und mit der ganzen Verbitterung von Menschen kämpfen werden, die nichts zu verlieren haben. Schließlich haben sie wirklich nichts zu verlieren! Eine erfolglose ‘Generaloffensive’ wird den ganzen Krieg auf eine völlig andere Entwicklungsschiene bringen!”

Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass der Zeitpunkt des Starts der ukrainischen Großoffensive sicherlich kein Zufall ist. Am 12. Juni beginnt, geleitet aus Deutschland, in Osteuropa das größte Luftmanöver in der Geschichte der Nato. Hunderte Nato-Flugzeuge werden eine Art Unterstützung und gigantische Drohkulisse für das Regime in Kiew darstellen – mit hohem Eskalationspotential in Richtung einer noch direkteren und offenen Konfrontation zwischen der Nato und Russland.

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